Wer, was, wie? Sollten Sie bei Erwähnung der Operette „Das Spitzentuch der Königin“ keinen blassen Schimmer haben, worum es dabei gehen könnte, sind Sie damit nicht allein. Auch Sopranistin Elissa Huber und Regisseur Christian Thausing bekennen, dass sie zum ersten Mal davon gehört hätten, als man sie dafür angefragt hat.

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Dabei war das Singspiel des Walzerkönigs Johann Strauss, dessen 200. Geburtstag heuer gefeiert wird, nach seiner Uraufführung 1880 umgehend ein großer Erfolg. Doch weil sich darin – wiewohl im fernen Portugal spielend – kaum verhohlene Anspielungen auf Kronprinz Rudolf fanden, war nach dessen Selbstmord 1889 in Mayerling an weitere Aufführungen nicht mehr zu denken. „Das Spitzentuch der Königin“ landete in der musikhistorischen Mottenkiste, aus der es nun vom Theater an der Wien befreit wird. Es erlebt im Jänner 2025 beinahe so etwas wie eine zweite Uraufführung.

„Mich hat fasziniert, dass es keine Referenzen gibt“, so Christian Thausing.

„Die Musik ist überwältigend und setzt viele Glanzlichter. Strauss hat sich an unterschiedlichen Einflüssen ausprobiert, manchmal ist der Klang voll und süffig, dann aber auch wieder sehr fein und spritzig. Aus der Operette ist nur der Walzer ‚Rosen aus dem Süden‘ auch heute noch bekannt. Dabei hat sie so viel mehr zu bieten.“ Die größte Herausforderung sei gewesen, dass es zwar fünf Textbücher, aber keine in sich kongruente gültige Spielfassung gegeben habe.

„Eine solche haben wir nun erarbeitet und hoffen, einen roten Faden gefunden zu haben, der für heutige Zuschauer auch lesbar ist. Wobei es erstaunlich ist, wie die damals getätigten Anspielungen auf Politiker noch immer funktionieren.“ Möglicherweise trägt die neu entstandene Fassung auch dazu bei, dass es die Operette künftig wieder regelmäßig auf die Spielpläne schafft.

„Johann Strauss war ein Rockstar. Der Number-one-Hit-Produzent seiner Zeit. Es ist ihm gelungen, mit einer sehr intelligenten, differenten Musik die Massen zu begeistern und Tanzsäle rund um die Welt zum Beben zu bringen. In Chicago hat man ihm extra ein Festzelt für 120.000 Menschen gebaut. Das muss man sich einmal vorstellen“, gerät Christian Thausing ins Schwärmen.

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Der im Titel erwähnte Johnny Depp bezieht sich auf die Mantel-und-Degen-Ästhetik, die dem Regisseur für seine Inszenierung vorschwebt. Und da sei ihm prompt der Hollywoodstar in seiner Rolle in „Fluch der Karibik“ als Äquivalent des Dichters Cervantes, der die Handlung der Operette maßgeblich prägt, vor das geistige Auge getreten.

Monarchin mit Anspruch

Elissa Huber erzählt indes, dass ihr bei der Lektüre des Librettos bezüglich der Figur der Königin sofort Penélope Cruz als Angelica im vierten Teil von „Fluch der Karibik“ in den Sinn gekommen sei. Sie und Christian Thausing kennen sich seit vielen Jahren, ihre erste Zusammenarbeit geschah im Rahmen einer „Fledermaus“-Produktion in Graz. Es darf wohl als gutes Zeichen gewertet werden, dass beide eine ähnliche Assoziationskette haben.

Elissa Huber hat vor, ihre Königin mit Temperament und Leidenschaft auszustatten. „Das ist beim ersten Blick in die Partitur zwar nicht gleich ersichtlich, weil sie eher unscheinbar wirkt, aber mir ist wichtig, solchen Rollen eine moderne Sicht mitzugeben. Die schönen Melodien spiegeln nicht immer die Emotionen wider, was einem aber auch mehr Freiheiten bei der Zeichnung der Persönlichkeiten erlaubt. Gerade aus den Zwischentönen kann etwas Spannendes entstehen.“

Sie sehe die Königin als eine Frau, die durchaus etwas zu sagen habe. „Sie hat sich unter der Ehe mit dem König etwas anderes vorgestellt und ist nicht einverstanden mit dem Status quo. Und sie gibt nicht auf, bis sie die Liebe bekommt, die sie verdient.“ Textverständlichkeit sei das A und O bei „Das Spitzentuch der Königin“, weil viel wichtiger Inhalt in den Arien verhandelt werde.

Christian Thausing
Christian Thausing arbeitet vor allem als Musiktheater-Regisseur. Er inszenierte u. a. „Anatevka“ an der Oper Graz, Tobias Pickers „Thérèse Raquin“ an der Kammeroper Wien, schrieb und setzte „Alpha Centauri“ in Luxemburg in Szene und trug mit seinen Arbeiten zur Wiederbelebung der Operettentradition im Stadttheater Leoben bei.

Foto: Florian Thausing

Erster Zuschauer

„Sie hat eine großartige Stimme und ist eine tolle Darstellerin“, fasst Christian Thausing zusammen, was Elissa Huber seiner Meinung nach für die Rolle der Königin prädestiniert.
„Einer der Vorzüge des Theaters an der Wien besteht darin, dass man bei der Besetzung Mitspracherecht hat und auch schon früh weiß, wer dabei sein wird. Mir hat es beim Schreiben der Textfassung sehr geholfen, schon jemanden im Kopf zu haben. Man sagt, Quentin Tarantino habe Christoph Waltz vieles auf den Leib geschrieben. Und ich musste beim Schreiben einzelner Szenen auch manchmal schmunzeln, wenn ich mir ausgemalt habe, wie Elissa das auf die Bühne bringen würde.“

Christian Thausing hat schon Kurz- und Werbefilme gedreht, Musikveranstaltungen organisiert und Off-Theater-Produktionen realisiert. Er schätzt zeitgenössische Uraufführungen und setzt ihnen als Kontrapunkt immer wieder gerne Operetten entgegen. Einer seiner bisher größten Erfolge war „Anatevka“ an der Oper Graz, wo er 2023 auch die österreichische Erstaufführung von Marius Felix Langes Jugendoper „Krieg. Stell dir vor, er wäre hier“ inszenierte.

Warum ist eigentlich Regie die von ihm gewählte Kunstform? „Vielleicht ist es wie bei Johann Strauss, der angeblich selbst nicht Walzer tanzen konnte. Ich kann weder singen, noch bin ich ein Schauspieler. Aber ich habe einen guten Blick, kann die Beteiligten von meiner künstlerischen Mission überzeugen und die mir gestellte Aufgabe hoffentlich handwerklich so umsetzen, dass der Abend für das Publikum befriedigend verläuft. Ich sehe mich lieber als ersten Zuschauer denn als Akteur auf der Bühne oder im Orchestergraben.“

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Absolute Stille

Elissa Huber war erfolgreiche Musicaldarstellerin, ehe sie alles auf eine Karte setzte, ein zweites Gesangsstudium absolvierte und ins Opernfach wechselte. „Wenn man ein Stück acht Mal pro Woche spielt, wie beim Musical üblich, gehen einem die Vielfalt und die Aspekte der Kreation ein wenig verloren. Mir hat auch die Ruhe gefehlt, denn meine Lieblingsmomente in der Oper oder beim Konzert sind jene der absoluten Stille, bei denen man eine Stecknadel fallen hören könnte, weil das Publikum so gebannt ist.“ Sie habe allerdings viel Wertvolles aus dem Musical in die Oper mitnehmen können.

„Meine Stimme ist durch das Belting (Gesangstechnik, bei der man die Stimme kraftvoll und durchdringend im oberen Brustregister einsetzt; Anm.) sehr robust. Und ich habe keine Angst vor der Verbindung von Stimme und Körperlichkeit. Für mich gibt es auf der Bühne diesbezüglich fast keine Grenzen, weil ich meine Stimme auch in physischen Extremsituationen zu benutzen weiß: egal ob ich tanze, laufe oder auf dem Rücken liege.“

Auch zur leidigen Regiediskussion in der Oper hat sie eine klare Meinung. „Der eine will immer noch Otto-Schenk-Inszenierungen sehen, der andere möchte sich mit der gegenwärtigen Welt auseinandersetzen. Wir haben das Glück, dass wir uns beides erlauben dürfen. Wir können die verstaubteste ‚Zauberflöte‘- Inszenierung rausholen, oder wir können sie, mit Synthesizern bearbeitet, auf dem Mond spielen lassen.“

Hier zu den Spielterminen von Das Spitzentuch der Königin im Theater an der Wien!