Günther Groissböck: Der Film
„Von ihm geht ein ganz besonderes Licht aus“, beschreibt Anna Netrebko ihren Kollegen Günther Groissböck. Woher dieses kommt und wann es erstrahlt, dokumentiert Regisseurin Astrid Bscher in ihrer filmischen Hommage „Ich leb‘ allein in meinem Himmel“.
Aus eins werden zwei. „Ich habe Günther Groissböck als Gralsritter Gurnemanz in Bayreuth gesehen und war völlig fasziniert“, erinnert sich Astrid Bscher an ihre erste Begegnung mit dem österreichischen Bass. „Oft hat diese Figur etwas Oberlehrerhaftes, dann kann der erste Akt von ‚Parsifal‘ langweilig und sehr lang werden. Aber er gab Gurnemanz eine facettenreiche Lebendigkeit, die mich unglaublich beeindruckt hat.“ Sofort habe sie gewusst, dass sie Günther Groissböck als Protagonisten für ihren nächsten Film gewinnen wollte.
„Ich war anfänglich gar nicht so glücklich damit“, erklärt Günther Groissböck, „da ich außerhalb meiner Arbeit nicht sehr gerne im Mittelpunkt stehe.“ Was ihn schließlich doch überzeugt habe, sei die Idee gewesen, dem Publikum einen Einblick in die Opernwelt hinter den Kulissen bieten zu können. „Geplant war ein Porträt mit dem Titel ‚On the road to Walhall‘, bekanntlich ist es dann ein bisschen anders gekommen“, erzählt der international an den namhaftesten Häusern engagierte Sänger. Konkret sollte es um die Aneignung der Rolle des Wotan im „Ring des Nibelungen“ gehen – eine der anspruchsvollsten, schwierigsten und längsten Partien des gesamten Opernrepertoires. 2020 fiel diese Neuproduktion in Bayreuth dem Corona-Virus zum Opfer, was den Titel des Films, der schließlich im Bayrischen Rundfunk ausgestrahlt wurde, in „Wotan muss warten“ veränderte. 2021 sagte Günther Groissböck den Wotan aus hinlänglich diskutierten Gründen schließlich ganz ab.
Die gemeinsame künstlerische Reise war für Groissböck und Bscher damit aber noch nicht zu Ende, vielmehr nahm sie in einem neuen Projekt erst so richtig Fahrt auf. Beinahe zwei weitere Jahre begleitete die Filmemacherin den Opernsänger bei Reisen nach New York, Amsterdam oder Verona, filmte ihn bei Proben und Vorstellungen, aber auch bei Fahrradtouren durch den Central Park und Bergwanderungen über die schroffen Felsen des Gesäuses. Dieses Mal stand das Gefühl des Alleinseins, der künstlerisch notwendigen Einsamkeit, im Zentrum der Dreharbeiten.
„Ich leb‘ allein in meinem Himmel“
Der Titel des Films entstammt dem Gedicht „Ich bin der Welt abhandengekommen“ von Friedrich Rückert, das Gustav Mahler später vertont hat, und in dem es heißt: „Ich leb’ in mir und meinem Himmel, in meinem Lieben, in meinem Lied“. Dabei geht es um das lyrische Ich, das sich dem Treiben der Welt entzogen hat und gewissermaßen in sich ruht. Was hat das mit einem Sänger zu tun, der auf der ganzen Welt zuhause ist, dessen Tun nur im Verbund mit vielen anderen funktioniert und der noch dazu sehr menschenfreundlich zu sein scheint? Günther Groissböck lacht. „Natürlich stimmt es, dass man in diesem Beruf unglaublich viele Sozialkontakte hat, sowohl im unmittelbaren Zusammenwirken mit den Kollegen als auch in der Interaktion mit dem Publikum. Und auch durch das Reisen lernt man immer wieder neue Leute kennen. Der Trubel und die Anspannung brauchen aber auch ein Gegengewicht, das im Rückert-Gedicht sehr schön und romantisch beschrieben wird. Bei mir sind das die langen Autofahrten, bei denen ich Musik höre und Eindrücke verarbeite, der Sport, die Natur.“
Astrid Bscher glaubt zurecht, dass man im Film den Menschen Günther Groissböck sehr gut kennenlernen kann. „Ich finde, dass ein Charakter auf der Bühne dann interessant wird, wenn man auch seine schwachen Seiten, seine Zerbrechlichkeit spürt. Der Kontrast bei Günther ist ja ziemlich groß, weil er wie etwas beinahe Unerschütterliches dasteht und es einen überrascht, wenn jemand, der physisch so kräftig ist, auch so fragile Momente preisgibt.“
Für Günther Groissböck ist auch der Begriff Einsamkeit nicht negativ besetzt, vielmehr sei er in unserer Sprache mit Assoziationen aufgeladen, die seinem Sinn gar nicht mehr gerecht würden. „Es geht im Film um das Alleinsein im konstruktiven Sinn, um das Wiederaufladen, das Rechargen, wie es neudeutsch so schön heißt. Man zieht sich zurück, macht die Tür hinter sich zu und sammelt sich.“ Dank des Vertrauens zu Astrid Bscher und ihren Kameramann Ferdinand Steininger sei es ihm auch gelungen, die Kamera tatsächlich zu vergessen, was unerlässlich sei für die Vermittlung von Wahrhaftigkeit. Und tatsächlich – man erlebt den Künstler, erspürt den Idealisten, erahnt den Rebellen.
Sehnsucht nach Unvollkommenheit
Am entspanntesten wirkt Günther Groissböck in jenen Szenen, die ihn in New York zeigen. Er gibt an der MET sein Debüt als König Philipp II. in Verdis „Don Carlo“, man sieht ihn auf seinem Bike durch den Central Park radeln, auf dem Hotelbalkon die Skyline der Stadt überblicken und gemeinsam mit Ehefrau und Tochter die wenige Freizeit genießen. Im Pressetext zum Film heißt es, die Dokumentation zeige die verschiedenen Facetten des Opernstars sowie Schlüsselpunkte seines Lebens. Inkludiert das auch die Familie? „Das ist ein heikler Punkt, denn einerseits gehört die Familie natürlich dazu, andererseits will man sie aber auch schützen. Ich gehe nicht mit meiner Familie medial hausieren, aber es hat sich schön ergeben, weil meine Frau und meine Tochter während der Dreharbeiten in New York zu Besuch waren. Man sieht, wie es ist, wenn die Familie mitreist, aber nur kurz bleiben kann. Wie reduziert das Familienleben oft ist, und auch, welche Einsamkeit einen überkommt, wenn man seine Familie vermisst.“
Zentraler Bestandteil im Leben des Sängers ist auch seine Sportbegeisterung, die sich in einer Physis niederschlägt, die wiederum die Virilität seiner Rollen eindrucksvoll unterstreicht. In Kirill Serebrennikows „Parsifal“-Inszenierung durfte er in der Rolle des Gurnemanz sogar auf der Wiener Staatsopern-Bühne Liegestütze machen. „Sport ist nicht nur zur Stärkung wichtig, sondern auch zum Detoxen. Man muss die Stresshormone wieder rausputzen. Wenn ich drei Tage lang nichts gemacht habe, fühle ich mich nicht mehr gut.“
Hat sich bei Opernsängern das Körperbild nicht generell hin in Richtung Ideal verschoben? Wird nicht hauptsächlich nur noch nach Typus gecastet? „Das stimmt schon. Und wahrscheinlich klingt es einigermaßen blöd, wenn ich das sage, der ich doch äußerlich so gut in dieses Schema passe: Aber mir ist dieses Körperideal manchmal schon unheimlich; was das betrifft, ist vieles zu oberflächlich. Ich bin gerne fit, habe manchmal aber trotzdem Sehnsucht nach Unvollkommenheit auf der Bühne. Dass jemand singt und spielt, der keine Hollywoodzähne hat, dafür vielleicht ein paar Kilo mehr auf den Rippen. Wahrscheinlich ist das aber ein generelles Phänomen unserer Zeit, weshalb natürlich auch die Opernwelt nicht davor gefeit ist.“
Weg vom Glamourklischee
„Ich leb‘ allein in meinem Himmel“ kann man als Blu-Ray und DVD kaufen bzw. auf Prime Video streamen. Welche Erwartungen hat Günther Groissböck hinsichtlich des filmischen Erfolgs? „Oper hat etwas von Hochleistungssport, für den man sehr viel Disziplin braucht. Ich weiß aus meiner eigenen Erfahrung als Opernbesucher, dass man nicht immer Verständnis dafür zeigt, wie sich der Mensch auf der Bühne jetzt gerade fühlt. Es wäre auch schön, wenn man ein bisschen wegkommen könnte vom Glamourklischee der Oper. Eine ‚Meistersinger‘-Vorstellung ist für jemanden, der das Stück zum ersten Mal sieht, sicherlich pompös, für den Sänger ist sie Arbeit, bis zu einem gewissen Grad auch hochprofessionelle Routine, weil das Leben ja normal weiterläuft. Davon eine Nuance mitzubekommen, ist für die Zuschauer sicherlich ebenfalls interessant.“
Günther Groissböck war in der abgelaufenen Saison eine Art Luxus-Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper. Nun ist er wieder freiberuflich tätig. „Wahrscheinlich bin ich altmodisch, aber ich habe es gut gefunden, eine engere Beziehung zu einem Haus zu haben. Aber das moderne Operngeschäft ist wahnsinnig schnelllebig, und man muss überall seine Spuren hinterlassen. Wien ist mir allerdings als Heimat gewachsen, ich habe auch in der kommenden Spielzeit an der Staatsoper viel zu tun und fühle mich quer durch alle Abteilungen extrem wohl.“
Bei den Bayreuther Festspielen wird er heuer als König Marke in „Tristan und Isolde “ und als Landgraf Hermann in „Tannhäuser“ zu Gast sein. Und ab 18. Juli gibt er im Rahmen von operklosterneuburg den spanischen König Philipp II. in „Don Carlo“. Das sei, so Günther Groissböck, sein Sommerprogramm.
Astrid Bscher dreht indes bereits ihren nächsten Film, der sich wieder einer großen Künstlerpersönlichkeit widmet: dem gefeierten deutschen Tenor Klaus Florian Vogt und seinem Verhältnis zu Richard Wagner.
„Ich leb‘ allein in meinem Himmel“
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