Würde über einem der Fotos, die im Rahmen unseres Interviewtermins mit den Volkstheater-Spieler*innen Anna Rieser, Julia Franz Richter und Nick Romeo Reimann entstanden sind, irgendetwas mit „The …“ stehen, könnte man es glatt für ein Albumcover halten.Vielleicht sogar insofern ganz passend, als Theater und Musik wie auch Ensemblesystem und Bandgefüge gar nicht so wenig miteinander zu tun haben. Das Ensemblestück „Die Politiker“ von Wolfram Lotz, mit dem das Volkstheater im September die Spielzeit eröffnete, ist der beste Beweis dafür, wie eng Theater und Musik beieinanderliegen. Was noch für den Vergleich spricht: „Kay Voges wollte kein Ensemble aus lauter Einzelkämpfer*innen“, sagt Julia Franz Richter. Etwas, was auch dadurch deutlich wird, dass das Ensemble am Ende einer Vorstellung immer gemeinsam an die Rampe tritt, wie Reimann anmerkt.

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Abheben

Allerdings braucht es, um wirklich eine Bande (à part) zu werden, vor allem eines: viel gemeinsam verbrachte Zeit. Und davon gab es, der Pandemie geschuldet, auch am Volkstheater bisher eindeutig zu wenig. „Was ein Ensemble für mich ausmacht, sind auch die Begegnungen zwischen den Proben. In einer Zeit wie dieser merkt man deutlich, dass das ein Beruf ist, der sehr vom Austausch lebt. Natürlich auch mit dem Publikum“, erklärt Julia Franz Richter, die parallel zum Theater auch regelmäßig für Filme und Fernsehserien vor der Kamera steht. 

Zur Person: Julia Franz Richter

Studierte Schauspiel in Graz und war Ensemblemitglied am Volkstheater München wie auch am Schauspielhaus Graz. Ihre erste Spielfilmrolle hatte sie in „L’Animale“, 2020 wurde sie für ihre Rolle in „Der Taucher“ mit dem Schauspielpreis der Diagonale ausgezeichnet. Seit der Spielzeit 2020/21 gehört sie zum Ensemble des Volkstheaters.

Vor ihrem Engagement am Volkstheater spielte sie unter anderem am Schauspielhaus Graz. „Für mich hat das Engagement am Volkstheater gut gepasst, weil ich in Wien gut vernetzt bin und ohnehin gerne hierher zurückwollte“, erzählt sie und fügt hinzu, dass diese Art von Neustart nicht nur für einen selbst, sondern auch für die Stadt sehr bereichernd sein kann. „Ich finde, dass kulturpolitisch in Wien viele Dinge ziemlich eingefahren sind. Somit war die Möglichkeit, etwas Neues mitzugestalten, für mich ein wichtiger Motor.“ Auch Anna Rieser, die zuletzt mit „Einsame Menschen“ am Volkstheater Premiere feierte, findet es reizvoll, an diesem Neubeginn mitzuarbeiten, der zu dem Zeitpunkt, als die Theater wieder schließen mussten, bereits erste Früchte der bisherigen gemeinsamen Arbeit erkennen ließ. Auf der metaphorischen Flugpiste standen die Zeichen also eindeutig auf Abheben. 

Sisi ist Sisi ist nicht Sissi

In „Ach, Sisi – Neunundneunzig Szenen“ entwirft Regisseur Rainald Grebe ein Theater-Universum, bei dem sich alles um Kaiserin Sisi dreht. Volkstheater-Ensemblemitglied Christoph Schüchner beschreibt die tragische Kaiserin auch als Grenzgängerin. Weiterlesen...

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„In den Alpen // Après les Alpes“

Obwohl es zunächst vielleicht etwas widersprüchlich klingt, passt das Bild eines Flughafens ganz gut, um zu jenem Stück überzuleiten, das Anna Rieser, Julia Franz Richter und Nick Romeo Reimann gemeinsam geprobt haben – und vor der Premiere, die zum Zeitpunkt unseres Gesprächs noch nicht feststeht, auch wieder proben werden. Ein wesentlicher Bestandteil des Bühnenbilds des zweigeteilten Abends „In den Alpen // Après les Alpes“ ist nämlich eine Start- und Landebahn. Das von Claudia Bossard inszenierte Stück verknüpft Elfriede Jelineks „In den Alpen“ mit einem Text des in Graz lebenden kongolesischen Autors Fiston Mwanza Mujila.

Ausgehend von Jelineks Text rund um das Bergbahnunglück von Kaprun, der aufgrund seiner Vielschichtigkeit zahlreiche Bezüge zur Gegenwart bereithält, entwickelt sich im zweiten Teil ein postkolonialer Diskurs. „Fistons Text wirkt wie eine Linse, durch die man das Stück von Elfriede Jelinek gut betrachten kann“, bringt es Nick Romeo Reimann auf den Punkt. Als verbindendes Element zwischen den beiden Texten fungiert unter anderem die Thematisierung von Verantwortung (wie auch des Fehlens derselben). 

Zur Person: Nick Romeo Reimann

Der gebürtige Münchner steht seit
seinem siebten Lebensjahr für diverse TV-Produktionen vor der Kamera. Er gehörte u. a. zum Cast der „Wilden Kerle“ und der „Vorstadtkrokodile“. Reimann studierte Schauspiel an der Otto-Falckenberg-Schule in ­München. Seit der Spielzeit 2020/21 ist er Teil des Volkstheater-Ensembles. 

„In ihren Texten fordert Elfriede Jelinek die Österreicher*innen dazu auf, die Verantwortung für die Geschichte wahr- und anzunehmen. Fiston Mwanza Mujila setzt sich auf einer globaleren Ebene mit dem Thema auseinander und verbindet das österreichische Narrativ vom Land der Berge mit dem Raubbau an den Ländern des sogenannten Globalen Südens. Die Probenarbeit war auch eine Suche danach, wie man eine Verbindung zwischen diesen beiden Stücken schafft“, erklärt Julia Franz Richter.

Gemeinsame Suche

Nick Romeo Reimann fügt hinzu: „Ich lobe es sehr, dass damit ein Stück auf dem Spielplan steht, das sich mit postkolonialer Aufarbeitung beschäftigt – und es nicht wieder um Männer geht, die noch genialer werden wollen.“ Abgesehen von drei Schauspielern bestand das Team von „In den Alpen // Après les Alpes“ nur aus Frauen. „Die Arbeit an dem Stück war unglaublich angenehm“, sagt Nick Romeo Reimann, der direkt nach seinem Abschluss an der Otto-Falckenberg-Schule in München Ensemblemitglied am Volkstheater wurde. „Außerdem hatte ich zum ersten Mal so richtig das Gefühl, wirklich frei und losgelöst Dinge ausprobieren zu können.“

Auf eine gemeinsame Suche begab sich während der vergangenen Monate jedoch nicht nur das Team von „In den Alpen // Après les Alpes“, sondern das gesamte Ensemble des Volkstheaters. Wie das gemeint ist? Anna Rieser erklärt es folgendermaßen: „Ein Credo, das Kay uns mitgegeben hat, lautet, dass wir alle nicht wissen, wie Theater hier funktionieren kann, und wir deshalb gemeinsam auf der Suche sind. Ein schöner Ansatz, finde ich.“ 

Zur Person: Anna Rieser

Für ihre Rolle in „Dogville“ am Landestheater Linz wurde die gebürtige Salzburgerin mit einem Nestroy ausgezeichnet. Sie studierte Schauspiel am Mozarteum und wurde danach ans Linzer Landestheater engagiert,
wo sie bis 2020 blieb. Seit der Spielzeit 2020/21 ist Anna Rieser Ensemble­mitglied am Volkstheater in Wien.

Dass so eine Suche immer auch Zeit braucht, darin sind sich Reimann, Richter und Rieser einig. Und weil Dinge, die Zeit brauchen, immer auch etwas Geduld erfordern, würden sie sich wünschen, dass man dem Haus mitsamt all seinen Ideen etwas geduldiger begegnet. „Außerdem sollte man es keinesfalls auf die Abende auf der großen Bühne reduzieren, denn das Konzept ist so viel mehr als das“, ergänzt Anna Rieser. 

Raum für eigene Projekte

Dieses „Mehr“, von dem die Schauspielerin spricht, ergibt sich auch aus einer großen Offenheit, wie Nick Romeo Reimann bekräftigt: „Wir wurden von Anfang an dazu eingeladen, selbst Ideen und eigene Arbeiten einzubringen, denen dann Raum und Zeit gegeben wird. Zum Beispiel für Formate in der Roten Bar.“ Auch er weist darauf hin, dass sich abseits der großen Bühne bereits sehr viel tut, und erwähnt in diesem Zusammenhang die Stücke von Calle Fuhr und die diskursiven Abende, die Dramaturg Matthias Seier regelmäßig auf die Beine stellt. 

Bande á part
Nick Romeo Reimann und Uwe Rohbeck in „humanistää!".

Foto: Nikolaus Ostermann

Nick Romeo Reimann und Julia Franz Richter stecken zum Zeitpunkt des Interviews außerdem noch in den Proben von „humanistää!“, einem Abend, der zwei Stücke von Ernst Jandl miteinander verbindet und von Claudia Bauer inszeniert wird. „Ein physisch sehr anspruchsvoller Abend. Zweieinhalb Stunden Hochleistungssport“, fügt Reimann hinzu. Eine gute Kondition braucht aber auch Anna Rieser im Stück „Ach, Sisi – Neunundneunzig Szenen“, das ebenfalls auf das neue Jahr verschoben werden musste. Warum es körperlich so herausfordernd ist, wird das Publikum aber nur zum Teil mitbekommen.

„Weil es so viele Szenen sind, rennen wir hinter der Bühne die ganze Zeit von A nach B. Eigentlich müsste man die Hinterbühne filmen und sehen, was dort passiert. Das ist vielleicht sogar noch lustiger als das Stück selbst“, sagt die Schauspielerin lachend. Dagegen, sich auf der Bühne körperlich zu verausgaben, haben alle drei nichts einzuwenden. Ganz im Gegenteil. Oder, um es mit den Worten von Nick Romeo Reimann zu sagen: „Wenn man nicht schwitzt, hat man nicht gespielt.“

Bande á part
Andreas Beck, Anna Rieser, Anke Zillich, Christoph Schüchner in „Ach, Sisi".

Foto: Marcel Urlaub

Zum aktuellen Spielplan des Volkstheaters