Brisantes Erbe. „Es ist ein kleines Bild in einem schlichten schwarzen Holzrahmen, offenbar ein Aquarell. Farblich dominieren Sepiatöne und Braun. Zu sehen ist eine eckige, gedrungen wirkende Kirche mit kurzem, spitzem Turm und Bogenfenstern.“ So beschreibt Autor Marius von Mayenburg jenes Gemälde, das Nicola und ihr Bruder Philipp bei der Räumung des Hauses ihres verstorbenen Vaters auf dem Dachboden entdecken. Die Rückseite des kitschigen Machwerks auf billiger Pappe birgt allerdings eine Bombe: „A. Hitler“. Vermutlich die Unterschrift des Führers. Nun hält das Chaos in die Welt des Geschwisterpaares und ihrer jeweiligen Ehepartner Einzug, zumal Judith, Philipps Frau, Jüdin ist.

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Die eben noch beteuerte antifaschistische Fassade bröckelt rasch, als Nicola und Philipp merken, dass sich mit diesem Bild viel Geld machen ließe. Erst recht, wenn man eine direkte Verbindung zu Adolf Hitler nachweisen könnte, was dessen Sammler extra zu schätzen wüssten. War nicht Oma Grete, die Opernsängerin, NSDAP-Mitglied? Und hatte sie nicht gar ein Verhältnis mit Martin Bormann, Hitlers Sekretär?

Marius von Mayenburgs bitterböses Stück ist brillant. Die Dialoge sind geschliffen scharf, alle Figuren schnell im Denken und unglaublich schlagfertig. Eine Screwball-Comedy für die Theaterbühne, die nicht nur schwarzhumorig irritiert, sondern am laufenden Band Fragen aufwirft. Die wohl drängendste ergibt sich aus der originellen Grundidee: Was würden Sie tun, wenn Sie ein Bild von Adolf Hitler auf Ihrem Dachboden fänden?

Garantierter Diskussionsstoff

„Ich könnte mir nicht vorstellen, hier aus Eigennutz zu handeln, denn das ist wirklich eine Angelegenheit, die moralische Grundsätze betrifft“, erklärt Martina Ebm, die Nicola verkörpern wird.

„Natürlich geht es um Maßstäbe“, pflichtet ihr Oliver Rosskopf, im Stück ihr Bruder Philipp, bei. „Ich glaube auch nicht, dass ich Geld daraus machen würde. Aber bei jemandem, der beispielsweise drei Kinder hat und 200.000 Euro Schulden, ist die Zwickmühle schon eine größere.“

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Im Stück würden die Protagonisten allerdings aus reiner Habgier handeln, vermutet Martina Ebm. Sie fände das auch viel spannender. Beide Paare sind nämlich nach außen hin wohlsituiert. Wie genau ihre finanzielle Situation ausschaut, erfährt man allerdings nicht. So wird der mögliche gewinnbringende Verkauf des Hitler-Bildes also zur reinen Prinzipienfrage. Der Marius von Mayenburg immer neue Aspekte folgen lässt. Zum Beispiel jenen, ob man das Werk vom Künstler trennen könne.

Kann man sich noch Filme von Woody Allen anschauen? Ist es legitim, Michael Jacksons Musik zu hören?

Oliver Rosskopf, Schauspieler

Übler Dunstkreis

Er lässt den potenziellen Käufer namens Kahl eine ganze Reihe bedeutender Persönlichkeiten aus Kunst, Kultur und Philosophie aufzählen, die sich durch unsäglichen Antisemitismus hervorgetan haben. „Wir müssen das trennen, sonst schmeißen wir das Abendland zum Fenster raus“, lautet dessen Resümee. „Hitler ist gar kein Künstler“, entgegnet Martina Ebm. „Seine ‚Kunst‘ wird nur deshalb zu etwas Großem, weil es Leute gibt, die ihn aus ganz anderen Motiven bewundern und deshalb bereit sind, viel Geld für ein Werk von ihm auszugeben. Das ist ja das Absurde.“

Hitler habe sich nicht einmal selbst als Künstler definiert, bekräftigt Oliver Rosskopf. „Er ist ein Massenmörder. Leute, die so etwas kaufen, sind Fans seiner dunklen Seite und wollen dadurch in seinen Dunstkreis zurückkatapultiert werden. Aber die Frage ist generell spannend. Kann man sich noch Filme von und mit Woody Allen oder Kevin Spacey anschauen? Ist es legitim, Musik von Michael Jackson zu hören?“

Ist es das? „Ich finde es schwierig“, so Martina Ebm. „Wenn ich auf einer Bühne stehe, dann stehe ich da als Mensch und nicht nur in einer Rolle. Ich stehe für etwas.“

Zur Person: Martina Ebm

war Juniorenmeisterin im Judo, studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaften, spielte beim Salzburger Straßentheater und am Wiener Schauspielhaus, verkörperte die junge Titelfigur in „Alma – A Show Biz ans Ende“ und ist seit 2014 Ensemblemitglied in der Josefstadt. Zu ihrer Vita zählen viele Kino- und TV-Produktionen – darunter vier Staffeln „Vorstadtweiber“.

Textliche Challenge

Wie Martina Ebm und Oliver Rosskopf ihre jeweiligen Charaktere anlegen werden, stand beim Interview, das vor Probenbeginn stattfand, noch nicht fest.

„Die Geschichte steht ganz klar im Vordergrund. Ich möchte Nicola, die eher unsympathisch ist, aber nicht verraten und ihre Handlungen auch für das Publikum nachvollziehbar machen. Auch wenn ihre Motive vielleicht niederträchtig sind, ist sie eine spannende Figur. Sie steht für viele in unserer Gesellschaft“, erläutert Martina Ebm.

„Ich frage mich bei Philipp, inwieweit nicht schon immer problematisches Gedankengut in ihm angelegt war. Ob er sich nicht bewusst eine Jüdin als Partnerin ausgesucht hat, um als Saubermann dazustehen. Eine wichtige Frage ist auch die nach dem Alltags-Antisemitismus in uns allen. Das ist, gerade in der aktuellen politischen Situation, eine Frage, die wir uns alle stellen sollten“, meint Oliver Rosskopf.

Man könne mit Theater aber sicher niemanden bekehren, findet Martina Ebm. „Aber man kann für Diskussionen sorgen. Das Stück ist komisch, man darf und soll darüber lachen, aber wir als Schauspieler müssen darauf achten, es nicht zu verblödeln, sondern den mahnenden Unterton beizubehalten.“

Wie immer lernt sie ihren – umfangreichen – Text im Laufen. Aufgenommen am Handy. „Da habe ich Zeit, da bin ich allein. Wobei ich sagen muss, dass ich diese schnellen ‚Klick-Klack-Dialoge‘ schwerer erlerne als lange Monologe.“ Hat auch Oliver Rosskopf diesbezüglich Rituale? „Am besten lerne ich erstaunlicherweise zwischen Tür und Angel. Ich trage das Textbuch mit mir herum, lese immer wieder ein paar Zeilen und habe es irgendwann intus. Mir fällt es nicht leicht, mich zwei Stunden lernend ruhig hinzusetzen. Da schlafe ich nach fünf Minuten ein.“

Zur Person: Oliver Rosskopf

ist ausgebildeter Kindergärtner, studierte Schauspiel in Graz, war Ensemblemitglied im Schauspielhaus Graz sowie am Landestheater Niederösterreich und gastierte u. a. am Maxim Gorki Theater. Er ist auch als Sprecher und Regisseur tätig, tritt neben dem Theater in der Josefstadt im Globe Wien auf und spielte in zahlreichen TV- und Kinofilmen.

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