Schnell erklärt: Was zeichnet Countertenöre aus?
Im 14. Jahrhundert tauchte der Begriff Contratenor zum ersten Mal auf. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert waren kaum noch hohe Männerstimmen zu hören. Glücklicherweise hat sich das in der jüngeren Vergangenheit wieder geändert. Doch was zeichnet Countertenöre eigentlich aus?
Achtung – mittelgutes Wortspiel: Von ihnen wird in den höchsten Tönen gesprochen, während sie selbst in den allerhöchsten Tonlagen singen. Richtig, in diesem Artikel geht es um Countertenöre. Doch was macht einen Countertenor eigentlich zum Countertenor?
Zunächst ein kurzer historischer Abriss: Männer, die mit hoher Kopfstimme sangen, gab es über viele Jahrhunderte hinweg. Im 15. und 16. Jahrhundert gehörten Countertenöre zu den allgegenwärtigen Stimmen der europäischen Musiklandschaft. Im 17. Jahrhundert wurden die Falsettisten weitgehend von den Kastraten abgelöst. Was hinter dem Begriff steckt? Durch das Durchtrennen des Samenleiter blieb der Stimmbruch aus, und die jungen Männer behielten ihre hohen Stimmlagen. Mit zunehmendem Lungenvolumen bekamen ihre Stimmen eine außergewöhnliche Kraft. Den Höhepunkt ihrer Popularität erreichten die Kastraten in der Barock-Oper zwischen 1670 und 1750. Zu den berühmtesten Kastraten des 18. Jahrhunderts zählen Senesino, Farinelli, Caffarelli und Antonio Bernacchi. Der Preis, den sie für ihren Ruhm zahlten, war allerdings ein sehr hoher.
Im 19. und frühen 20. Jahrhundert kam die hohe Männerstimme im weltlichen Sologesang kaum noch vor und blieb auf Chormusik beschränkt. Weil einzig in den englischen Kirchenchören die Tradition des „male alto“ überlebte, stammte auch der erste moderne Countertenor aus England. Alfred Deller schrieb nach dem 2. Weltkrieg bis in die siebziger Jahre hinein Musikgeschichte. Er lebte bis 1979 und widmete sich unter anderem der Wiederentdeckung der Alten Musik. Mittlerweile gibt es in der Opernwelt einige Countertenöre, die Starstatus genießen – u.a. der Franzose
Philippe Jaroussky oder der israelische Sänger Mayaan Licht. Die Stimme eines Countertenors ist keinesfalls mit jener eines Kastraten gleichzusetzen. Es gibt Countertenöre in Alt-, Mezzosopran- oder Sopranlage, wobei der Klang durch den gezielten Einsatz der – durch Brustresonanz verstärkten – Kopfstimme bzw. der Falsett-Technik entsteht. Wie das genau passiert, ist höchst individuell.
Zu den bekanntesten Partien für Countertenöre zählen unter anderem jene des Oberon aus der Oper „Ein Sommernachtstraum“ und die des Apollo aus der Oper „Tod in Venedig“ von Benjamin Britten sowie die des Fürsten Gogo aus „Le Grand Macabre“ von György Ligeti.
Christopher Lowrey: Didymus in „Theodora“
Der gebürtige Amerikaner zählt zu den führenden Countertenören seiner Generation und verfügt neben außergewöhnlichen stimmlichen Fähigkeiten auch über schauspielerisches Charisma. Aktuell begeistert er als liebender Märtyrer in Händels dramatischem Oratorium „Theodora“ – zu erleben im MusikTheater an der Wien. Weiterlesen...