Felix Kammerer sitzt auf einem schwarzen Ledersessel und pustet Papierschnipsel in die Luft. Viel gebe es auf der Probebühne nach erst zwei Wochen Probenzeit noch nicht zu sehen, warnte uns Regisseur Jan Bosse im Vorfeld. Doch wie so oft im Leben kommt es schlussendlich darauf an, was man draus macht. Klingt abgedroschen, ist aber so. Und so pustet Felix Kammerer für das Fotoshooting eben weiße Schnipsel in die etwas abgestandene Probebühnenluft. Sie rieseln zu Boden und sehen dabei aus wie – zugegeben höchstens semiauthentische – Schneeflocken. Über den Begriff der Authentizität und seine sowohl semantischen wie auch phonetischen Tücken wird der Schauspieler etwas später im Interview noch sprechen. Und natürlich auch darüber, was Jan Bosse – gemeinsam mit seinem Team und Ensemble – aus Ayad Akhtars neuem Stück „Der Fall McNeal“ machen wird. Oscarbedingte Starallüren sucht man bei dem 1995 geborenen Schauspieler jedenfalls vergeblich. Oder anders formuliert: Allüren? Pustekuchen!

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Alle dürfen mitreden

Wir sitzen an dem langen Tisch auf der mittlerweile menschenleeren Probebühne. Vor ziemlich genau zwei Jahren hat er zum letzten Mal hier geprobt, erzählt Felix Kammerer mit ruhiger, klarer Stimme. Danach konzentrierte er sich vor allem aufs Drehen, sei „von Netflix gekapert worden“, wie es Jan Bosse augen­zwinkernd ausdrückt. „Es gab bei dieser Produktion schon so einen kurzen Moment des Fremdelns. Man liefert sich im Theater einfach ganz anders aus als im Film, und man muss es aushalten, dass vieles zunächst scheitert und sich seltsam anfühlt, bis sich irgendwann ein gutes Gefühl einstellt. Daran gewöhne ich mich gerade wieder. Das macht Spaß, braucht aber auch viel Kraft“, sagt Felix Kammerer, der es schön fände, auch in Zukunft beides machen zu können.

An der Zusammenarbeit mit Jan Bosse schätzt er unter anderem, dass der Regisseur zwar viele starke Ideen mitbringt, aber nichts in Stein gemeißelt ist. „Theater ist immer eine Gruppenarbeit“, bringt es Bosse selbst auf den Punkt. „Bei mir dürfen alle mitreden. Gerade wenn ich mir am Schreibtisch etwas nicht vorstellen konnte und mich deshalb unsicher fühle, entstehen auf der Probe die schönsten Dinge. Je mehr ich diese Momente umarme, desto reicher wird die Arbeit. Trotzdem darf man nicht nur Dinge ansammeln, sondern muss auch Entscheidungen treffen. Ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass meine Stücke mehr Tiefe bekommen, wenn die Spieler*innen wissen, warum sie etwas tun und nicht einfach nur etwas erfüllen, das ich mir zuvor ausgedacht habe.“ Wir stellen fest: Jan Bosse ist nicht der Typ für sogenannte Boss Moves. Und wir entschuldigen uns auch gleich für das schlechte Wortspiel.

Obwohl sie einander vor zehn Jahren zum allerersten Mal begegnet sind, ist „Der Fall McNeal“ die erste gemeinsame Arbeit der beiden. „Das war 2015, noch vor Studienbeginn. Ich habe eine Inszenierung von ihm gesehen und ihn einfach angesprochen – weil ich seine Arbeiten sehr mochte. Seither bin ich ihm immer wieder zufällig begegnet. Nun klappt es endlich mit der Zusammenarbeit“, sagt Felix Kammerer.

Jan Bosse McNeal
Jan Bosse inszeniert „Der Fall McNeal“. Der in Stuttgart geborene Regisseur brachte im Akademietheater zuletzt „hildensaga. ein königinnendrama“ auf die Bühne. Er wurde mehrfach zum Theatertreffen eingeladen, u. a. mit seiner Wiener ­Inszenierung „Die Welt im Rücken“. Mit ­Joachim Meyerhoff verbindet ihn eine lange Arbeitsbeziehung.

Foto: Marcella Ruiz Cruz

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Im Theater kann alles passieren

Zum Inhalt des Stücks: ­Jacob McNeal (gespielt von Joachim Meyerhoff), ein gefeierter, körperlich stark angeschlagener und narzisstischer Schriftsteller, wird für seinen neuesten Roman gefeiert, der allerdings auf dem Manuskript seiner verstorbenen Ehefrau basiert. Obwohl er den Text mithilfe von KI etwas ver­ändert hat, droht sein Sohn Harlan (Felix Kammerer), ihn auffliegen zu lassen. Es kommt zum Streit.

Ein Text, der nach einer Tiefenbohrung – einer Reise zu des Pudels Kern – verlangt, erläutert Jan Bosse, der seine Hündin Wilma zum Interview mitgebracht hat. Die große Heraus­forderung bestehe außerdem darin, Jacob McNeal als Figur so zu zeichnen, dass er trotz seines toxischen Verhaltens berührt. Wenn das jemandem gelingt, dann Joachim Meyerhoff, ist der Regisseur überzeugt. Schicht für Schicht wird McNeal auseinandergenommen – mit ihm der Geniebegriff und die Unangreifbarkeit, die daran geknüpft ist, so Bosse –, unter anderem von starken Frauenfiguren, die von Dorothee Hartinger, Zeynep Buyraç und Safira Robens gespielt werden.

Felix Kammerer
„Man liefert sich im Theater einfach ganz anders aus als im Film", so Felix Kammerer.

Foto: Marko Mestrovic

Rund um das Thema KI, das in Akh­tars Stück ebenfalls eine wichtige Rolle spielt, hat Jan Bosse viel gelesen und einiges auch selbst ausprobiert. Als Kunst, die im Moment stattfindet, sei das Theater davon allerdings weniger betroffen als andere Bereiche: „Im Theater, im Zirkus oder bei Konzerten können immer Fehler passieren. Das feiere ich, obwohl es auch traurige Konsequenzen haben kann. Man will natürlich nicht, dass der Seiltänzer abstürzt, aber der Thrill am Seiltanz ist, dass es immer passieren kann.“

Dazu passt, dass Felix Kammerer folgender Gedanke in den Kopf schießt, wenn er über das Theater spricht: „Man weiß: Hier ist das Lenkrad, hier das Gaspedal. Alles ist wie immer, trotzdem weiß man nie, ob man das Auto dieses Mal nicht gegen die Wand fährt. – Bei dieser Arbeit sieht es aber nicht danach aus.“ Er lacht.

Obwohl er an seine Arbeit insgesamt eher rational herangeht, gibt es regel­mäßig Momente, in denen sich der Bauch einschaltet, merkt er an. „Immer dann, wenn es darum geht, Entscheidungen zu treffen. In diesen Momenten fühle ich mich wirklich als Künstler.“

Im Zuge der Arbeit an „Der Fall McNeal“ seien bei ihm unter anderem folgende Fragen aufgetaucht: „Woraus schöpfen wir? Was klauen wir von den Menschen um uns herum? Was übernehme ich als Schauspieler aus Situationen, die ich auf der Straße beobachte?“ Dass Letztgenanntes für das Publikum in der Regel unbeantwortet bleibt, ist Teil des großen Theaterzaubers.

Zu den Spielterminen von „Der Fall McNeal“ im Burgtheater!