Akribische Spurensuche
Was geschah mit den Künstler*innen der Volksoper, die ab 1938 attackiert, vertrieben und erniedrigt wurden? Ein Buch rehabilitiert diese Menschen und gibt ihnen ihre Geschichte zurück.
„Gruß und Kuss aus der Wachau“. So lautete der Titel jener Revueoperette, die für zahlreiche Persönlichkeiten der Volksoper Wien das Karriere-Aus – und für manche auch den Tod – markierte. Denn das fröhliche Heile-Welt-Stück des Komponisten Jara Beneš befand sich gerade in der heißen Probenphase, als 1938 Österreichs „Anschluss“ an das Deutsche Reich stattfand und verdiente jüdische Mitarbeiter*innen oder solche mit abweichender politischer Haltung das Haus unverzüglich verlassen mussten, während andere ihre Chance gekommen sahen und – meist aus der zweiten oder dritten künstlerischen Reihe – ins Rampenlicht drängten.
Die Volksoper Wien, 1898 mit antisemitischer Satzung gegründet und in den ersten Jahren ihres Bestehens „arischen Talenten“ vorbehalten, setzt sich aus Anlass ihres 125. Geburtstag mit ihrer schmerzvollen Vergangenheit auseinander und bringt am 14. Dezember „Lass uns die Welt vergessen – Volksoper 1938“ auf die Bühne. Darin werden auch jene Talente, die „Gruß und Kuss aus der Wachau“ erst ermöglicht haben, noch einmal symbolisch auf die Bühne gebracht: Das Ensemble von heute verleiht dem Ensemble von damals Gesicht und Stimme. Basis dafür bildet das Buch „‚Ihre Dienste werden nicht mehr benötigt‘. Aus der Volksoper vertrieben – Künstlerschicksale 1938“ der Historikerin Marie-Theres Arnbom, in dem diese recherchierte, welches Schicksal die Menschen ereilte.
Geflohen, überlebt, ermordet
Alexander Kowalewski, seit 1935 Direktor der Volksoper, flieht nach Nizza und überlebt den Krieg unter nicht geklärten Umständen. Er kehrt 1947 nach Wien zurück, wo er 1948 verschuldet stirbt. Librettist Hugo Wiener flieht nach Kolumbien, während seine Mutter und Schwester im KZ ermordet werden. Er kehrt nach Österreich zurück und startet mit seiner Frau Cissy Kraner eine erfolgreiche Kabarettkarriere. Sein Kollege Fritz Löhner-Beda wird zunächst nach Buchenwald deportiert und 1942 im KZ Auschwitz erschlagen.
Der musikalische Leiter Kurt Herbert Adler kann nach New York fliehen und macht in den USA eine glänzende Karriere. Von 1953–’81 leitet er die San Francisco Opera und weigert sich zeitlebens, sich als Opfer zu sehen. Regisseur Kurt Hesky reist nach Brasilien aus; über sein weiteres Leben ist nichts bekannt. Sänger Viktor Flemming kann nach Luxemburg fliehen, wird von dort aber nach Theresienstadt und 1944 mit dem letzten Transport nach Auschwitz deportiert, wo ihn die Nazis umbringen. Und auch die Volksopern-Sopranistin Ada Hecht wird in Auschwitz ermordet.
„Ihre Dienste werden nicht mehr benötigt“Aus der Volksoper vertrieben – Künstlerschicksale 1938, Marie-Theres Arnbom