Dieser Preis verändert alles
Am Volkstheater wird gespielt, bis die Welt untergeht. Schließlich gilt es, den wohl wichtigsten Theaterpreis der Welt, den Destroy, zu verleihen. „Apokalypse Miau“ ist eine Screwball-Komödie im Gewand einer Preisverleihung.
It’s award season. Nicht nur in Hollywood, sondern auch in Wien. Nur zwei Wochen nach dem Nestroy geht mit dem Destroy schon der nächste Theaterpreis über die Bühne. Die Besonderheit: Der Destroy ist der erste in ein Theaterstück verpackte Theaterpreis. Klingt verwirrend und irgendwie „meta“? Ist es gar nicht. „Apokalypse Miau“ lautet der Name des Stücks, das aus der Feder des isländisch-deutschen Autors Kristof Magnusson stammt. Wie im Übrigen auch die in diesen Text eingebundenen Wortlaute der fiktiven Charaktere des Stücks.
Einmal Theater, immer Theater
Eine Preisverleihung ist ja vor allem immer eines – eine tolle Show, ist Destroy-Moderatorin Bonnie van Klompp überzeugt. Mit ihrer optimistischen Lebenseinstellung möchte sie die Gala zu einem besonderen Erlebnis für alle Theaterfans machen. * Weiterlesen...
Seine temporeiche Komödie über den Destroy-Theaterpreis, die unter Mitarbeit des Autors und Architekten Gunnar Klack entstand, ist eine Persiflage auf die Theaterwelt, ihre Rituale und Preise. Allerdings steckt hinter jeder auf den ersten Blick vielleicht gar zu spitzzüngigen Überhöhung immer auch eine liebevolle Umarmung des großen Theaterzaubers.
Spielen bis zum Untergang
Der verbale Schlagabtausch in „Apokalypse Miau“ ähnelt einem Pingpongspiel im Zeitraffermodus und dauert so lange an, bis ein Meteorit einschlägt und die Welt – und mit ihr auch das Theater – untergeht. Vulkane brechen aus, und das Schwarze Loch hat zum Zeitpunkt der Gala bereits die Stadt Genf verschluckt.
Allen konzeptuellen und ideologischen Unterschieden trotzend, sind sich die Nominierten und Moderatorin Bonnie van Klompp einig: The showdown must go on. Es wird weitergespielt, bis der letzte Vorhang tatsächlich fällt. Schließlich gilt es, viel mehr als nur eine Kunstform zu preisen. Oder, wie es Moderatorin Bonnie van Klompp formuliert: „Das Theater ist etwas Unsagbares, Unbeschreibliches, man ist irgendwie verrückt danach. Es ist wie ein Energiefeld, das uns umgibt und durchdringt. Es hält die Galaxis zusammen.“*
Wie die zweite Hälfte der von Kay Voges inszenierten Komödie zeigt, reicht der Theaterzauber zwar nicht ganz aus, um die Galaxis tatsächlich zusammenzuhalten, mit allem anderen hat Bonnie van Klompp, bei aller Überhöhung, aber schon irgendwie recht.
Werktreue als „bürgerliche Fiktion“
Doch nun zurück zum Destroy und seinen Nominierten: Da wäre unter anderem Wenjamin Olinde, Regisseur mit Hang zur Zertrümmerung von Theatertexten, der den Destroy für sein Lebenswerk erhält. Klassiker werden in seinen Inszenierungen stets zu politischen Kommentaren. Werktreue empfindet er als „bürgerliche Fiktion“. Die Aussage, er sei altersmilde geworden, kann der Destroy-Preisträger nur milde belächeln.
Bei der Destroy-Preisverleihung trifft er auf eine alte Bekannte – die ebenfalls nominierte Meta Gleiberg, Verfechterin des postdramatischen Theaters und unermüdliche Kämpferin für soziale Gerechtigkeit. Zwischen Leben und Theater passt in ihren Augen nicht einmal ein Blatt Papier.
In ähnlicher Weise sieht das auch Jungschauspieler und Shootingstar Erasmus Selbach-Stein – auch wenn es sich bei ihm etwas anders ausdrückt. Genau genommen spielt Selbach-Stein immer nur sich selbst. Er selbst bezeichnet das als authentisch, die Feuilletons sind sich da nicht ganz so sicher.
Aus sich selbst heraustreten
Nominiert ist außerdem Fritjov Blavatsky, ein Tanztheater-Choreograf mit Hang zur Esoterik. Typisch für seine Stücke ist die Einbeziehung des Publikums, um schamanistische Rituale zu vollführen. Seine Performances würden, wie er in Interviews bereits mehrfach betonte, nicht nur nach einem freien Kopf, sondern auch nach einer Öffnung des Herzens verlangen. Danach gefragt, wie das Publikum im Idealfall aus seinen Stücken rausgehen sollte, antwortet er: „Ich würde gerne gleich beim Wort ‚rausgehen‘ einhaken: herausgehen, heraustreten, also aus sich selbst heraustreten, außer sich sein. Da kommt ja auch der Ausdruck Ekstase her. Es geht darum, aus dem eigenen Selbst herauszutreten. Wir gehen gemeinsam auf eine Reise und erleben etwas, was wir sonst nie erleben würden.“
Timing ist alles
Ebenfalls zum Kreis der Nominierten gehört Konrad Fidelius – mit seinen fast 80 Jahren bereits ein alter Hase des Theaterbetriebs. Schon sein Nachname (fidelis ist das lateinische Wort für „der Treue“) legt nahe, dass er sich in werkgetreuen Inszenierungen besonders wohlfühlt. Davon, den Destroy nur als Gala und praktische Möglichkeit temporärer Zerstreuung zu sehen, hält der Kleist-Verehrer gar nichts: „Niemand denkt überhaupt noch darüber nach, woher dieser Preis eigentlich kommt. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um einmal daran zu erinnern, wen wir mit dem Destroy eigentlich ehren. Immerhin wurde der Preis nach dem berühmten Dramatiker Jean-Baptiste Emanuel Destroy benannt, der sich stets auf die traditionelle Seite des Theaters berufen hat.“
Das Theater hat etwas Unsagbares, Unbeschreibliches, man ist irgendwie verrückt danach. *
Bonnie van Klompp, Schauspielerin und Moderatorin
Mit dem Charakter des Komödienautors Christian Gustafsson hat sich „Apokalypse Miau“-Autor Kristof Magnusson auch selbst in seinen Text hineingeschrieben. Der fiktive Gustafsson möchte sich als Intellektueller etablieren, wird aber nicht ernst genommen, sondern immer wieder auf seine Rolle als Komödienautor reduziert. Das Geheimnis einer guten Komödie? Gustafsson beantwortet die Frage mit einem Witz: „Einer meiner Lieblingswitze ist ja der, wo ein Reporter einen Komiker fragt, was das Geheimnis seines Erfolgs sei. Aber bevor der Reporter seine Frage überhaupt nur beenden kann, fällt der Komiker ihm ins Wort und sagt: ‚Timing‘. Also der Witz war auf Englisch. ‚What is the secret of your succ …‘ – ‚Timing!‘“
„Volkstheater ist Erlebnistheater“
Vom Noise Essay zur Weltuntergangskomödie: Das Volkstheater stellt sich in der kommenden Spielzeit nicht nur breit auf, sondern mit Goethes „Faust“ auch ein klassisches Stück an den Anfang, das erahnen lässt, was die Welt im Innersten zusammenhält. Weiterlesen...
Ein bisschen L. A. in Wien
Die erfolgreiche Filmschauspielerin Celeste Engel kommt extra aus Hollywood angereist, um bei der Preisverleihung anwesend zu sein. Als Hollywood bei der Schauspielerin an der Tür klingelte, ging ihre Karriere durch die Decke. Mit einer eigenen Kryptowährung, einem Milchersatzprodukt auf Haferbasis und einer Tiny-Home-Serie namens „Cell“ verdient sie mittlerweile mehr Geld als mit der Schauspielerei. Wir fragen, ob sich gewinnorientiertes Unternehmertum und Kunst nicht ausschließen würden. Celeste Engel lacht. „Solche romantischen Idealistenfragen passieren wirklich nur mit europäischen Media Outlets. Oder an der US-Ostküste. Aber in Kalifornien hat mir diese Frage selbstverständlich noch niemand gestellt. Und die Antwort ist doch selbstverständlich: ein big, fat resounding ‚hell no‘.“ Obwohl sie Diskussionen wie jene zwischen Regietheater und Werktreue in ihrer täglichen Arbeit kaum tangieren, war es Engel ein Anliegen, beim Destroy dabei zu sein.
Warum eigentlich? „Da haben ein bisschen Romanticism und auch ein bisschen Sentimentalism hineingespielt. Vielleicht ist es für mich auch so etwas wie ein Reality-Check. Das Showbusiness in Europa hat doch einfach ein anderes Flair. Das ist zur Abwechslung ja auch mal ganz schön. Alles ist viel familiärer, viel kleiner, viel persönlicher. Ein Flohzirkus kann ja auch unterhaltsam sein.“
Oder, um es mit Erasmus Selbach-Stein zu sagen: „Authentizität ist alles!“
* Diese Aussage von Bonnie van Klompp wie auch alle weiteren O-Töne in diesem Text wurden von den beiden Autoren des Stücks verfasst.