Dieter Bohlen hat erklärt, ein Modern-Talking-Hit besteht aus Intro, Strophe, kleiner Bridge, dem Refrain, der Hälfte vom Intro, Strophe, Refrain, Mittelteil, Refrain, aus. Gibt es so ein Rezept auch für einen Simpl-Sketch?

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Michael Niavarani: Nein. Es gibt generell für Theaterkomödien ein Prinzip: Wenn eine Figur etwas sagt, dann ist es entweder eine Information, die zur Handlung beiträgt, oder eine Vorbereitung auf eine Pointe oder die Pointe. Alles andere muss man streichen. Ich habe nur ein paar wenige Minuten Zeit. Das ist beim Theaterstück anders, da kann ich Figuren aufbauen. Im Sketch geht das kaum.

Gibt es hier im Simpl irgendwo ein Archiv von Witzbauteilen, auf das man zugreifen kann?

Niavarani: Nein.

Aber wie geht lustig überhaupt?

Niavarani: Nehmen wir den Fachkräftemangel.

Wie bitte?

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Niavarani: Fachkräftemangel. Lustig geht so: Es gibt ein aktuelles Problem, nämlich dass niemand Fachkräfte findet. Dann brauchst du eine absurde Ebene, auf der der Fachkräftemangel stattfindet. Und da setzt dann der Humor an: die Zusammenführung von zwei Elementen, die eigentlich nicht zusammengehören. Wie wäre es also mit Fachkräftemangel bei den Einbrechern? Siehst du, du musst lachen …

Ich hätte gesagt: die Häuslfrau.

Jennifer Frankl: Aber die Häuslfrau hat nicht so eine Dringlichkeit, aber ein Einbrecher, der niemanden fürs Fluchtauto hat, der niemanden hat, der die Pistole mitbringt. Und so haben wir einen Sketch geschrieben. Aus dieser absurden Idee entwickelt sich dann ein Universum, und dann muss man stringent bleiben. Es kommt dann eine Friseurin, die auf seine Anzeige antwortet, und mit der bricht er dann bei einem Juwelier ein. Ich merke gerade, es gibt nichts Faderes, als einen Sketch zu erklären. (Grinst.)

Niavarani: Was war die Frage?

Egal. Die nächste: Wie weit geht lustig?

Niavarani: Es kommt darauf an, ob ich etwas auslache oder ob ich mitlache. Roberto Benigni hat eine Komödie im KZ gemacht. Er hat gewusst, dass das geht. Als Publikum muss ich mit dem Schmerz, der Traurigkeit, der Grausamkeit, dem Massenmord, mit der Absurdität, dass das überhaupt möglich ist, mitlachen. Ich lache aus Verzweiflung. Aber die Herren Kickl, Nehammer, Kogler, Babler, die darf ich auslachen lassen, weil es die Mächtigen sind. Ich lasse also nach oben auslachen. Ich darf mich auch über Menschen mit Akzent lustig machen – es ist ein Unterschied, ob ich jemanden nicht engagiere, weil er einen Akzent hat, oder ob ich mich darüber lustig mache, dass er nicht gescheit Deutsch kann. Es ist auch ein Unterschied, ob ich jemanden erschieße oder einen Witz mache. Beim Witz passiert nichts.

Niavarani
So schaut es hinter der Simpl-Bühne aus. Links von Michael Niavarani geht es zu den Garderoben, die Türe hinter Jennifer Frankl führt direkt auf die Bühne.

Foto: Andreas Jakwerth

Darf man Transgender-Witze machen?

Frankl: Es geht ums Thematisieren. Man kann sich über alle möglichen Menschen lustig machen, warum also sollte man zum Beispiel Transgender ausschließen?

Wie viele Gags werft ihr weg?

Frankl: Man spürt manchmal schnell, wenn man sich verrannt hat. Wir haben aktuell zwanzig Nummern im Programm und haben so zehn, elf mehr geschrieben. Manchmal ist die Grundidee lustig, und man könnte diese Nummer in zwei Sätzen erklären, die Leut’ würden lachen, aber es führt nirgends hin. Dann lassen wir es und werfen es weg.

Niavarani: Es gibt für jeden Sketch eine Notizenliste. Dann folgt das Treatment, das sind so sechs, sieben Seiten. Und manchmal hat man zu dem Zeitpunkt auch schon die Schlusspointe. Aber auch die kann nicht zünden. Im Endeffekt entscheiden immer das Publikum und die erste Vorstellung – da gibt es dann immer den großen Aha-Moment.

Sie sind, so wie Otto Schenk, ein Meister der Pause. Nach welchen Kriterien setzt man die?

Niavarani: Das können alle, die Menschen auf der Bühne zum Lachen bringen. Es geht nicht um die Pause, sondern um den Gedanken. Es gibt Sätze, die sind lustig, wenn du sie in einer gewissen Situation sagst. Sie sind aber nur dann lustig, wenn die Menschen die Gedanken mitkriegen. Die Pause muss einen Inhalt haben. Sie sagt also was, ich schaue, ich atme und antworte nicht sofort, sondern lasse einen Gedanken entstehen. Das ist ein Atem, eine Achtelnote dazwischen, und dann sage ich was – das ist der Comedyrhythmus.

Zur Person: Luft nach unten. Die neue Revue

Seit 11. Oktober läuft die neue Simpl-Revue. Michael Niavarani hat sie ­gemeinsam mit Jennifer Frankl (sie spielt auch mit) geschrieben und führt auch Regie (er spielt nicht mit). Auf der Bühne: das beliebte Simpl-­Ensemble mit Katharina Dorian, Ariana Schirasi-Fard, Joachim Brandl, ­Julian Loidl, Matthias Mamedof und Bernhard Murg. Tickets ab 27 Euro unter simpl.at

Könnte das klassische Theater mehr von diesem Rhythmus gebrauchen?

Niavarani: Es gibt für jemanden, der am Burgtheater „Hamlet“ inszeniert, überhaupt keinen Grund, darauf zu schauen, dass die Lacher kommen. Weil: Da sind keine Lacher. (Niavarani macht eine Pause und grinst.) Was eigentlich ein Fehler ist, weil es in Wirklichkeit ein sehr, sehr lustiges Stück ist – es ist keine Brachialkomödie, aber … Ich finde: Im deutschen Sprachraum beschäftigt man sich mehr mit der Interpretation eines Stückes als mit dem Herstellen von realistischen Szenen. Viele Schauspieler an großen Theatern glauben, sie müssen lustige Perücken aufsetzen, möglichst schnell reden, wenn sie Komödien machen. Komödien funktionieren aber nur, wenn man sie realistisch spielt.

Frankl: Man muss echte Situationen spielen. Wenn der Schauspieler in Not ist, dann muss diese Not echt sein. Erst dann wird es für das Publikum lustig.

Mozart, Shakespeare, Nestroy, Strauss – alles begann in der Vorstadt. Wann wurde das alles zur Hochkultur?

Niavarani: Komödie ist eine Zerstörung. Komödien sind oft tragischer als Tragödien. Komödie muss wehtun, muss einem immer ein wenig unangenehm sein – deswegen lache ich. Ich versuche eine historische Kurzfassung: Man wollte im Theater aufklärerische Gedanken verbreiten. Das Prinzip, dass alles gut ausgeht. Dass das Leben, wenn man vernünftig ist und sich bemüht, gut ausgehen kann. Schiller hat geschrieben: Auf der Bühne soll die Schönheit der Kunst den Menschen erheben in seiner Not. Schiller war im Übrigen ein toller Dramatiker, im Gegensatz zu Goethe. „Faust“ ist schlechter als „Pension Schöller“. Die Zensoren haben damals auch den Kasperl aus dem Theater verbannt, und da ist der Split passiert.

Niavarani
Irgendwann muss jede*r mal. Dieses Bild ist zwar selbsterklärend, aber wir machen es trotzdem: Diese Türe führt direkt aus dem Saal dorthin, wo man gerne seine Ruhe hätte …

Foto: Andreas Jakwerth

Zur Person: Jennifer Frankl

ist Schauspielerin und Ensemblemitglied im Simpl. Sie schreibt jetzt gemeinsam mit Michael Niavarani das neue Programm. „Nia hat gesagt, vielleicht funktioniert das Programm besser, wenn eine Frau mitschreibt. Besonders unterm ­Farkas waren Frauen im Simpl vor allem Revuegirls. Wir schreiben also gemeinsam, entweder sitzt er am Computer, und ich gehe manisch auf und ab, oder umgekehrt.“

Sie sind Shakespeare-Experte – hätten Sie nicht Lust, einmal am Burgtheater zu inszenieren? Hat man Sie schon einmal gefragt?

Niavarani: Nein. Das würde ich mich nicht trauen, und ich würd’s nicht aushalten, dass ich nicht der Chef bin. Ich bin nur mir gegenüber verpflichtet, den Menschen, die mit mir arbeiten, meinem Kompagnon, aber keinem Subventionsgeber. Das kann ich nicht, es würde mich wahnsinnig machen. Außerdem: Warum sollte ich ein fremdes Haus füllen? (Lacht.)

Kay Voges verlässt 2025 Wien – würden Sie das Volkstheater übernehmen, wenn man Sie fragt?

Niavarani: Wenn man es mir verkaufen würde (grinst) – dann ja. Und wenn ich „verkaufen“ sage, dann ist das mein Ernst. Ich war mein ganzes Leben lang Privatunternehmer, so wie Shakespeare und die ganzen anderen. Wenn also mir und dem Georg Hoanzl so ein Angebot gemacht werden würde, würden wir einmal über die Software nachdenken, weil die Hardware – das Theatermachen – kann ich überall. (Niavarani macht eine Pause, schaut kurz auf.) Ich hab mittlerweile das Gefühl, das ist kein Interview, sondern ein Verkaufsgespräch. (Lacht.)

Na ja. Ich brauch ja auch ein paar Schlagzeilen. Apropos: Sie hätten in der Staatsoper den Frosch in der „Fledermaus“ spielen sollen. Warum haben Sie abgesagt?

Niavarani: Es ist allein an meiner Geldgier gescheitert. (Lacht herzlich.) Es ist eine sehr große Ehre, und ich hätte es auch sehr gerne gemacht, aber ich hatte bereits andere Projekte. Aber wenn Bogdan Roščić mich jemals wieder fragen sollte …

Ihr Großvater mütterlicherseits war erster Geiger bei den Philharmonikern – Ihre Lieblingsoper ist „Othello“. Warum machen Sie es nicht so wie Otto Schenk und inszenieren Opern?

Niavarani: Man hat mich schon einmal gefragt, ob ich eine Oper inszenieren möchte. Ich höre sehr viel, manchmal wochenlang ausschließlich klassische Musik. Meine Liebe zur Oper hält sich aber in Grenzen, ich ertrage diese Schreierei nicht.

Welche Schreierei?

Niavarani: Na die von den Sängern. (Lacht.) Der Otti Schenk hat mich fast abgewatscht, wie ich ihm das gesagt habe. Der Otti hat gesagt: „Du musst das annehmen.“ „Otello“ und „Butterfly“ sind meine beiden Lieblingsopern, da stört es mich lustigerweise nicht. Ich habe „Otello“ auf Platte mit vierzehn Jahren von meinem Opi bekommen, und die Oper beginnt ja mit einem Sturm. Ich hatte damals so Kopfhörer und bin am Boden gelegen, und innerhalb von zehn Sekunden bin ich kerzengerade im Zimmer gestanden. Diese Dramatik hat mich fasziniert. Das Geniale an der Oper ist, dass die Emotionen so klar sind. Am Theater brauche ich bei jedem Auftritt drei, vier Hinweise. Aber in der Musik ist sofort alles klar. Der Vorhang geht auf, einer kommt bei der Tür rein, und die Musik sagt dir, was die Person gerade fühlt.

Zur Person: Michael Niavarani

ist seit 2011 offiziell der „lustigste Österreicher“. Er ist Simpl-Eigentümer, besitzt gemeinsam mit Georg Hoanzl das Globe Wien, den Theaterverlag Schultz & Schirm und das Theater im Park. Der am 29. April 1968 Geborene ist Bestsellerautor, Schauspieler, Regisseur und Produzent. Sein Großvater mütterlicherseits war Philharmoniker.

Sind das Kabarett, die Comedy, das Theater durch TikTok und Co gefährdet?

Frankl: Das ist ein anderes Medium mit anderen Gesetzen. Ich glaube, es ist sehr schwer für jemanden, der ein paar Jahre lang auf TikTok Comedy-Clips macht, eine Revue für einen Abend zu schreiben …

Niavarani: … und für uns ist es umgekehrt wahnsinnig schwer, TikTok zu denken. Wir überlegen uns dauernd: Sollen wir so kurze Beats schreiben und auf TikTok stellen? Aber das ist total schwer, weil wir ganz anders denken.

Haben Sie manchmal Lust, das Internet abzudrehen?

Niavarani: Nein. Also ab und zu sage ich schon: Ich freue mich auf die Pension, weil da schmeiße ich meinen Computer weg, habe kein Handy mehr und kaufe mir eine Schreibmaschine … Aber das stimmt natürlich alles nicht, weil nach dem Aufstehen schaue ich als Erstes aufs Handy.

Frankl: Was? Du gehst einmal in Pension? Wozu? Wir haben so eine Liebe und Leidenschaft für den Beruf, mir kommt das nicht immer wie Arbeit vor. Pension – was macht man dann?

Niavarani: Stimmt. Ich liebe nichts so sehr wie das Theater. Natürlich geht es mir manchmal auf die Nerven, finde ich es unerträglich und möchte aufhören. Aber das ist bei der Liebe immer so: Man regt sich auf, und dann kommt die Liebe wieder. Ich gehöre einfach ins Theater, was soll ich sonst machen?

Bloß nichts anderes!
Danke schön für dieses Gespräch.

Zur Person: Diese Fragen haben wir nicht gestellt:

Man weiß als Journalist*in nie, wohin sich Gespräche entwickeln. Bei Michael Niavarani ging es sehr rasch in eine ernsthaft-spannende Richtung. Das hatten wir gehofft. Trotzdem hatten wir auch folgende Fragen mit im Gepäck – die Antworten dazu holen wir beim nächsten Treffen ein: Tragen Sie Ihre Brille auch in der Badewanne? Ist Lachen das Gegenteil von Sex? Was gibt Ihnen das ­Gefühl, attraktiv zu sein? Wie haben Sie sich mit 13 Ihr Leben vorgestellt? Welches Kompliment funktioniert immer? Was macht Alkohol aus Ihnen? Sind Sie gut im Nichtssagen? Was können Sie ausschließen? Ihr lustigstes Alkohol-Erlebnis? Können Sie basteln? Wird beleidigen immer schwieriger? Was kann Herbert Kickl besser als Sie? Welchen Intellektuellen würden Sie gerne verprügeln?