Wer mehr über den kleinen, aber entscheidenden Unterschied zwischen Lässigkeit und Gelassenheit erfahren möchte, sollte bei Tim Werths anklopfen. Wobei das natürlich nicht wortwörtlich zu verstehen ist, denn die genaue Adresse des fast zwei Meter großen Schauspielers ist uns klarerweise nicht bekannt. Was wir jedoch wissen, ist, dass Tim Werths wiederum gerne und auch regel­mäßig bei seinem Nachbarn, Freund und Ensemblekollegen Gunther Eckes anklopft. Wenn er zum Beispiel eine Pfanne braucht oder etwas ausdrucken möchte. Eigentlich tut das hier nicht viel zur Sache, dennoch verrät es etwas über den Schauspieler. Dass Ensemble für ihn auch Nähe und Großfamilie bedeutet etwa. Und natürlich auch: Dass Tim Werths keinen Drucker besitzt. Dafür feuert er in Interviews ziemlich druckreife Sätze ab. Und das, obwohl er, wie er erzählt, früher Angst vor Interviewsituationen hatte.

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Doch nun zurück ins Akademietheater, wo der gebürtige Rheinländer gerade das Stück „Der Revisor“, inszeniert von Mateja Koležnik, probt. Wir sitzen in der Kantine, zwischen uns zwei große Gläser Soda Zitron. Ein paar Tische weiter diskutiert das Regieteam über den Stand der Proben. Er habe schon lange große Lust gehabt, mit Mateja Koležnik zu arbeiten, erzählt Tim Werths, der in der Inszenierung die Rolle des Chlestakow, des vermeintlichen Revisors, übernimmt. „Ich mag es sehr, dass sie mich als Regisseurin auf andere Wege bringt. Hier war es zum Beispiel so, dass ich am Anfang einen ganz anderen Impuls für die Figur hatte. Ich habe ihren aber sofort angenommen, weil er neu und interessant war, wohingegen die erste eigene Idee meist etwas ist, was man schon einmal gemacht hat, mit dem man sich auskennt und wohlfühlt.“

Der Revisor
Tim Werths und Jörg Ratjen in „Der Revisor“.

Foto: Tommy Hetzel

Positiv überfordert

Das Stück in aller Kürze: Chlestakow, ein kleiner Beamter mit großem Hang zu gutem Essen und Trinken, wird von einer korrupten Stadtgesellschaft für einen Revisor gehalten – und daher gefürchtet. Aus Angst davor, mit ihren nicht immer ganz gesetzestreuen Machenschaften aufzufliegen, überhäufen sie ihn mit Bestechungsgeldern. „Mateja hatte die Idee, ihm eine kindliche Naivität zu verpassen“, sagt Tim Werths und setzt nach: „Im Gegensatz zu den restlichen Stadtbewohner*innen hat er nichts Berechnendes oder Boshaftes an sich. Er nimmt die Dinge einfach, wie sie kommen, und trägt eigentlich den Wunsch in sich, dazuzugehören und geachtet zu werden.“

Die Arbeit mit Mateja Koležnik sei auf positive Weise überfordernd, fügt er lachend hinzu. „Sie ist wahnsinnig schnell. Wir sind bereits am zweiten Probentag auf die Bühne gegangen. Und man bekommt so viele Informationen auf einmal, dass ich teilweise das Gefühl hatte, mein Kopf platzt“, erinnert er sich an die erste Probenphase. In dieser Überforderung liege für ihn aber auch ein großer Reiz, ergänzt er. „Ich bin sowieso sehr offen und lasse mich gerne auf neue Erfahrungen und Ansätze ein.“

Im Falle von Mateja Koležnik bedeutet das, sich auch dafür zu öffnen, hin und wieder mit dem Rücken zum Publikum zu spielen. Was im ersten Moment paradox klingt, gehört zur Regiehandschrift der slowenischen Regisseurin. Dass eine vom Publikum abgewandte Körperhaltung für ihn bedeutet, auf der Bühne eigene Instinkte zu unterbinden, glaubt man Tim Werths sofort. Denn auch abseits der Bühne ist er jemand, dem man auf jeden Fall eine große Zugewandtheit attestieren würde. Er finde den Ansatz aber total spannend, betont er.

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Um zu verdeutlichen, wie sich das für das Publikum anfühlt, steht er mitten im Sprechen auf und bewegt sich vor dem kleinen Kantinentisch hin und her – fügt seinen Worten eine körperliche Ebene hinzu. Womit im Übrigen auch schon ein wenig erklärt ist, wie Tim Werths sich seine Figuren gerne erarbeitet – indem er eine Körperlichkeit für sie findet.

Lustig sei das Stück vor allem aufgrund seiner Situationskomik, ist der Schauspieler überzeugt. Man müsse die Figuren in dem Stück aber auf jeden Fall ernst nehmen, sie keinesfalls als Karikaturen spielen, so Werths, der sich, wie er erklärt, auch in seiner achten Spielzeit immer noch total im „Aufsaugmodus“ befindet. „Ich mag es, mich immer wieder in neue Erfahrungen reinzuwerfen, und tue das glücklicherweise mit einer großen Leichtigkeit und Angstfreiheit“, hält er fest. Im Falle der „rheinischen Frohnatur“ Tim Werths könnte man vielleicht auch Besonnenheit dazu sagen. Schon in der Schauspielschule meinte einer seiner Dozenten, dass er sich das unbedingt bewahren solle, weil das etwas sei, was man nicht lernen kann. „Ich würde sagen, dass ich meinen Job dann gut mache, wenn ich alles gebe. Wenn ich es mir nicht gemütlich mache. Diesen Ehrgeiz möchte ich mir unbedingt beibehalten.“

Sich auf der Bühne wohlzufühlen, bedeutet also nicht, dass sie gleichzeitig zur ultimativen Komfortzone wird. Genauso gilt: Lässigkeit – von der Tim Werths eine ganze Menge mitbringt – sollte nicht mit Gelassenheit verwechselt werden. Letztere ist nämlich eindeutig zu nah dran an der Gemütlichkeit.

Zur Person: Tim Werths

ist in Aachen geboren und absolvierte sein Studium an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main. Er spielte bereits während des Studiums am Schauspiel Frankfurt, war Ensemblemitglied am Residenztheater in München. Seit der Saison 2019/20 ist Werths fixes Ensemblemitglied am Burgtheater. In Wien musste er erst einmal lernen, nicht jeden schiefen Blick persönlich zu nehmen.

Zu den Spielterminen von „Der Revisor“ im Akademietheater!