Villa Orlofsky: Wenn aus dem Fest eine Festung wird
Mit „Villa Orlofsky“ verbeugt sich Paul-Georg Dittrich vor der berühmten Operette „Die Fledermaus“. Der Regisseur möchte das Werk in die heutige Zeit übertragen und verpasst der Strauss’schen Walzerseligkeit dafür einen neuen Dreh.

Foto: Peter M. Mayr
Paul-Georg Dittrich freut sich, dass er das stille Kämmerlein nun endlich verlassen und gegen die Probebühne des Volkstheaters in der Tigergasse tauschen konnte. Er sprudelt vor Energie, und auf Wunsch des Fotografen schafft er flugs eine Leiter herbei. Weil sie vom Volkstheater acht Wochen Probenzeit bekommen haben, können sie die ersten beiden Wochen dafür nutzen, um wie in einer Art Labor zu agieren, hält er fest. „Natürlich kann man sich vieles am Schreibtisch ausdenken, letztendlich kommt es aber darauf an, was passiert, wenn all diese Dinge mit Leben gefüllt werden.“
Labor bedeutet für den Regisseur unter anderem, dass es viel Raum zum Ausprobieren gibt und sich darin eine gemeinsame Suchbewegung entfalten kann. Im Fall seiner neuen Arbeit „Villa Orlofsky“ kommt der Begriff jedoch auch seiner eigentlichen Bedeutung ziemlich nahe. Der Plan des Regisseurs lautet nämlich wie folgt: Aus der berühmten Operette „Die Fledermaus“ extrahiert er eine Reihe an besonderen Wirkstoffen – Melodien, Motive,Textstellen –, um sie anschließend mit anderen wirkungsvollen Mitteln zu vermengen.
„Als ich die Anfrage bekam, ob ich Lust hätte, mich mit der ‚Fledermaus‘ zu beschäftigen, habe ich zunächst ein bisschen geschluckt. Aus der ersten Distanziertheit sind aber rasch ein großer Respekt und eine ebenso große Liebe entstanden. Denn bei aller süßen Beschwingtheit, die in dem Werk steckt, geht Strauss auch bitterböse mit der damaligen Gesellschaft um“, erinnert sich Paul-Georg Dittrich an den Beginn der Auseinandersetzung.
Zur Person: Paul-Georg Dittrich
ist Musiktheaterregisseur. Er studierte Regie an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg und inszenierte u. a. an der Staatsoper Stuttgart, der Deutschen Oper Berlin, an der Kölner Oper und am Schauspiel Frankfurt. 2016 war er für den deutschen Theaterpreis Der Faust nominiert. Sein Interesse gilt unter anderem der zeitgenössischen Symbiose zwischen Musik- und Sprechtheater.
Zwar trägt seine Überschreibung, die ein Hybrid aus Musik- und Sprechtheater ist, den Titel „Villa Orlofsky“, allerdings hätten sie sich auch auf Motive und Handlungselemente aus dem ersten und dritten Akt gestürzt, so der Regisseur. „Unser Ausgangspunkt ist trotzdem der Maskenball – der Versuch, der Realität mittels Berauschung und Rollenspielen zu entfliehen, während diese immer stärker an die Türen der Villa drückt.“
Dass das in Ernüchterung enden muss, ist rasch klar. So war das noch bei jeder Welt, die sich – in bester Walzermanier – ausschließlich um sich selbst drehte. Ein Motiv, das sich für Dittrich durch die gesamte „Fledermaus“ zieht, ist jenes des geschlossenen Raums.
„Das reale Gefängnis im dritten Akt spiegelt jenes der bürgerlichen Ehe im ersten Akt wider. Und auch der Maskenball ist nur scheinbar ein Ort, an dem so etwas wie Freiheit möglich ist. Wenn man dieses Motiv weiterdenkt, drängt sich zudem das Bild einer Festung auf – als Ort, der dazu dient, sich vor etwas zu schützen. Und damit sind wir sehr schnell in der gegenwärtigen Politik angekommen“, findet Paul-Georg Dittrich klare Worte.
Das Motiv des Maskenballs brachte Paul-Georg Dittrich und sein Team außerdem dazu, sich intensiv mit Demaskierung und Dekonstruktion zu beschäftigen.
„Die Tapete löst sich, und man erkennt, dass es dahinter schimmelt“, so der Regisseur. Aber auch im Kostümbild von Mona Ulrich findet eine Demaskierung statt – „zunächst scheint die Optik der damaligen Zeit zu entsprechen, doch nach und nach zerläuft die Schminke, weil den Figuren das Wasser bis zum Hals steht.

Foto: Peter M. Mayr
Am Ende landen wir ineinersehrkalten,technischenWelt,die die Spieler*innen und Sänger*innen ins Zentrum rückt, die sich aber nicht mehr verstecken können. Sie sind nackt, ohne wirklich nackt zu sein.“
Von einer Dekonstruktion der Operette möchte Paul-Georg Dittrich aber nicht sprechen. Vielmehr ist es eine lustvolle Auseinandersetzung mit der Musik und dem Text, der unter anderem die Beschäftigung mit der Frage innewohnt, wie sich die Unterhaltungsmusik der damaligen Zeit in die heutige Welt transferieren lässt. Eine gewisse Unverblümtheit im Umgang mit dem teilweise doch sehr blumigen Material sei dafür notwendig. Oder anders formuliert: Dittrich hat kein Interesse daran, mit einer dicken Walze über die Strauss’sche Walzerseligkeit zu donnern.
Ganz im Gegenteil.
„Ich möchte, dass Strauss-Liebhaber*innen ihre Lieblingsmelodien erkennen, gleichzeitig sollte Kennerschaft aber niemals eine Voraussetzung für einen unterhaltsamen und zugleich nachdenklichen Abend sein. Im Grunde ist unsere Arbeit eine Verbeugung vor Strauss, weil wir seine Komposition wirklich großartig finden. Wir versuchen also, die Musik in seinem Geiste zu transformieren und in unsere heutige Zeit zu übertragen.“
In Anlehnung an Nils Strunks „Zauberflöte“ im Burgtheater könnte man es auch so formulieren: Im besten Fall dreht sich Strauss im Grabe mit. Komponiert wurden die Stücke von Christopher Scheuer und Tobias Schwencke, die beide auch live spielen werden.
Als ich gefragt wurde, ob ich mich mit der ‚Fledermaus‘ beschäftigen möchte, habe ich zunächst ein bisschen geschluckt.
Paul-Georg Dittrich, Regisseur
Darüber hinaus ist Paul-Georg Dittrich gerade dabei, eine spezielle Sprechtechnik mit den Spielenden zu erarbeiten – zwischen Singen und rhythmischem Sprechen, musikalischer als das klassische Rezitativ und angelehnt an den griechischen Komponisten Georges Aperghis, wie der Regisseur betont.
„Ich möchte, dass man jede Figur sofort an ihrer Art zu sprechen erkennt.“
Wann er mit einer seiner Arbeiten zufrieden ist, möchten wir noch von dem Regisseur wissen, bevor er sich auf den Weg in die musikalische Probe macht. Er antwortet: „Wenn ich das Gefühl habe, das Ensemble ist zusammengewachsen und brennt für den gemeinsamen Abend. Als Fußballfan sehe ich es auch als meine Aufgabe, das Team so einzuschwören, dass es Spaß daran hat – egal ob es ein lustiger oder ein trauriger Abend ist.“