Birgit Unterweger, seit 2023 Ensemblemitglied am Volkstheater, habe den Anstoß für den Abend gegeben, erzählt Regisseur Branko Janack, als wir ihn nach der Initialzündung für sein Stück über Jack Unterweger fragen. Moment mal, Unterweger spielt also Unterweger? Kann das Zufall sein? Als könne er Gedanken lesen, schiebt Janack sämtliche Vermutungen zu möglichen verwandtschaftlichen Verbindungen sofort beiseite: „Wie so viele Österreicher*innen ihrer Generation ist Birgit einfach mit Jack Unterweger aufgewachsen. Sie kam eines Tages zu mir und meinte, dass sie große Lust hätte, ein Stück über ihn zu machen.“

Anzeige
Anzeige

Und zwar kein True-Crime-Stück, wie der gebürtige Berliner im Interview mehrmals betont, sondern eines, das sich in erster Linie mit der Faszination auseinandersetzt, die den sogenannten Häfnpoeten und verurteilten Serienmörder, der 1994 Suizid beging, auch heute noch umgibt. „Es ist definitiv nicht unser Anspruch, sein ganzes Leben auf die Bühne zu bringen. Wir finden es viel spannender, uns damit zu beschäftigen, warum es auch heute noch Menschen gibt, die seine Schuld anzweifeln. Wie kommt es zu so einem Hype um eine Person, die offensichtlich Böses getan hat? Obwohl ich ganz klar sagen würde, dass er schuldig war, geht es uns nicht um die Verurteilung eines bereits Verurteilten. Aber auch nicht um seine Heiligsprechung.“

Anziehung und Abstoßung

Am Anfang der Auseinandersetzung mit Jack Unterweger sah sich der Regisseur, der zum ersten Mal in Wien inszeniert, zunächst mit einem riesengroßen Berg an Materialien konfrontiert. „Es gibt seine eigenen Bücher, Texte von Weggefährt*innen, Analysen, Podcasts, Filme und Theaterstücke. Außerdem scheint er sich in den Neunzigern auch häufig im Volkstheater aufgehalten zu haben. Immer wieder kamen Kolleg*innen aus dem Theater auf uns zu, die uns erzählt haben, dass sie ihn kannten. Obwohl es unglaublich spannend ist, sich in diese Fülle von Materialien hineinzustürzen, kommt irgendwann der Punkt, an dem man beginnen muss, mit dem, was man bereits hat, weiterzuarbeiten“, erinnert sich Branko Janack an die Anfangsphase des Projekts.

Die zu Beginn angesprochene Namensgleichheit habe jedoch noch eine weitere Ebene, ergänzt der Theatermacher.

Anzeige
Anzeige

„Der Abend heißt auch wegen Birgit so. Weil uns auch jene Faszination interessiert, die man ihr gegenüber entwickelt, wenn man sie auf der Bühne sieht“, hält der Regisseur fest. Denn auch im Theater gehe es unter anderem darum, Figuren zu entwickeln, bei denen das Publikum andauernd zwischen Nähe und Distanz hin- und hergerissen ist, sodass ein ständiges Spiel zwischen Anziehung und Abstoßung – zwischen gefühlter Nähe und Distanz – entsteht.

„Im besten Fall spürt man diese Ambivalenz, die ja auch Jack Unterweger umgibt, wenn man Birgit beim Spielen zusieht“, findet Branko Janack klare Worte. Nach einer kurzen Pause setzt er nach:

„Ich finde jene Momente spannend, in denen diese Anziehung in etwas anderes kippt. Wie auch die Frage, wie man sich zum Erzählten und zu der Figur positioniert. Allerdings würden wir uns niemals anmaßen, diese Faszination rational begründen zu wollen. Das geht gar nicht – die gibt es einfach.“

Branko Janack
1990 in Berlin geboren, studierte Branko Janack von 2014 bis 2018 Schauspielregie an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin und an der Danish National School of Performing Arts in Kopenhagen. „Zuerst wollte ich Schauspieler werden, habe aber schnell festgestellt, dass es Menschen gibt, die das viel besser können als ich“, sagt er. Vor dem Studium assistierte er unter anderem am Deutschen Theater und am Maxim Gorki Theater in Berlin. An beiden Häusern hat er auch schon inszeniert. Wie auch am Staatstheater Nürnberg, am Schauspiel Hannover und am Nationaltheater Mannheim.

Foto: Max Nübling

Universen aufmachen

Auch wenn es um seine eigene Position als Regisseur geht, findet Branko Janack klare Positionierung sehr viel spannender als uneindeutiges Posing. In wenigen schnörkellosen Sätzen bringt er auf den Punkt, wie er seinen Beruf versteht: „Im Studium hatte ich einen isländischen Professor, der uns erklärt hat, dass Regisseur auf Isländisch ‚Spielleiter‘ heißt. So würde ich das auch sehen. Ich habe zwar die Fäden in der Hand, versuche aber trotzdem, ein Universum aufzumachen und gemeinsam mit dem Ensemble zu schauen, was wir darin finden.“

Bei der Suche nach Stücken und Stoffen interessieren ihn aktuell vor allem starke Frauenfiguren und Texte, „die meine Sehgewohnheiten brechen und etwas Neues bieten“. Wie er das genau meint? Mit ruhiger Stimme setzt Branko Janack zu einer Erklärung an: „Im Fernsehen gibt es viele großartige Kriminalgeschichten, die ich auf einer Theaterbühne niemals so gut erzählen könnte. Dafür kann ich auf der Bühne spielfreudige Abende gestalten, die das Publikum nicht wegdenken, sondern vielleicht sogar mit den Zuschauer*innen interagieren. Dadurch entsteht an jedem Abend eine andere Energie im Raum und im besten Fall eine gemeinschaftliche emotionale Erfahrung für die Zusehenden.“

Obwohl Branko Janack nicht wie jemand wirkt, der sehr viel Spaß an Formeln hat, lässt sich das Energielevel bei „Unterweger“ womöglich auf eine einfache Gleichung herunterbrechen: Unterweger plus Unterweger ergibt Energie zum Quadrat. Mindestens.

Hier zu den Spielterminen von Unterweger im Volkstheater!