NEST: Hier wird Oper ganz neu gedacht
Die Neue Staatsoper NEST eröffnet ihre Spielstätte im Künstlerhaus am Wiener Karlsplatz: mit Produktionen von Martin Finnland / Nesterval und Sara Ostertag, den Popstars der Off-Szene. Was die beiden planen und was Direktor Bogdan Rošćić will – wir sagen es Ihnen.
So kann es gehen. In Korea sind die beiden jetzt Insta-Stars. Vielleicht. Kaum war der Sesselberg vor dem NEST, der Wiener Spielstätte der Neuen Staatsoper, für das BÜHNE-Shooting aufgebaut, und kaum hatten sich Regisseur*in und Theatermacher*in Sara Ostertag und Martin Finnland gemütlich draufgesetzt, fingen die rund zweihundert koreanischen Touristen und das TV-Team, die vor dem Musikverein warteten, an zu filmen und zu fotografieren. So glamourös und international kann ein Shooting sein – wenn man es denn so lesen will.
Warum, Herr Haselsteiner? Wer das NEST noch nicht gefunden haben sollte: Es ist am Karlsplatz 5, im Künstlerhaus, direkt neben der Albertina Modern und gegenüber vom Haupteingang des Musikvereins. Vor über 25 Jahren gab es hier einmal ein Lokal, das die Ratten liebten. Dann kam Strabag-Chef Hans Peter Haselsteiner. Er kaufte das ganze Gebäude, machte einen Teil zum Museum und den anderen um 20 Millionen Euro zur Oper, die er schlüsselfertig übergab: „Man muss Oper den Kindern und Jugendlichen zugänglich machen und sie dafür begeistern. Nur so können wir garantieren, dass wir das Kulturland Nummer eins bleiben. Ich glaube, es wird eine zauberhafte Kinder- und Jugendbühne. Sie passt perfekt. Von der Größe, vom Ort – sie wird alles haben, was eine Kinderoper braucht, und noch viel mehr sein: ein Ort der Experimente.“
Was wird das, Herr Finnland? Martin Finnland leitet das Theaterensemble Nesterval. Die Schauspieler*innen des Ensembles haben sich in den vergangenen dreizehn Jahren zu den Popstars der Off-Off-Szene hochgespielt und dabei das immersive Theater neu gedacht.
Ihre Produktion „Die Namenlosen“ lief wochenlang im Frühling ausverkauft in Wien. Dann folgte ein ausverkauftes Gastspiel in Hamburg mit „A Dirty Faust“ und danach eines mit „Das Dorf“ in Bozen. Einen Nestroy haben sie schon, jetzt folgt „Nestervals Götterdämmerung“ im NEST. Auch dafür gibt es kaum noch Karten – die Fans sind treu und folgen ihrem Nesterval überallhin.
„Immersives Theater bedeutet, dass wir nicht nur die Bühne, sondern das ganze Haus bespielen – und das werden wir auch im NEST so machen“, so Martin Finnland. „Das Stück basiert auf dem Libretto Wagners, und auch die Musik wird präsent sein. Das Publikum sieht zu Beginn alle Charaktere und kann sich entscheiden, welchem es folgen und aus welchem Blickwinkel es die ‚Götterdämmerung‘ erleben will. Gerade bei diesem Stoff ist es spannend zu erfahren, was Siegfried oder Hagen machen, wenn sie nicht gerade Helden auf der Bühne sind. Man kann die ganze Bandbreite von deren Persönlichkeit erleben, was sie bewegt und warum sie Teil dieser Geschichte sind.“
Wie man große Stars auf eine kleine Bühne bekommt? Tür auf, Star rein, Tür zu!
Bogdan Roščić, Operndirektor
Und was machen Sie, Frau Ostertag?
Einen Nestroy hat Sara Ostertag auch schon, dazu ein paar Nominierungen. Nächstes Jahr übernimmt sie das TAG in der Gumpendorfer Straße. Jetzt noch schnell mal Staatsoper. Der Komponist Thierry Tidrow hat Carsten Brandaus preisgekröntes Kinderstück „Sagt der Walfisch zum Thunfisch“ zur Oper für Kinder gemacht. Ostertag hat in diesem Bereich ihre Regietätigkeit begonnen. „Ich glaube daran, dass man herausfordernde Dinge für ein junges Publikum machen muss. Ich finde es großartig, hier als erste Produktion eine Ästhetik und eine Spielform umzusetzen, die nicht superklassisch sind.“ Ostertags Arbeiten sind bühnenlastig, visuell, physisch und poetisch. „Grob-poetisch“, sagt Ostertag und lacht.
Und wie wird die Musik klingen? „Es ist Neue Musik. Sie ist extrem dicht, mit vielen Zitaten klassischer Werke.
Wenn man Vergleiche ziehen möchte, dann ist es eher Ligeti.“
Ist das etwas, was man jungen Menschen zumuten kann? Sara Ostertag lächelt. „Ich habe diese Frage früher sehr oft gehört. Wenn man sechs Jahre alt ist, dann sagt man nicht: ‚Das ist jetzt aber nicht Mozart.‘ Es stellt sich die Frage, ob ein Werk einen abholt, und das hat nichts mit zeitgenössisch oder klassisch zu tun, sondern damit: ‚Was will das Stück von mir?‘ Es ist jedenfalls ein Stück, das sehr komplex zu singen ist.Vor allem die Rolle des NOE verlangt sehr viel.“ Hans Peter Kammerer, Maria Nazarova und Anita Monserrat sind die drei, die singen.
Und was sagt der Direktor?
Ein neues Opernhaus zu eröffnen, ist weltweit einzigartig. Wie also geht es Bogdan Roščić damit? Stolz? Wir haben den Direktor zum Gespräch gebeten.
Herr Roščić, auf jedem öffentlich finanzierten Neubau in Österreich wurden früher Schilder montiert, wo draufstand, wer es politisch zu verantworten hatte. Kommt Ihr Name aufs NEST?
Aber ganz sicher nicht. Das Einzige, was an eine Direktion erinnern darf, sind Erlebnisse, die irgendwer irgendwann hoffentlich zahlreich in der Oper gehabt haben wird, sonst absolut nichts.
Wie fühlt es sich an, ein Opernhaus errichtet zu haben?
Wir hatten das Glück, dass sich ein Team von besonders kompetenten und netten Menschen um den Bau des NEST gekümmert hat. Wenn man dann von so engagierten Leuten das fertige Haus Raum für Raum übergeben bekommt, wie das Ende September der Fall war, ist das schon ein besonderer Moment. Als wir da jedes Detail durchgegangen sind, ist mir seltsamerweise erst so ganz klar geworden, wie genial dieser wunderbare Ort für unsere Pläne sein wird.
Wie kam es zu dem Deal? Wie muss man sich das vorstellen – kommt da Hans Peter Haselsteiner mit einem Geldkoffer und fragt: „Geld oder Haus?“
Da ich mir wenig Illusionen gemacht habe über eine Finanzierung durch die öffentliche Hand, habe ich früh begonnen, die Trommel zu rühren, Gespräche zu suchen. Dann kam auch noch Corona ... Die Oper hat ja keine Deals zu bieten, sondern immer nur Ideen. Und wenn man Glück hat, gerät man an einen Menschen, den Ideen interessieren, der sich für die richtige Idee begeistern kann. Das ist nicht selbstverständlich. So ein Glück war die Begegnung mit Hans Peter Haselsteiner. Von der Qualität der Umsetzung, über die er persönlich gewacht hat, kann man wie gesagt nur träumen.
Wie bekommt man eine derartig wunderbare Akustik hin?
Ich habe zwanzig Jahre meines Lebens mit dem Produzieren in allen möglichen Sälen weltweit verbracht und schon lange aufgegeben, gute Akustik verstehen zu wollen, das ist letztlich ein Mysterium. Man muss wahrscheinlich vor allem Glück haben, und das haben wir im NEST. Näher kann man der Musik nicht kommen.
Wie sehr haben Sie und Ihr Team versucht, im NEST baulich Dinge umzusetzen, die in der Oper nicht machbar sind?
Gar nicht. Das NEST kann und soll auch gar nicht mit der großen Staatsoper konkurrieren, es hat etwas ganz eigenes, anderes zu bieten. Oder anders gesagt: Dinge, die an der Oper nicht machbar waren, die können wir nun tun, weil es das NEST gibt – aber das ist keine bauliche Frage.
Die Staatsoper darf keine Zielgruppe haben. Sie muss für alle da sein.
Bogdan Roščić, Operndirektor
Klaus Albrecht Schröder ist mit der Albertina Modern Ihr Nachbar. Wie benimmt er sich bislang?
So etwas glaubt einem in Wien natürlich keiner, aber wir sind die besten Nachbarn.
Gibt es jetzt schon Momente, in denen Sie sich gedacht haben: Die zusätzliche Arbeit habe ich gebraucht wie Wasser in den Schuhen?
Am Theater sollte man am besten nur Dinge machen, von denen man der Überzeugung ist, dass sie getan werden müssen. Dann stellen sich gewisse Fragen gar nicht.
Welche Zielgruppen wollen Sie ansprechen?
Meine Haltung zu diesem Thema ist bekanntlich, dass die Staatsoper keine Zielgruppen haben darf, sondern für alle da zu sein hat. Aber genau diese schöne Mission kann sie durch das NEST jetzt erstmals ganz und gar erfüllen – Produktionen für Kinder, Jugendliche, Familien haben nun ihr Zuhause, können in hoher Qualität gemacht werden.
„Sagt der Walfisch zum Thunfisch“ ist, wenn man die ersten Musikproben anhört, nicht gerade ein Stück mit besonders eingängiger Musik. Angst, dass Kinder verschreckt werden könnten?
Also ich habe meiner Tochter neulich ein Stück vorgespielt, die meinte: „Das klingt ja wie ‚Star Wars‘.“ Aber ich würde generell empfehlen, das Thierry Tidrow zu überlassen, dem Komponisten des Werks. Es hat einen Grund, dass seine Kinderopern so erfolgreich sind, unter anderem den, dass er auch ein so junges Publikum niemals unterschätzt.
Nesterval macht die zweite große Erstproduktion, und die ist bereits ausverkauft. Was können die, was andere nicht können?
Ausverkauft ist vieles andere auch schon, aber bei Nesterval ist die Antwort doch ganz einfach – die machen seit Jahren brillantes Theater und haben sich ihr Publikum erspielt. Ich glaube, sie begeistern vor allem auch Menschen für das Theater, die noch nicht regelmäßig in normale Vorstellungen gehen. Und Begeisterung ist eben ansteckend.
Kate Lindsey wird gemeinsam mit Jan Lauwers ein Projekt machen. Wie kriegt man so große Stars auf eine doch sehr kleine Bühne?
Tür auf, Star rein,Tür zu! Es ist eigentlich sehr einfach, denn jede Künstlerin und jeder Künstler, denen das Haus bisher gezeigt wurde, waren von der Idee und auch von der Ausführung hingerissen. So ein kleiner, fast intimer, auf seine Weise perfekter Raum hat seinen ganz eigenen Glamour.
Zweites Haus ... check! Welches Großprojekt steht als Nächstes auf Ihrer To-do-Liste?
Wir bereiten eine ziemlich spektakuläre neue Idee vor, mit der künftig die Spielzeit der Staatsoper eröffnet werden soll. Das hat mir seit meinen ersten Erlebnissen am Haus vor über vierzig Jahren immer gefehlt, die Saison hat sich in Wien immer so eingeschlichen. Aber das präsentiere ich erst im kommenden April, zusammen mit der nächsten Saison eben.
Was würde passieren, wenn ich Ihnen jetzt noch eine Frage zum Opernball stellen würde?
Ich würde mit einem geübten Handgriff meine stets mitgeführte Hochglanzbroschüre mit den schönsten Opernball- Zitaten von Lotte Tobisch herausziehen, daraus könnten Sie sich dann ganz frei bedienen. Ich unterschreibe jedes Wort. Mein aktueller Favorit: „Mir würde ja genügen, wenn sich die Leute wieder benehmen und einem nicht ständig mit dem Arsch ins Gesicht fahren.“