Zum Sterben schön
Liebe, Glaube, Tod. In Gaetano Donizettis „Les Martyrs“ erleben die von John Osborn und Roberta Mantegna gesungenen Hauptfiguren religiöse Verfolgung, gesellschaftliche Umbrüche und amouröse Tragik. Eine existenziell berührende „Grand opéra“.
Junge attraktive Frau – zwei Männer. Der eine der heimlich zum Christentum konvertierte Ehemann, der andere ein römischer General. Sie die Tochter des tyrannischen Gouverneurs Félix, eines berüchtigt brutalen Christenverfolgers.
Das Ganze angesiedelt im dritten Jahrhundert in Armenien. Darf man daraus ein Singspiel formen? Nein, fand die italienische Zensur in den 1830er-Jahren und machte Gaetano Donizettis Oper „Poliuto“ den Garaus. Dieser brachte sie daraufhin unter dem Titel „Les Martyrs“ in Frankreich heraus, wo sie 1840 ihre Welturaufführung erlebte.
Regisseur Cezary Tomaszewski stellt in seiner Neuinszenierung des nicht allzu oft gespielten hochdramatischen Werks die tragische Geschichte Armeniens in den Fokus und fand mit John Osborn und Roberta Mantegna die idealen Darsteller für die beiden vokal und schauspielerisch enorm herausfordernden Hauptpartien. „Ich habe Angst davor“, gesteht Roberta Mantegna, auf ihr Debüt als Pauline angesprochen. „Das ist ein dramatischer Part voller vokaler Stolpersteine. Schwer zu singen und zu spielen.“ Sie bereite sich seit vielen Monaten darauf vor und freue sich trotz aller Bedenken auf diese Aufgabe. „Pauline ist kämpferisch und tapfer. Sie stellt sich gegen ihre Familie und kann auch von ihrem Vater nicht aufgehalten werden. Am Ende lässt sie das ihr bekannte Leben hinter sich und opfert sich für ihre Liebe und ihren Glauben“, so die in Palermo geborene und lebende Sopranistin.
Diese Oper zeigt auf, dass Extremismus nie eine Alternative sein kann.
John Osborn, Sänger
Für den südkalifornischen Tenor John Osborn ist der von ihm interpretierte Polyeucte ebenfalls ein Rollendebüt. Auch er arbeite bereits seit einigen Monaten an der Partie. „Ich bin im Lernprozess und habe davor noch ein paar andere Dinge zu erledigen“, schmunzelt er beim Interview, das im Sommer stattgefunden hat. „Aber wir werden ausreichend Probenzeit in Wien haben. Ich habe also noch genügend Zeit, gemeinsam mit dem Regisseur und dem Dirigenten in die Geschichte, den Charakter und seine Beziehungen zu den anderen Figuren einzutauchen, und freue mich darauf.“
John Osborn ist gewissermaßen Spezialist für die „Grand opéra“ und konnte in Werken wie „La Juive“, „Les Huguenots“ oder „Le Prophète“ bereits ausreichend Erfahrung mit religiösen Themen sammeln. Auch könne er sich mit seiner Figur im Bezug auf deren starken christlichen Glauben identifizieren. „Ich finde es wichtig, dass diese Oper zugänglich bleibt und gespielt wird – auch für ein Publikum, das vielleicht nicht so sehr daran gewöhnt ist. Das Stück erinnert uns daran, dass Verfolgung in jeder Form verheerend ist. Es zeigt auf, dass Extremismus nie eine Alternative sein kann, sondern dass wir versuchen müssen, unsere Unterschiede zu akzeptieren und die Leute in Frieden leben zu lassen, anstatt ihnen unsere Dominanz aufzuzwingen. Das ist ein sehr demokratischer Ansatz, aber er schafft Frieden.“
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Lebenslanges Lernen
Warum steht „Les Martyrs“ dennoch eher selten auf den Spielplänen großer Häuser? „Vielleicht, weil es schwierig ist, einen Tenor zu finden, der diese extremen Höhen singen und dennoch heldenhaft klingen kann“, meint er amüsiert, um ernst hinzuzufügen: „Wenn du nicht weißt, wie du richtig agierst, wie du den Luftstrom beim Singen einsetzt, dann kann es wirklich gefährlich für deine Stimme werden. Außerdem sind religiöse Themen möglicherweise gerade nicht sehr in Mode.“
Für ihn sei der Probenprozess auch für die eigene Stimmgesundheit von großer Wichtigkeit, außerdem müsse er sich ständig selber auf Fehler überprüfen bzw. von seiner Frau, ebenfalls Opernsängerin, darauf überprüfen lassen. „Sobald man eine schlechte Gewohnheit entdeckt, muss man sie durch eine positive ersetzen“, erklärt er, warum er nach drei Jahrzehnten noch immer an der Spitze singt. „Und man darf nie aufhören zu studieren, was ohnehin nicht möglich ist, weil man ja ständig neue Partien lernen muss.“
Dies bekräftigt auch Roberta Mantegna. „Man studiert als Sänger lebenslang. Es ist nicht einfach, ständig beurteilt zu werden und dennoch bei sich zu bleiben. Deshalb ist es wichtig, seine Leidenschaft für die Musik und den Beruf zu bewahren, weil sie eigentlich das Einzige ist, was einem wirklich eine Richtung vorgibt.“
Zur Person: Roberta Mantegna
Die italienische Sopranistin studierte Klavier/Gesang und
gewann mehrere internationale Wettbewerbe. U. a. zählen
die Contessa in Mozarts „Le nozze di Figaro“, Bellinis „Norma“ und „Il pirata“, Donizettis „Maria Stuarda“, Micaëla in Bizets „Carmen“ und Verdis „Luisa Miller“ zu ihrem Repertoire.
Musikalische Sozialisierung
Bei ihr wurde diese Leidenschaft bereits mit acht Jahren geweckt. „Ich komme aus einer Musikerfamilie. Sowohl meine Mutter als auch mein Onkel sind Pianisten, und mein Onkel war es auch, der mich an einen Kinderchor vermittelt hat. Mich hat das so fasziniert, dass ich sofort wusste, es würde keine berufliche Alternative zur Musik für mich geben. Singen ist meine Form, mich auszudrücken.“
Roberta Mantegna gewann eine Reihe internationaler Musikwettbewerbe – u. a. beim „Concours International de Belcanto Vincenzo Bellini“ in Marseille 2016 – und war Mitglied des Young-
Artist-Programms „Fabbrica“ am Teatro dell’Opera in Rom.
John Osborns Weg ist gar nicht so unähnlich. „Ich war in der Highschool schon in einigen Musiktheaterproduktionen und mochte es, auf der Bühne zu stehen. Um ehrlich zu sein, hatte ich von Oper keine Ahnung, bis ein Freund meinte, das könnte mein Weg sein. Erst dann habe ich mich tatsächlich damit auseinandergesetzt.“ Mit 21 gewann er bei den „Metropolitan Opera National Council Auditions“, später wurde er in das „Met’s Young Artist Development Program“ aufgenommen.
Welche Rollen waren es, die ihre Karrieren nachhaltig beeinflusst haben? „Gaetano Donizettis ‚Maria Stuarda‘, weil das meine erste große Rolle und der Beginn meiner Karriere war“, antwortet Roberta Mantegna, „und als Zweites würde ich Vincenzo Bellinis ‚Il pirata‘ nennen, die ich im Teatro alla Scala zum ersten Mal gesungen habe.“
„Ich würde sagen, das war Arnold in ‚Guillaume Tell‘ von Gioachino Rossini“, erzählt John Osborn seine ungewöhnliche Geschichte zu dieser Rolle. „Als ich 2007 an der Opéra Bastille in Paris Prinz Léopold gesungen habe, kam Mauro Bucarelli von der Accademia Nazionale di Santa Cecilia in Rom auf mich zu und meinte, ich sei die Idealbesetzung für ihr geplantes ‚Guillaume Tell‘-Projekt. Ich hatte diese Rolle davor schon drei- oder viermal abgelehnt, weil mir alle gesagt hatten, sie sei extrem schwierig, der Tod für jede Stimme. Dieses Mal habe ich aber zugesagt. Um es kurz zu machen: Es war ein Riesenerfolg in Rom und hat mir nicht nur einige Preise eingebracht, sondern mir auch viele neue Möglichkeiten eröffnet.“
Zur Person: John Osborn
Der US-Tenor zählt weltweit zu den gefragtesten Belcanto-Sängern und führenden Interpreten der „Grand opéra“. Sein enormes Repertoire reicht von Romeo über Prinz Léopold in „La Juive“ und Alfredo in „La Traviata“ bis zu Werther, Fernand in „La Favorite“, Guillaume Tell und Raoul in „Les Huguenots“.
Beide werden auch nach „Les Martyrs“ sehr viel zu tun haben. Roberta Mantegna bleibt in Wien, um an der Staatsoper die Mimì in „La Bohème“ zu singen, ehe sie in Neapel als Donna Anna in „Don Giovanni“ debütieren wird, worauf die Desdemona in „Otello“ am Teatro dell’Opera di Roma folgt.
John Osborn wird zum ersten Mal in Athen als Arturo Talbo in Bellinis „I puritani“ auftreten, danach in Madrid den Duca in „Rigoletto“ singen, ehe er für „I vespri siciliani“ als Arrigo an die Wiener Staatsoper kommt.
Selbsterfüllende Prophezeiung
Roberta Mantegna erzählt zum Schluss eine rührende Wien-Geschichte. „Mit 18 habe ich mit meiner Tante hier Urlaub gemacht und bei einer Staatsopernführung erzählt, dass ich Sängerin sei. Daraufhin hat mich der Guide auf die Bühne gelassen, und ich durfte dort singen. Für mich war das wie eine Fügung des Schicksals, ein Samen, der in mein Herz gepflanzt wurde.“ Nun darf sich die daraus resultierende Blüte am MusikTheater an der Wien entfalten.