Keine Angst vor Kafka
Weshalb sich junge Punkrockbands von Franz Kafka inspirieren lassen und inwiefern sein Datingverhalten jenem der Tinder-Generation ähnelt? Wir sind mit dem Theater der Jugend ins Universum des Weltautors eingetaucht.
Es ist eine ziemlich verschachtelte Angelegenheit. Im buchstäblichen Sinne trifft dieser Satz, der – so viel ist klar – Kafkas Einstiegssätzen nicht einmal ansatzweise gerecht wird, unter anderem auf das mit Kistentürmen ausgestattete Probebühnenbild für die Inszenierung „Im Panoptikum des Franz K.“ zu. Im übertragenen Sinne kann natürlich auch das Universum Franz Kafkas und das Verhältnis des Weltautors zu seinen Figuren als durchaus verschachtelt bezeichnet werden. Insgesamt also eine ziemlich schwierige Kiste, die sich Gerald Maria Bauer, Chefdramaturg im Theater der Jugend, mit seiner autobiografischen Reise ins Leben des 1924 verstorbenen Autors da aufgehalst hat.
Die andere große Kiste – seine Bernhard-Inszenierung „Ein Kind“, die in der vergangenen Spielzeit für Furore sorgte – hat Bauer mittlerweile wieder zugeklebt und im Regal verstaut, jedoch viel daraus mitgenommen.
In gewisser Weise war „Ein Kind“ nämlich der Startpunkt für seine Auseinandersetzung mit dem Leben und der Literatur Franz Kafkas, die ab 10. Jänner auf der Bühne des Renaissancetheaters zu sehen sein wird. „Nach ‚Ein Kind‘, das ja eine ziemliche Textschlacht war, habe ich festgestellt, dass junge Menschen ab 13 durchaus ein Interesse an Literatur haben, aber außerhalb der Schule gar nicht so häufig damit konfrontiert werden. Obwohl allein der erste Teil eineinhalb Stunden gedauert hat, waren viele der Jugendlichen total begeistert und saßen mit offenen Mündern in den Vorstellungen. Der zweite Ausgangspunkt war natürlich das Kafka-Jahr 2024“, erzählt Gerald Maria Bauer, den wir nach der Vormittagsprobe in seinem Büro im Renaissancetheater treffen.
Zudem würden in Kafkas Texten unglaublich viele Parallelen zu unseren gegenwärtigen Lebensumständen stecken, fügt Bauer hinzu. „Der technische Fortschritt zu dieser Zeit war enorm. Kafka hat die Schreibmaschine, das Telefon und das Diktiergerät mitbekommen und Gedankenexperimente angestellt, wie man Letztgenanntes mit dem Telefon verbinden könnte – in Gedanken hat er also den Anrufbeantworter erfunden. Es war eine unglaublich beschleunigte Zeit und daher auch eine nervöse Grundstimmung in der Bevölkerung zu spüren. Bei den Proben sprechen wir immer wieder darüber, wie gut sich das auf unsere heutige Zeit umlegen lässt.“
Angst vor dem Leben
Es sind vor allem die zahlreichen zwischen Realität und Fiktion mäandernden Tagebucheinträge, die Gerald Maria Bauer als Ausgangsmaterial für seine Inszenierung dienen. „Wir begegnen einem Menschen, der sich nicht getraut hat, zu leben. Der vom Wunsch nach Selbstverwirklichung getrieben und gleichzeitig von riesengroßen Selbstzweifeln geplagt war. Man braucht sich nur anzusehen, wie viele seiner Texte Fragment geblieben sind. Franz Kafka hatte eine unglaubliche Angst vor dem Leben – privat wie beruflich“, merkt der Theatermacher an, der sich beim Erstellen der Fassung mit einem Buchstabenmeer konfrontiert sah. Dass sich auf dem Grund dieses Meeres sehr viel abgründiger Humor befindet, sei im Übrigen eine Sache, die man üblicherweise nicht so schnell mit Kafka in Verbindung bringt, erklärt Bauer.
Ich wache auf, ich bin ein Käfer. Schwester, komm und bitte hilf mir!
Leftovers – „Käfer“
„Ich habe damit begonnen, die Themen einzukreisen, von denen ich dachte, dass sie auch heute interessant sind. Dazu gehörte unter anderem die Beziehung zu seinem Vater, seine Beziehungen zu Frauen, seine Krankheit und auch das immerwährende Scheitern beim Schreiben“, fasst Gerald Maria Bauer die wichtigsten Themenkreise zusammen. Klingt nach ziemlich viel Arbeit? War es auch, sagt er lachend. Anstatt den Hut draufzuhauen, hat er sich den Kafka’schen Hut aber einfach aufgesetzt.
Natürlich wieder nur im metaphorischen Sinne, denn sollte jemand im Rahmen der Inszenierung den ikonischen schwarzen Hut tragen, ist es wohl eher Jasper Engelhardt, der Franz Kafka spielt und der im Stück „Ein Kind“ Thomas Bernhard verkörperte. Neben der neu dazugekommenen Sophie Aujesky sind auch David Fuchs und Valentin Späth wieder dabei. „Das ist schön, weil es ein Grundvertrauen gibt“, hält Gerald Maria Bauer fest. „Außerdem weiß ich von der ersten Arbeit, dass alle drei total an Textarbeit interessiert sind.“
Sich in die Rolle einfühlen
Um in die verschachtelte Welt Franz Kafkas einzutauchen, habe er viel gelesen, erzählt Jasper Engelhardt. „Ich habe mir für diese Inszenierung vorgenommen, sehr in die Tiefe zu gehen und mir genau anzusehen, woher Dinge kommen. Ich habe auch versucht zu verstehen, auf welche Art Kafka eigentlich Text produziert hat.“
Diese Herangehensweise sei für ihn neu gewesen, fügt der Schauspieler, der sich auf der Bühne auch gerne körperlich verausgabt, hinzu. „Wichtig ist jedoch auch, dass einen all das angehäufte Wissen nicht hemmt oder bremst. Bis jetzt habe ich aber eher das Gefühl, dass es mich freier macht“, so Engelhardt. Nach einer kurzen Pause ergänzt er: „Wenn ich so viel lese wie bei dieser Inszenierung, geht es mir vor allem darum, ein Gefühl für Kafka zu entwickeln, um aus diesem Gefühl heraus arbeiten zu können. Das muss jedoch nicht aus einer intellektuellen oder literarischen Auseinandersetzung heraus passieren. Ich habe auch schon Praktika absolviert und körperliche Veränderungen durchgemacht, um ein Gefühl für eine Rolle zu bekommen.“
David Fuchs, dessen Darstellung von Thomas Bernhards Großvater mit einer Nestroy-Nominierung bedacht wurde, hält fest: „Ich muss machen. Am Anfang einige Dinge abzustecken ist wichtig, aber durch das Proben erklärt sich für mich viel mehr.“ Gleichzeitig seien erste Proben immer auch total schwierig, weil stets das Gefühl aufkomme, den Beruf überhaupt nicht zu können, sagt David Fuchs lachend. „Seit ein paar Jahren probe ich aber anders, hau mich einfach rein, habe Spaß und schau, was passiert.“
Dass das Ensemble wieder ähnlich aufgestellt ist wie bei „Ein Kind“, genießt der Schauspieler sehr. „Da es meine dritte gemeinsame Arbeit mit Gerald Maria Bauer ist, weiß ich, dass es viele Freiräume gibt. Ich finde es schön, dass nichts als doof abgestempelt wird, dass man sehr frei improvisieren kann, auch wenn es später im Probenprozess vielleicht wieder verworfen wird.“
Kafka bewegt
Die Beziehung Franz Kafkas zu seinem Vater beschreiben die Schauspieler als distanziert. Dennoch gibt es einen Wunsch nach Nähe, wie David Fuchs hinzufügt.
Spannend sei aber auch die Beziehung Franz Kafkas zu Felice Bauer, die ebenfalls eine wichtige Rolle in der Inszenierung spielen wird und die, so Engelhardt, möglicherweise auch Anknüpfungspunkt für heutige Jugendliche sein könnte. „Kafka schrieb ihr alleine 500 Briefe plus Telegramme. Wenn sie sich gesehen haben, war es aber total seltsam, und sie hatten einander kaum etwas zu sagen. Ein bisschen wie in unserer Welt, wo Romantik auch häufig über Social Media stattfindet.“
Dass Kafka auch heute noch bewegt – und zwar buchstäblich –, zeigt auch die Popkultur. Die junge Wiener Punkrockformation Leftovers hat einen Song namens „Käfer“ geschrieben, der von Gregor Samsa handelt.„Außerdem kenne ich keinen anderen Autor, der ein eigenes Adjektiv hat“, sagt Gerald Maria Bauer lachend.
Der Interpretationsdruck, der bei Franz Kafka häufig entsteht, sei übrigens etwas, was auch im Stück thematisiert wird. Bauer blättert in der Fassung und liest aus einem Brief vor, der 1917 an Kafka geschrieben wurde: „Sie haben mich unglücklich gemacht, ich habe Ihre ‚Verwandlung‘ gekauft und meiner Cousine geschenkt, die weiß sich die Geschichte aber nicht zu erklären. Meine Cousine hat es ihrer Mutter gegeben, die weiß auch keine Erklärung. Die Mutter hat das Buch meiner anderen Cousine gegeben, und die hat auch keine Erklärung. Nun haben sie an mich geschrieben, ich soll ihnen die Geschichte erklären, weil ich der Doktor der Familie wäre.“
Inspiriert von M. C. Escher
Bei der Gestaltung des Bühnenbilds habe er sich gemeinsam mit dem Bühnenbildner Friedrich Eggert an M. C. Escher orientiert, erzählt der Theatermacher abschließend. „Er hat Räume entworfen, bei denen man zunächst denkt, dass sie total logisch sind, deren Logik aber gebrochen wird. Auch Kafkas Gedankenräume werden teilweise so sehr ins Hyperrealistische gesteigert, dass ihre Plausibilität auf die Prüfung gestellt wird.“
In wessen Gedankenwelt er als Nächstes eintauchen möchte, weiß er noch nicht genau, hält Bauer fest. „Ich kann aber nicht bestreiten, dass ich ein gewisses Faible für scheinbar sperrige Autoren habe“, sagt er und lacht.
Nun aber genug der Schachtelsätze, die Kafka ohnehin viel besser beherrscht als wir. Wer sich davon überzeugen möchte: Wir empfehlen „Das Panoptikum des Franz K.“!