Der feministischste Stern am Theaterhimmel: Veronika Steinböck über das Kosmos Theater
Seit mehr als fünf Jahren leitet Veronika Steinböck das Kosmos Theater. Warum sie vor Anna Marboe auf die Knie gefallen ist und welche Pläne sie für das feministische Theater am Siebensternplatz hat? Wir haben die stets mit anpackende Theaterleiterin zum Gespräch gebeten.
BÜHNE: Mit welchen Visionen im Gepäck haben Sie das Kosmos Theater im Jahr 2018 übernommen?
Veronika Steinböck: Ich muss sagen, dass bereits die Zeit, in der ich mich auf die Bewerbung vorbereitet habe, eine große Bereicherung war, weil ich ansonsten vermutlich nie so tief in feministische Theorien und die feministische Literatur eingetaucht wäre. Auch auf privater Ebene hat mir diese intensive Auseinandersetzung das ein oder andere Erweckungserlebnis beschert. Was ich damals nicht wusste, ist, dass wir 2023, also fünf Jahre später, beim Thema Feminismus an einem ganz anderen Punkt sein werden. Wir denken Feminismus heute viel weiter und intersektionaler, es geht sehr viel mehr um den Gedanken, gemeinsam für Gerechtigkeit und Fairness zu kämpfen, anstatt zu überlegen, wer Täter und wer Opfer ist.
Diese Entwicklungen mit den Mitteln des Theaters mitzumachen und immer wieder neu durchzudenken, ist eine tolle Aufgabe. All diese Dinge rund um die Weiterentwicklung des Feminismus spiegeln sich in unseren Stücken, aber auch in unserem Publikum wider, das heute viel durchmischter ist als 2018. Mit „Einfach das Ende der Welt“ eröffnen wir die kommende Spielzeit auch mit einem Stück eines männlich gelesenen Autors. Das ändert jedoch nichts daran, dass wir uns weiterhin als feministisches Haus begreifen.
Auch die Verlage haben nach und nach mitbekommen, dass unser Fokus auf zeitgenössischen Texten weiblich gelesener Personen liegt und haben irgendwann aufgehört uns lauter von Männern geschriebene Stücke zu schicken.
Veronika Steinböck
Verändert hat sich 2018 auch die Ausrichtung des Hauses …
Ja, das stimmt. Als Schauspielerin komme ich von der Literatur und vom Sprechtheater und habe daher den Fokus auf zeitgenössische Dramatik gelegt. Vor meiner künstlerischen Leitung wurde hier eine bunte Mischung aus Kabarett, Tanz und Performance gezeigt – deshalb hatte ich großen Respekt vor dieser Entscheidung. Es war ein Wagnis, das glücklicherweise nicht dazu geführt hat, dass wir Publikum verloren haben. Im Gegenteil. Auch die Verlage haben nach und nach mitbekommen, dass unser Fokus auf zeitgenössischen Texten weiblich gelesener Personen liegt und haben irgendwann aufgehört uns lauter von Männern geschriebene Stücke zu schicken. (lacht)
Muss man heute merklich weniger tief graben, um Theatertexte von weiblich gelesenen Personen zu finden?
Das ist auf jeden Fall so. Durch #MeToo, aber auch durch die Quotenregelung beim Berliner Theatertreffen hat sich in dieser Hinsicht viel getan. Das merke ich auch daran, dass ich immer wieder angerufen und gefragt werde, ob ich Regisseurinnen* und Autorinnen* empfehlen kann. Was ich natürlich gerne mache (lacht). In einer Zeit, in der man immer wieder das beängstigende Gefühl einer Rückkehr ins Biedermeier hat, gibt mir das sehr viel Hoffnung.
Wie gehen Sie bei der Programmierung vor?
Mit Anna Laner habe ich eine Programmdramaturgin an meiner Seite, die gut in der zeitgenössischen Theaterszene vernetzt ist. Bei uns ist es außerdem so, dass wir mit vielen Autor*innen, mit denen wir schon einmal zusammengearbeitet haben, in Kontakt bleiben und immer wieder nachfragen, woran sie gerade arbeiten. Aus dem Wettbewerb um Uraufführungen und österreichische Erstaufführungen halten wir uns aber raus – das ergibt sich manchmal eher zufällig. Und natürlich lesen wir sehr viele Texte.
Wie ist das bei Regisseur*innen?
Das Besondere bei uns ist, dass wir schon sehr früh mit Regisseurinnen in Kontakt treten und mit ihnen gemeinsam Stückvorschläge durchsprechen. Das ist ein langer Prozess, der mich manchmal auch ein wenig nervös macht, weil man häufig in relativ kurzer Zeit viele rechtliche Dinge noch zu klären hat. Aber dann kommt meistens dieser Gänsehautmoment, wo die Regisseurin sagt, dass sie ein Stück total überzeugt. Es ist also ein gemeinschaftlicher Prozess – es gibt keine Dramaturgie, die sagt, das ist der Spielplan und jetzt suchen wir passend dazu nach Regisseur*innen. Wie bei den Autor*innen versuchen wir außerdem auch mit Regisseur*innen, die schon einmal bei uns gearbeitet haben in Kontakt zu bleiben. Anna Marboe, vor der ich vor einigen Jahren im Radiokulturhaus auf die Knie gefallen bin, weil sie mich mit ihrer Art und ihrer Musik so berührt hat (lacht) wird in dieser Saison wieder bei uns inszenieren. Sara Ostertag macht immer tolle Vorschläge und wir sind bereits in konkreten Gesprächen für die Spielzeit 2024/25. Auch mit Claudia Bossard, die derzeit an gefühlt allen großen Häusern arbeitet, spreche ich immer wieder. Sie gehört zu jenen Regisseur*innen, die immer wieder zu uns kommen, wenn sie sich erden, frei arbeiten und sich ausprobieren möchten.
Es wird in der kommenden Spielzeit auch eine Koproduktion mit dem Schauspielhaus geben. Wie kam es dazu?
Magdalena Schrefels Stück „Sprengkörperballade“ haben wir 2019 hier auf die Bühne gebracht. Seit der Produktion war ich immer wieder mit ihr in Kontakt. Vor etwa einem Jahr hat sie mir erzählt, dass ihr Bruder an einer seltenen Krankheit leidet, die dazu führt, dass er seine Stimme verliert. Als ihm in ihrem Stück angeboten wird, sich eine Stimme auszusuchen, die für ihn spricht, gelangt er zur Erkenntnis, dass eine Stimme nicht ausreicht, um sich in all den unterschiedlichen Lebenssituationen auszudrücken. Magdalena Schrefel wollte das Stück gerne bei uns im Kosmos Theater zur Uraufführung bringen und Marie Bues sollte inszenieren. Als klar war, dass sie gemeinsam mit Tobias Herzberg, Martina Grohman und Mazlum Nergiz das Schauspielhaus übernehmen wird, haben wir beschlossen, es ganz einfach gemeinsam zu machen. Die Uraufführung findet beim Kunstfest Weimar statt, dann kommt es zu uns und danach ins Schauspielhaus. Ich finde es wichtig, sich nicht eifersüchtig zu bekriegen, sondern in bestimmten Bereichen auch hin und wieder miteinander Dinge auf die Beine zu stellen. Wir nehmen uns dadurch keine Zuschauer*innen weg.
Das ist ein gutes Stichwort für meine nächste Frage. Habt ihr den vielzitierten Publikumsschwund im Kosmos Theater auch gespürt?
Bei uns war die Saison 2022 gut – wir waren super ausgelastet. Der Satz, 50 sei das neue 100, ist mir ehrlicherweise ziemlich auf die Nerven gegangen. Ich war sehr davon berührt, was unser Stammpublikum alles auf sich genommen hat, um während der Zeit der Corona-Auflagen trotzdem zu uns zu kommen. Ich hatte regelmäßig Tränen in den Augen.
Zur Person: Veronika Steinböck
Studierte Schauspiel am Max Reinhardt Seminar und arbeitete viele Jahre als Schauspielerin in Deutschland und Österreich. 2014 leitete sie das Festival Greizer Theaterherbst, 2016 und 2017 das Festival „kammerMachen“ in Chemnitz. 2018 kehrte Veronika Steinböck nach Wien zurück und übernahm die künstlerische Leitung des Kosmos Theater.
Wann geht es bei euch im Herbst wieder los?
Wir eröffnen am 6. September mit dem Stück „Einfach das Ende der Welt“ von Jean-Luc Lagarce, in dem es um den Mikrokosmos Familie geht, am Höhepunkt der AIDS-Krise in den 90er Jahren – aber auch um das Aufbrechen von Tabus, Sprache und Klassenfragen. Matthias Köhler wird das Stück inszenieren. Eher zufällig hat sich in der kommenden Spielzeit ein Schwerpunkt zum Thema „Keimzelle Familie“ entwickelt. Der zweite Programmpunkt ist die Wiederaufnahme des Stücks „Die Milchfrau“ von makemake produktionen – eine Arbeit, bei der uns das Publikum in der letzten Saison die Bude eingerannte.
Ich finde es toll, dass eure feministischen Auseinandersetzungen niemals mit erhobenem Zeigefinger stattfinden …
Ich glaube, dass das schon auch mit den Arbeits- und Produktionsbedingungen im Haus zu tun hat. Wir haben nicht den Druck, ständig darüber nachdenken zu müssen, wie eine Inszenierung vom Abo-Publikum aufgenommen wird. Ich ertappe mich immer wieder dabei, wie ich den klassischen Satz sage, dass eine Arbeit auch gegen die Wand fahren kann – dass auch das zum Theater dazugehört. Ich denke, dass dadurch auf unterschiedlichen Ebenen Freiräume entstehen. Auch um im Probenprozess darüber zu sprechen, warum man Dinge tut, wie man sie tut.
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Der Musiker Paul Plut und Verena Giesinger, Dirigentin und Gründerin des Schmusechors, haben den Soundtrack zum Stück „Die Milchfrau" komponiert und arrangiert. Wir haben die beiden zum Gespräch getroffen. Weiterlesen...
Die vermutlich schwierigste aller Fragen zum Schluss. An welche subjektiven Höhepunkte erinnerst du dich besonders gerne zurück?
Puh, da fallen mir tatsächlich viele Dinge ein. Geht es um konkrete Höhepunkte, habe ich unter anderem sofort die Eröffnungsinszenierung meiner künstlerischen Leitung im Kopf. Für die Produktion „Mütter“ haben wir ein riesengroßes Loch in den heiligen Bühnenboden gerissen. Diese erste Arbeit zu stemmen, war bis zuletzt ein immenser Nervenkitzel. Noch viel größer war jedoch die Freude darüber, dass in einer der Rezensionen stand, dass das Kosmos Theater damit im Feminismus der Gegenwart angekommen ist – denn genau das wollten wir. Zu den schönsten Momenten meiner bisherigen Leitung gehört aber auch jener, als das Kosmos Theater letztes Jahr zeitgleich sowohl zu den Autor:innentheatertagen nach Berlin als auch zum Dramatiker:innenfestival nach Graz eingeladen wurde. Ganz zu schweigen von der Einladung zum Theatertreffen im Jahr 2021. Ich würde mal sagen, dass das unserem Publikum ziemlich wurscht ist, aber für uns war es toll. Und zu guter Letzt: Als wir Elfriede Jelinek eine Aufnahme unserer Inszenierung von ‚Das Werk‘ geschickt haben, hat sie sich mit einer Lobeshymne zurückgemeldet. Das hat mich persönlich sehr gefreut, da sie dem Haus seit Anfang an verbunden ist.