Die Wut, die muss raus. So klar, so gut. Dass das jedoch häufig einfacher gesagt als getan ist, zeigt das Stück „Aqua Tofana“ von Ivana Sokola, das am 15. Jänner im Kosmos Theater seine Uraufführung erlebte. Den drei wütenden FLINTA*-Personen im Zentrum des Textes, die in Jana Vettens Inszenierung von Shabnam Chamani, Julia Franz Richter und Lara Sienczak gespielt werden, ist im ersten Teil des Stücks nämlich so gar nicht nach Rausgehen zumute. In einer Höhle unter der Erde wollen sie sich vom kräftezehrenden Kampf gegen das Patriarchat erholen – einfach mal entspannen. Doch: Die Wut muss raus. Sie brodelt in ihnen weiter, kocht immer wieder hoch und treibt sie schließlich zurück an die Erdoberfläche.

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„Ich hoffe, dass der Abend es schafft, gerade FLINTA*-Personen so anzusprechen, dass sich eine Tür zu ihrer eigenen Wut öffnet“, sagt Jana Vetten, die wir einen Tag vor der Premiere im Kosmos Theater treffen. Sie fügt hinzu: „Das ist auch ein sehr persönliches Thema für mich, weil ich, wie viele von uns, gelernt habe, meine Wut nicht zu spüren und stattdessen zum Beispiel Traurigkeit zu empfinden. Irgendwann habe ich aber begonnen, meine Wut als Kraftquelle zu nutzen. Als eine Kraft, die auch deshalb etwas Positives hat, weil sie ja im Grunde eine Grenze markiert. Bis hierhin und nicht weiter sozusagen.“

Mich interessiert die transformative Kraft von Wut und die Schubkraft, die daraus entstehen kann.

Jana Vetten, Regisseurin

Doppelte Müdigkeit

Das sei jedoch nur eine Facette einer Vielzahl an Aspekten, die Ivana Sokola rund um das Thema Wut aufmacht, ergänzt Vetten, die zuletzt am Schauspiel Köln inszenierte. „Mich interessiert die transformative Kraft von Wut und die Schubkraft, die daraus entstehen kann. Ich verstehe aber auch den Drang, sich zurückzuziehen, weil sich nach Jahrhunderten der immergleichen Kämpfe eine gewisse Müdigkeit eingestellt hat. Zusätzlich zu jener Müdigkeit, die aus Sorgearbeit resultiert. So sind wir auch zu unserer Grundsituation gekommen“, hält die Regisseurin fest.

Das Thema beschäftige sie schon länger, merkt sie nach einer kurzen Pause an. Deshalb sei sie auch mit einem Rucksack voller Texte und Materialien in die Proben gestartet. „Unser erster Impuls war, über historische Figuren, denen ihre Stimme genommen wurde, nachzudenken. Beispielsweise über Anna O. Wir haben aber auch über Hexenverbrennungen gesprochen.“

Aqua Tofana
„Aqua Tofana“: Noch bis 1. Februar im Kosmos Theater.

Foto: Bettina Frenzel

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Laut und unbequem sein

„Aqua Tofana“ ist Jana Vettens dritte Zusammenarbeit mit Ivana Sokola. Und die intensivste, wie die Regisseurin hinzufügt. „Es ist das erste Mal, dass wir von Beginn an zusammengearbeitet haben.“
So gab es unter anderem eine Recherchewoche, in der sich das Team gemeinsam mit den Spieler*innen und der Musikerin Katharina Maria Trenk dem Thema der feministischen Wut angenähert hat. „Wir haben zusammen Ideen und Gedanken gesammelt, dann hat Ivana wieder geschrieben. So ging das immer hin und her“, erläutert die Regisseurin, die unter anderem die kraftvolle und poetische Sprache Sokolas sehr schätzt. „Wir haben außerdem ein sehr ähnliches Theaterverständnis“, fügt sie hinzu. „Uns verbindet unter anderem eine große Lust an Situationen und an einer speziellen Körperlichkeit. Was Theater meiner Meinung nach so besonders macht, ist, dass es eine Einladung in eine andere Welt sein kann – eine Einladung zum gemeinsamen Nachdenken und Fragen stellen.“

Auch die Arbeit an „Aqua Tofana“ sei rasch eine sehr körperliche gewesen, erzählt sie. „Wir haben uns beispielsweise angesehen, wo die Wut im Körper sitzt und was sie in diesem auslöst. Macht sie den Hals zu? Verursacht sie einen Bauchschmerz? Ich wünsche mir, dass die Lust mit diesem Gefühl zu spielen, vielleicht auch auf das Publikum überspringt.“

Wut kann darüber hinaus auch bedeuten: Raum einnehmen, laut und unbequem sein. Dinge, die weiblich gelesenen Personen häufig abgesprochen werden. Dieses Unbequeme herauszuarbeiten sei auch in den Proben eine Herausforderung gewesen, sagt Jana Vetten. „Es gab dann irgendwann den Punkt, an dem ich mir dachte: Irgendwie ist das zu glatt, zu schön inszeniert.“ Sie lacht.

Diesbezüglich hätten sie sich bei Katharina Maria Trenk viel abschauen können. Die Musikerin führt als eine Art Zeremonienmeisterin durch das Stück, hat die gesamte Soundwelt komponiert und intensiv mit dem Chor gearbeitet. „Es war toll, mit ihr zu zusammenzuarbeiten“, hält Jana Vetten fest, bevor sie wieder zurück in die Probe muss. „Text, Körper und Musik sind in meinen Arbeiten immer gleich wichtig.“

Auch die Arbeit von Camilla Hägebarth, die für Bühne und Kostüm verantwortlich zeichnet, möchte sie unbedingt erwähnen. „Dadurch ist es uns gelungen, wirklich eine eigene Welt auf die Bühne zu zaubern – eine echte, große Setzung zu machen“, so Vetten.

Und jetzt muss sie wieder rein – in den Saal, in dem die Endproben auf Hochtouren laufen. Damit das Stück am Premierentag dann auch wirklich raus kann. Und mit der Premiere auch all die wunderschöne, wichtige Wut.

Zu den Spielterminen von „Aqua Tofana“ im Kosmos Theater!