Marius Zernatto: Stärke haben, Schwäche zeigen
Liebeskummer. Pandemieblues. Operationsnarben. Depression. Schauspieler Marius Zernatto hat im vergangenen Jahr viel erlebt. Das Lachen hat er nicht verlernt. Nun zeigt er als Peter Schlemihl, wie man ohne Schatten lebt.
Der Mann sollte Seminare geben. Titel: „Wie man Menschen in einer Minute für sich gewinnt“. Länger dauert es nämlich nicht, ehe man das Gefühl hat, einander schon ewig zu kennen. Zum offenen Lächeln gesellt sich ein nie versiegender Redestrom, der kaum zu Banalitäten neigt. In das erst 28-jährige Leben hat sich ganz schön viel Erfahrung eingefräst, was zwar nicht zwingend zu Klugheit führen muss, es in seinem Falle aber tut.
Marius Zernatto besitzt Empathie. Und diese verteilt er großzügig über alle Themen, die sein Interesse erwecken. Nichts wird nur oberflächlich gestreift, alles einer tiefgründigen Beleuchtung unterzogen. Zeit zum Nachdenken hatte der gebürtige Kärntner im letzten Jahr ausreichend. Denn wie bei vielen seiner Kolleg*innen bremste die Pandemie auch seine Karriere. Es ging von hundert auf null. Von Wien zurück nach Treffen. „Im November 2020 haben wir zehn Vorstellungen von ‚Das große Shakespeare-Abenteuer‘ im TdJ gespielt. Als die Serie vorbei war, kam meine private Trennung nach acht Jahren, und es begann ein Jahr der Selbsterkenntnis.
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Ich dachte, okay, meinen Selbstwert mache ich abhängig von meiner Leistung am Theater, meine Selbstliebe mache ich abhängig von der Person, die mir Liebe schenkt. In dem Moment, wo ich beides nicht hatte, war klar, alles, was ich 27 Jahre lang als Marius Zernatto definiert habe, ist Blödsinn. Das existiert ja gar nicht.“ Seine Geduld wurde durch zwei weitere Ereignisse auf eine harte Probe gestellt. Er erkrankte an Corona und musste sich später einer Augenmuskeloperation, die sein Schielen am linken Auge beheben sollte, unterziehen. „Die OP war nicht gleich erfolgreich, ich habe vier Wochen lang alles doppelt gesehen. Außerdem war das rechte, nicht operierte Auge plötzlich zehn Grad zu tief, was sich die Ärzte nicht erklären konnten.“ Marius Zernatto begann zu meditieren, was ihm tatsächlich half. Er, der deutschen Sprechgesang schon immer liebte, fing an, intensiv Texte zu schreiben und brachte sich das Ukulele-Spielen bei.
Zur Person: Marius Zernatto
Geboren in Kärnten, Schauspielausbildung an der Filmacademy in Wien, Engagements u. a. in den Kammerspielen der Josefstadt, am Raimund Theater, im Bronski & Grünberg sowie seit 2016 am Theater der Jugend. 2021 für den „Nestroy“ in der Kategorie „Bester Nachwuchs männlich“ nominiert. Er ist Mitbegründer des Ensembles distrACT und spielte in mehreren Folgen der TV-Serie „Walking on Sunshine“. Darüber hinaus tritt er solo mit dem Programm „#Werther“ auf und debütierte 2020 beim Theaterfestival Hin & Weg in Litschau mit der Eigenkomposition „Heher aufe“ als Sänger.
Der Workaholic, längst in eine Depression gefallen, musste sich plötzlich selber analysieren. „Das war Selbsthass de luxe. Ich habe mich überhaupt nicht ausgehalten. Das ist ein Teufelskreis, der stetig nach unten geht. Solange man nicht bewusst etwas ändern möchte, ändert sich auch nichts.“ Er wollte verändern, und, um es kurz zu machen, es geht ihm heute gut. „Großartig, besser denn je. Ich habe die Erkenntnis gewonnen, dass ich nichts beweisen oder erreichen muss. Wir sind alle weder richtig noch falsch, wir müssen uns alle nicht definieren. Das hat viel Druck von mir genommen. Die Welt ist ein Spielplatz, und ich habe das Privileg, dass ich relativ jung meine große Leidenschaft im Leben gefunden habe, und die möchte ich ausleben.“
Dass er so ehrlich mit dem durchschrittenen tiefen Tal umgeht, nehme ihm viel von jener passiven Aggressivität, mit der so viele Menschen zu kämpfen hätten. „Weil man sonst ja immer eine Rolle spielen muss.“ Das tut er lieber am Theater. Jetzt, wo er endlich wieder darf.
Schattenloses Dasein
Dass er Schauspieler werden sollte, trugen andere an ihn heran. Zwar stand das Gasthauskind schon mit vier Jahren auf den Tischen, um Gedichte vorzutragen, er hielt Schauspiel allerdings lange für eine brotlose Kunst. Die ersten Kabaretterfolge beim Treffner Fasching brachten ein Umdenken in Richtung Vorsprechen.
„Ich wusste, dass man kleine Monologe vorbereiten sollte, bin aber mit ‚Hamlet‘ und ‚Romeo und Julia‘ in der Filmacademy aufgetaucht. Außerdem habe ich geschielt und hatte einen S-Fehler. Man hat mich aber nach vorn gebeten und mir gesagt, ich hätte Potenzial, ich solle zur Logopädie gehen – meine Sprache sei schrecklich.“ Marius Zernatto befolgte den Rat. „Danach war der Kärntner Dialekt weg und das ‚sch‘ da“, resümiert er selbstironisch. Nach der Ausbildung spielte er in den Kammerspielen der Josefstadt, im Bronski & Grünberg und seit beinahe sechs Jahren auch immer wieder im Theater der Jugend.
Wie sehr braucht man die anderen, um sich selbst zu finden?
Gerald Maria Bauer, Regisseur
Anfang April hat er – nach einigen Verschiebungen – Premiere mit „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“. Dieser stößt, auf der Suche nach dem Glück, auf den geheimnisvollen grauen Mann, der ihm einen nie versiegenden Geldfluss verspricht, dafür aber seinen Schatten verlangt. Als Peter Schlemihl einwilligt und seinen Schatten verliert, merkt er bald, dass ihn die Menschen seltsam anschauen, irgendwann sogar meiden, weil sie merken, dass mit ihm etwas nicht stimmt.
Gerald Maria Bauer, der Adelbert von Chamissos Kunstmärchen für die Bühne bearbeitete und Regie führt, sieht darin eine Parabel auf das Anderssein. „Wie setzt man sich damit auseinander, nicht vollständig zu sein, zu einer Randgruppe zu gehören? Wie sehr braucht man die anderen, um sich selbst zu finden? Das sind existenzielle Fragen, die man auch so verhandeln muss. Es ist im besten Sinne ein Mutmachthema, ohne dass man in eine heile Welt verfällt.“ Marius Zernatto ergänzt: „Ich denke, dass man die anderen genauso braucht wie sich selbst, um sich zu finden. Am Ende kann er zu sich stehen, er ist glücklich, hat aber auch enge Freunde, die ihn so an- nehmen, wie er ist. Es zeigt, dass man aus dem Schmerz auch lernen kann.
Ich freue mich, seine Geschichte erzählen zu dürfen, weil ich sein Leid spüre.“ Wenn Marius Zernatto nicht Theater spielt, hört er deutschen Rap. Und er spielt Ukulele. „Ich covere gerne Lieder. Mein momentaner Lieblingssong auf der Ukulele ist ‚Clint Eastwood‘ von den Gorillaz.“ Und jetzt, da er Geduld erlernt habe, schaue er manchmal einfach nur ins Grüne. „Mehr muss es gar nicht sein. Klingt kitschig, ist aber so.“