Andy Warhol hat es vorausgesagt: „Du musst mit deinem Circus Roncalli nach New York gehen. Die werden es lieben.“ Das war Mitte der 1980er-Jahre. Manche Dinge brauchen, aber Andy Warhol sollte recht behalten: Als der Circus Roncalli vergangenen Winter vor dem Lincoln Center sein Zelt aufschlug, war nicht nur Robert De Niro begeistert, sondern auch 100.000 weitere New Yorker. Ein paar tausend Kilometer weiter, in Berlin, begeisterte parallel dazu der Roncalli Weihnachtscircus ebenso viele Besucher im Tempodrom. Und ein paar hundert Kilometer weiter nordwestlich, in Hamburg, besuchten drei Millionen Menschen den Roncalli Weihnachtsmarkt. Die Show im Apollo Varieté in Düsseldorf war auch ausverkauft, und der Mann, der das alles erfunden hat, sagt darauf angesprochen lapidar: „Jo, eh ...“

Anzeige
Anzeige

Bernhard Paul macht eine Pause und sagt lächelnd: „Ihr habt bei der Aufzählung die anderen Weihnachtsmärkte und Shows vergessen.“

Jo, eh.

Paul war Art-Direktor des „profil“ und der Werbeagentur GGK, gründete dann den Circus Roncalli, wurde als Clown Zippo berühmt, gründete sein eigenes Theater in Düsseldorf, drehte Filme, spielte und kreierte Shows für die Kelly Family und viele andere. Nebenbei sammelt Paul manisch alles, von dem er glaubt,„es könnte verloren gehen“. Unter anderem auch alles von den Beatles. Paul McCartneys – als Lob – gemeinter Kommentar: „Ein echt verrückter Typ!“

Der Verrückte ist jetzt 77 und wieder auf Roncalli-Tour – auch durch Österreich.

Weiß die Welt, dass Sie das „Ein Tag ohne Lächeln“-Zitat erfunden und Chaplin zugeschrieben haben?

Anzeige
Anzeige

(Lacht.) Das ist viele Jahre her. Ich habe für unser Roncalli-Programmbuch ein Zitat gesucht und mich durch Zitatebücher gelesen und hab dann ein so ähnlich klingendes gefunden und begonnen herumzubasteln. „Lachen“ stand dort, daraus wurde „Lächeln“, und zuletzt habe ich „Charlie Chaplin“ druntergeschrieben, um zu sehen, wie es aussieht. Mein Geschäftsführer fand das Zitat so großartig, dass er dann Plakate damit gedruckt hat – überall gezeichnet mit „Charlie Chaplin“, und so ging es die Runde. Irgendwann hat mich Geraldine Chaplin besucht und mich gefragt, wo ich das Zitat herhabe, weil sie so oft darauf angesprochen werde. Dass es nicht von ihrem Vater war, wusste sie. Ich habe es ihr dann erzählt, und sie konnte sich gar nicht mehr einkriegen vor Lachen und hat gemeint: „Mein Vater hätte die Geschichte geliebt.“

Was kann Zirkus besser als Theater?

Es sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Beide eint, dass irgendwo ein Publikum sitzt und an einer anderen Stelle jemand auftritt. Aber das ist auch bei Gericht und im Parlament so. (Lacht.) Ich meine, der Zirkus hat dem Theater einiges voraus. Zum Beispiel ist er die einzige Aufführungsstätte, wo das Kind und der Intellektuelle an derselben Stelle lachen.

Ich behaupte: So wie der Zirkus, den Sie erfunden haben und auch machen, so hat der Zirkus nie ausgesehen.

Ich habe jenen Zirkus gemacht, den ich mir als Kind zurechtgeträumt habe – unsere vergoldeten Wagen, wie wir den Einlass und die ganze Optik gestalten. Ich als Grafiker hab das Logo gestaltet, die Uniformen, die Schrift. Das alles wird bei fast allen anderen Zirkussen auf der Welt kopiert. Auch die Dramaturgie des Programms – etwa mit dem poetisch-ruhigen Ende. Guy Laliberté, der Gründer des Cirque du Soleil, hat einmal gesagt:

„Ohne Roncalli würde es Soleil nicht geben.“ Guy hat auf Roncalli aufgebaut und „Holiday on Ice“ in der Manege gemacht.

Wunderbar, aber nicht meins.

Andy Warhol hat gesagt: In New York werden sie deinen Circus lieben. 40 Jahre später war es so weit, und er hatte recht.

Bernhard Paul

Wohin entwickelt sich der Zirkus?

Das kann man nicht vorausbestimmen. Ich habe schon vor über zwanzig Jahren erkannt, dass Tiere nichts in der Manege verloren haben. Wir versuchen auch, unseren Circus plastikfrei zu bekommen, und bieten vegane Gerichte. Gleiches gilt für das Programm: Früher haben wir mit vielen russischen und ukrainischen Künstlerinnen gearbeitet. Das geht jetzt nicht mehr. Jetzt treten bei uns Artisten aus Peru und aus Kuba auf, und die geben dem Ganzen eine völlig neue Lebensfreude. Das war auch für das Programm in New York extrem wichtig – wir sind ja dort acht Wochen lang ausverkauft gelaufen. Ich habe mir das viele Jahre gewünscht, dass ich einmal in New York Erfolg haben werde. Das war ein Quantensprung.

Sie sind jemand, der wahnsinnig gerne provoziert. Was geht Ihnen gerade am meisten auf die Nerven?

Dieses ganze Getue und Künstliche geht mir total am Arsch. Der Zirkus ist eine der ältesten multikulturellen Gesellschaften. Niemand wundert sich bei uns, wenn jemand bunt und in Stöckelschuhen herumrennt. Das gab es schon in den 1920er-Jahren – die Kraftmänner mit den Stöckelschuhen. Aber wenn es als etwas Besonderes hervorgehoben wird, dann nervt es mich, ebenso wenn man immer nachdenken muss, wen man gerade wie nicht verletzen darf. Jeder soll so sein, wie er ist, aber die Künstlichkeit geht mir ... Aber das habe ich ja schon vorher gesagt. (Lacht.)

Wie schafft man es nach mehr als vierzig Jahren in Deutschland, noch immer so wienerisch zu klingen?

Authentisch ist der Herr. Wenn ich dieses Deutsch-Deutsch höre, dann wird mir schlecht. Deswegen rede ich so, wie ich aufgewachsen bin, wie ich in der Schule war und wie es in meiner Heimat war.

Wenn Sie länger in Wien sind, wollen Sie aber auch wieder weg. Warum?

Ich bin halt ein Gaukler. Ich muss alle paar Wochen meinen Standort wechseln. Ich esse ja auch nicht jeden Tag Wiener Schnitzel oder etwas Französisches. Wenn ich mir vorstelle, dass ich ein Leben lang in einer Stadt leben müsste, da kriege ich Platzangst.

Rapper Sido hat mir erzählt, dass er in seinem Kinderzimmer ein Poster von Ihnen hatte, als Clown Zippo. In dieser Rolle sorgen Sie für ausverkaufte Hallen. Warum spielen Sie kaum mehr?

Ich bin 77 und kann nicht mehr zweimal am Tag eine 25-minütige Clownnummer mit Stepptanz und Handstand machen. Neulich wurde ich im Ruhrfestspielhaus geehrt, und da gab es dann minutenlange Standing Ovations. Das hat nicht nur, aber auch mit meiner Rolle als Zippo zu tun. Vielleicht werde ich beim 50-Jahre-Jubiläum noch einmal auftreten. Googeln Sie einmal „berühmte Clowns“, da kommt Zippo oder auch mein Name teilweise schon an dritter Stelle weltweit.

Hamlet

Sein oder Nichtsein?

Ist das wirklich die Frage? Oder wirft Shakespeares weltberühmte Tragödie nicht noch spannendere Fragen auf? Regisseurin Karin Henkel hat die Hamlet-Figur auf fünf Spieler*innen aufgeteilt und möchte begeistern statt entgeistern. Weiterlesen...

Kaum jemand in Österreich weiß, dass Sie in Deutschland ein Entertainment-Imperium aufgebaut haben, in der Saison mit bis zu tausend Mitarbeitern. Sie inszenieren nicht nur Zirkus, sondern auch Shows und Opern. Warum stapeln Sie hier so tief ?

Oper war nur einmal, muss ich gestehen – aber wir haben tolle Kritiken bekommen. Immerhin: Wir haben 30-mal ausverkauft Leoncavallos „Bajazzo“ in Schwerin gespielt. Viele Projekte gehen sich zeitlich nicht aus. Aber ich mache Shows in Opernhäusern, „Circus meets Classic“. Zu der Frage: Ich gehe nicht mit meinen Erfolgen hausieren, und oftmals wird mein Tun auch nicht so von den Medien beachtet. Das aber nicht als Jammern verstehen – man weiß manchmal nicht genau, wo man uns hintun soll ...

Sie sind, wie gesagt, 77. Wann gehen Sie in Pension?

Künstler haben nicht das Recht, in Pension zu gehen, weil sie einen Beruf haben, der Freude macht, und das haben nicht viele Menschen. Ich hätte laut Staat bereits vor vielen Jahren in Rente gehen können. Ihre Kunst auszuüben ist für Künstler lebenswichtig. Zirkus ist Kunst, eine Art Theater. Das Wunderbare ist, dass diese künstlerische Liebe meines Lebens noch immer so gefragt ist. Und so darf ich diese Kunst immer wieder neu justieren und neu erfinden. Das hält mich am Laufen und am Machen.

Künstler haben nicht das Recht, in Pension zu gehen, weil sie einen Beruf haben, der ihnen Freude macht.

Bernhard Paul

Manfred Deix war einer Ihrer engsten Freunde. Wie sehr vermissen Sie ihn?

Ich vermisse Manfred jeden Tag.

Warum fehlt er Österreich? Warum Ihnen?

Naja. Wir haben uns oft jeden Tag angerufen und uns dann fürchterlich über irgendwelche Typen aufgeregt oder uns lustig gemacht. Es war eine Freundschaft, die es selten gibt. Wir waren immer einer Meinung, und er hatte einfach Schmäh. Österreich ist einfach sehr speziell. Schmäh gibt es in Deutschland nicht. Was deutsche Kabarettisten da so machen, das ist kein Schmäh.

Sie haben einmal gesagt, dass bei Ihrem Begräbnis „Farewell My Friend“ von Dennis Wilson gespielt werden soll.

Manfred Deix und ich sind einmal zusammengesessen und haben darüber gesprochen, welche Musik wir gerne bei unseren Begräbnissen hören würden. Ich habe damals „Farewell My Friend“ ausgesucht. Es ist eine typische Beach- Boys-Nummer, aber langsam, getragen und schön, und die habe ich dann am Zentralfriedhof für den Manfred spielen lassen. Ich würde jetzt sagen: Nachdem wir beide für die Nummer gestanden sind – und weil sie ja nicht verbraucht ist, nur weil es ihn zuerst erwischt hat –, passt es für mich auch.

Das bedeutet, Sie hätten auch gerne ein Ehrengrab der Stadt Wien?

Ja, aber es ist irgendwie blöd, wenn ich jetzt dort anrufen und sagen würde: „Bitte, ich hätte gerne ein Ehrengrab.“ Auszeichnungen habe ich ja genug. Aber ob die reichen? Man hat mir den Professoren- Titel verliehen, den Goldenen Rathausmann. Ich habe verschiedene Verdienstkreuze. (Lacht.) Ich meine: Dort, wo der Manfred liegt, da wäre ja noch ein bisserl Platz. Aber jetzt hören Sie mir doch auf, mit diesen vom Tod triefenden Fragen. Schreiben Sie mich bloß nicht zu früh ab. Man hat mir schon öfter gesagt: Du bist eh unsterblich. (Lacht.) Ich habe also derzeit nicht vor zu sterben.

Hält Kultur Menschen länger jung?

Selbstverständlich. Aber Sie haben mich ziemlich melancholisch mit Ihrer Fragerei gemacht. Es gibt noch eine andere Option für ein Abschiedslied auf meinem Begräbnis. Es ist von den Kinks: „Death of a Clown“.

Ein schönes Schlusswort. Aber jetzt haben Sie wieder vom Tod zu reden begonnen ...

Jo, eh ... (Lacht.)

Alle Infos unter: roncalli.at