Stefanie Reinsperger: Weil sie es kann
Stefanie Reinsperger spielt Liliom. „Because she can“, sagt Regisseur Philipp Stölzl. Wir haben die Schauspielerin, die an ihrem Beruf unter anderem die Echtzeitabnützung liebt, nach der ersten Probenwoche getroffen. Und waren dabei ganz im Hier und Jetzt.
„Sie tut schon wieder was“, sagt Fotografin Hilde van Mas und liefert damit die perfekte Überschrift zum Fotoshooting mit Schauspielerin Stefanie Reinsperger, die sich währenddessen ein Mikrofonkabel um den Körper wickelt. Eingewickelt hat sie uns zu diesem Zeitpunkt schon lange – mit ihrer Energie, der man sich wohl auch dann nicht entziehen kann, wenn man sich mit dem Panzer einer hundertjährigen Riesenschildkröte ausstattet. Aber warum sollte man überhaupt das Bedürfnis danach haben?
Gerade hat die Probebühne direkt unter dem Dach des Burgtheaters noch leer gewirkt, doch Stefanie Reinsperger gelingt es, auch dann aus dem Vollen zu schöpfen, wenn scheinbar gähnende Leere herrscht. Gegähnt wird ohnehin nicht.
Auch nicht nach einem vollen Probentag, dafür ein altes Plakat rasch in ein Kleid verwandelt. „Ich bin auf Proben auch so – ich verwende immer alle Dinge, die ich finde“, sagt sie. Nun ist ein bisschen klarer, was sie meinte, als sie im Interview, das vor dem Shooting stattfand, von „bar zahlen“ und „Echtzeitabnützung“ sprach. Doch dazu etwas später mehr.
„Because she can“
Stefanie Reinsperger kann ihre sprudelnde Energie und unbändige Spielfreude aber auch in eine Zartheit voller Nuancen und Zwischentöne lenken. Eigentlich fällt uns gerade überhaupt nichts ein, was die 1988 geborene „große blonde Frau mit Dutt“ – wie sie sich selbst in ihrem Buch „Ganz schön wütend“ bezeichnet – nicht kann. Auch Liliom kann sie, ist Regisseur Philipp Stölzl überzeugt, der zum ersten Mal am Burgtheater inszeniert.
„Generationen von großen Schauspielern haben Liliom gespielt. Es ist ein Berg von einer Rolle. Steffi hat alles, was eine spielende Person braucht, um da raufzukommen. Die Wucht, die seelischen Abgründe und, und, und ... Ich freue mich sehr, mit ihr arbeiten zu können. Auch die anderen Spielenden sind wunderbar“, sagt der Regisseur. Nach einer kurzen Pause fügt er hinzu: „Und um das auch noch einmal gesagt zu haben: Es gibt kein wie auch immer geartetes feministisches Konzept hinter der Besetzung. Steffi spielt einfach auch Männerrollen. Because she can. Und weil das Theater ein Fantasieraum ist, in dem alle alles sein können.“
Wenn ich spiele, gibt es keinen doppelten Boden mehr, da will ich nur machen.
Stefanie Reinsperger, Ensemblemitglied des Burgtheaters
An Ferenc Molnárs Stück, das – in sehr verkürzter Form – davon handelt, dass zwei Menschen am Rande der Gesellschaft, die sich eigentlich lieben, letztendlich nicht zusammenfinden, reizt Stölzl, dass es „rätselhaft, brutal, tief-traurig, bisweilen lustig – ein intensives, irre emotionales Stück“ ist. Als Regisseur glaubt er fest daran, dass Emotionen die Währung des Theaters sind – dass man die Zuschauer berühren muss.„Und dass es die wahren, vielschichtigen Menschenbilder sind, die die Bühne zu einem einzigartigen Ort machen.“
Weil das Stück „vieles ist, aber sicher nicht lieblich“, verzichten Stölzl und sein Team zur Gänze auf Jahrmarktnostalgie. Und obwohl die neue Übersetzung von Terézia Mora weniger Wiener Folklore enthält als jene von Alfred Polgar, seien sie in den Proben gerade dabei, teilweise wieder ins Wiener Idiom zu gehen, weil „es die Figuren so kraftvoll in ihrer Welt verankert“, wie der gebürtige Münchner erklärt.
Aneinander vorbeischrammen
Die erste Probenwoche hätten sie vor allem am Tisch verbracht, erzählt Stefanie Reinsperger im Interview. „Wir gehen sehr tief hinein in die Figuren und untersuchen vor allem diese unfassbar harte, schwierige Liebesbeziehung zwischen Julie und Liliom sehr genau“, hält sie fest und setzt mit ruhiger Stimme nach: „Wir haben auch darüber gesprochen, dass ‚Liliom‘ das Stück mit den meisten und schönsten unausgesprochenen Liebeserklärungen ist. Eigentlich sind das zwei Menschen, die sich viel zu sagen haben, doch sie schrammen immer wieder aneinander vorbei. Letztendlich findet Liliom immer sehr fragwürdige Lösungen für sein Verhalten. Als Spielwiese ist das für mich ein großes Geschenk, aber auch eine mindestens genauso große Aufgabe.“
Philipp Stölzl beschreibt Liliom als ambivalente, faszinierende Figur. „Er ist unangenehm großspurig, toxisch, gewaltsam-missbräuchlich, aber auch ein verzweifelter Liebender und jemand, der am unteren Rand der Gesellschaft chancenlos um sich schlägt“, so der Regisseur. Spannend findet er zudem, dass es das Stück ermögliche, diesem kaputten, toxischen Charakter ganz nahe zu kommen.„Das macht etwas mit uns – wir verstehen, ohne dass wir deswegen Verständnis haben müssen.“
Dass Liliom mit Julies Liebe nicht umgehen kann, berühre sie sehr und sei auch etwas, wo sie gut andocken könne, merkt Stefanie Reinsperger an. „Es macht ihm große Angst, dass er einerseits spürt, dass er diese Fähigkeit in sich trägt, er andererseits aber kein Vertrauen in sich selbst hat. Und dann passiert das Beängstigendste überhaupt: Jemand kommt zu dir und sagt, dass er oder sie genau das sieht und da ist. Davor läuft er davon.“
Im Hier und Jetzt
Nach ihrem Erstengagement in Düsseldorf gehörte Stefanie Reinsperger bereits eine Spielzeit lang zum Ensemble des Burgtheaters. Zuletzt war sie freischaffend tätig – mit Homebase in Berlin. „Ich habe gemerkt, dass ich mir eine Stadtveränderung wünsche. Wien ist einfach mein Zuhause, und ich habe die Stadt unglaublich vermisst. Außerdem fand ich das Programm und die Stimmung am Schauspiel Köln sehr schön. Da dachte ich mir, dass Stefan Bachmann vielleicht jemand sein könnte, mit dem ich mich hier wohlfühle.“
Statt über ihr erstes Engagement an der Burg zu sprechen, möchte Stefanie Reinsperger viel lieber im Hier und Jetzt bleiben, was auch gut zu ihrer Herangehensweise an ihren Beruf passt. Hier und Jetzt bedeutet außerdem: Vor dem Burgtheater stehen und es nicht ganz glauben können, dass dieser Ort nun wieder ihr Arbeitsplatz ist. Und: am ersten Probentag total aufgeregt sein, weil es zum ersten Mal seit längerer Zeit wieder zu einem Zusammentreffen mit ganz neuen Kolleg*innen kommt. „Es war dann sofort sehr, sehr schön und angenehm“, sagt sie.
Ob sie zu jenen Schauspieler*innen gehöre, die gerne proben, wollen wir noch von ihr wissen. Reinsperger antwortet ohne zu zögern: „Ich probe gerne, weil ich diese Suche sehr mag und ich mich, wenn ein Grundvertrauen da ist, so richtig in die Arbeit reinstürzen kann. Aber letztendlich ist ja auch eine Premiere immer ein Angebot, und die Inszenierung entwickelt sich weiter. Ich mag es, mich auch bei Vorstellungen entscheiden zu können, ob ich lieber kraule oder brustschwimme. In den Proben sind aber noch siebzig Schwimmstile angesagt.“ Sie lacht ihr offenes Lachen.
Hauptsache reinspringen, ganz tief eintauchen, um der Sache auf den Grund zu gehen. Und dann? „In der ersten Woche nehme ich mal alles auf, dann sackt das ein wenig, und dann brauche ich Raum, um zu explodieren“, sagte sie einmal in einem etwas älteren BÜHNE-Interview. Wenn sie spielt, gibt es eigentlich keinen doppelten Boden mehr – „dann will ich nur machen“. Stichwort: Sie tut schon wieder was. Eine Form von Auffangnetz braucht es zwar, aber es darf ruhig sehr grobmaschig sein. Außerdem möchte sie die „Echtzeitabnützung“, die das Theater unter anderem so besonders macht, in vollen Zügen auskosten.
„Man fängt an zu spielen, der Körper arbeitet, spielt, pulsiert. Über die Dauer des Stücks passiert etwas mit einem“, sagt Stefanie Reinsperger auf eine Weise, dass man es selbst fast fühlen kann. Neben dem Vertrauen zwischen ihr und der Regie brauche es dafür auch eine gute Portion Irrsinn, so Reinsperger. „Ich möchte das Gefühl haben, dass in den Proben jeder Weg und jede Suche erst einmal okay ist und es auch in Ordnung ist, einmal wirklich schlecht zu sein.“
Wenn es ihr manchmal nicht so gut gelingt, sich fallen zu lassen, geht sie gerne zum Indoor-Cycling, erzählt sie. „Grundsätzlich bin ich aber eine Spielerin, die immer alles mit nach Hause nimmt. Ich wälze das so lange herum, weil ich beim Spielen dann nicht mehr überlegen will.“ Einmal mehr wird klar, dass Lässigkeit nichts mit Gelassenheit zu tun hat.
Fix ist auch: Die Bühne ist für sie ein angstfreier Raum. Oder auch: eine Komfortzone, in der sie es sich keinesfalls gemütlich machen möchte. Und irgendwie könnte man das auch über Wien sagen. Wien ist für die große blonde Frau mit Dutt aber auch: Google Maps nicht mehr zu brauchen, schöne Kaffeehäuser, Freund*innen und Familie. Willkommen zurück.