Ninja Reichert: Ein Flügelschlag Macht
In „Strategie der Schmetterlinge“ spielt Ninja Reichert die Ehefrau des verstorbenen Carlos und trifft auf dessen Geliebte Adriana. Wie sich die Schauspielerin auf die Rolle der Eve und auf die Theatertage Weissenbach vorbereitet hat und was sie sich als freie Künstlerin wünschen würde, hat sie uns im Interview beantwortet.
Wie geht es dir und wo erwischen wir dich gerade?
Nach einem Tag mit Probe, Unterricht und Tonstudiotermin und einem EM-Halbfinale im Public Viewing ist die Sonne nun untergegangen und ich habe die Ruhe, mich des nächtens an den Fragenkatalog zu setzen.
In „Strategie der Schmetterlinge“ geht es um die Rivalität zweier Frauen, die um die Hinterlassenschaft eines Mannes kämpfen. Was kannst du uns noch über das Stück erzählen? Und: um was geht es wirklich?
Erstmals treffen Ehefrau und Geliebte eines Mannes aufeinander, der vor kurzem erstochen aufgefunden wurde. Die ganze Begegnung ist ein stetiges Ringen der beiden Frauen miteinander, ein gegenseitiges Umkreisen, um die Andere aus der Reserve zu locken. Es ist unklar, warum sie dieses Treffen wollten und welche Pläne sie jeweils verfolgen. Sie kommen aus sehr unterschiedlichen sozialen Schichten, haben unterschiedliche kulturelle und ethnische Hintergründe und sind unterschiedlichen Alters. Aber jede hat den Mann auf ihre Weise geliebt und konnte sich ein Leben ohne ihn nicht vorstellen.
In Wahrheit geht es um Fragen der wahren Liebe. Was tue ich, um die Liebe eines Menschen nicht zu verlieren? Was ertrage ich alles aus Liebe, was dagegen würde ich niemals tun? Würde ich für die Liebe sterben? Oder töten? Und ist das eigentlich wünschenswert? Oder ein Beweis für das Ausmaß der Liebe?
Wie würdest du deine Figur beschreiben?
Eve ist eine starke und machtbewusste Frau, die gelernt hat, sich zu nehmen und zu bekommen, was sie will. Ressentiments wegen ihrer Herkunft, Klischees über eingewanderte Familien haben ihren Widerstand und ihren Stolz eher erhöht und sie daran gewöhnt, sich nicht von der Meinung Anderer abhängig zu machen und nicht danach zu streben, gemocht zu werden.
Sie setzt sich durch, auch gegen die eigenen Eltern, und handelt gefühlsbestimmt, nicht von Standesüberlegungen oder ökonomischen Interessen geleitet.
Hinter all ihrer Reserviertheit und Beherrschtheit lauert eine große Leidenschaft, Bereitschaft zur Hingabe und eine große Sehnsucht. Das macht ihre Figur so interessant, dass sie selten zeigt, was sie wirklich fühlt, sie ist eine Meisterin der Verschleierung und der Manipulation. Durchaus kalt berechnend, aber nicht ohne Einfühlungsvermögen und Gespür für das Leid der Anderen.
Wie hast du dich auf die Rolle vorbereitet?
Ich habe einige Texte von Esther Vilar gelesen und Interviews mit ihr angeschaut, unter anderem das berühmte Duell mit Alice Schwarzer. Ich habe mich mit Argentinien beschäftigt und versucht, mir Anregungen zu holen über die Auseinandersetzung mit britischen Royals, habe deren Bewegungen, deren Sprechweise, deren Dünkelhaftigkeit studiert. Und dann natürlich immer wieder der Text, der sich in mir breitmacht, der Dinge auslöst. Töne und Haltungen anstößt. Im Falle der Eve ging es mir viel ums Verbergen, um die Maske.
Mit welchem Gefühl soll das Publikum nach der Vorstellung hinausgehen?
Mir wäre lieb, und das ist es eigentlich immer, wenn das Publikum dazu gebracht wird, Dinge zu überdenken, den eigenen Standpunkt, die eigene Haltung zu hinterfragen durch das, was es auf der Bühne miterlebt. Es ist ja eine Chance, die das Theater in außergewöhnlicher Unmittelbarkeit bietet, dass man und frau teilhaben kann am Innersten anderer Menschen, an ihren Gedanken, ihren Gefühlen, ihren Zielen, und das mit der Ruhe des Unbeteiligten zu betrachten. Im Fall der „Schmetterlinge“ fände ich wünschenswert, dass die Zusehenden darüber nachdenken, ob es den Preis wert ist, den die beiden Frauen bezahlen. Ob sie möglicherweise gefangen waren in ihrer Idee von Liebe und dadurch den Ausweg übersehen haben. Und daran anschließend vielleicht sogar das eigene Herangehen an manche Dinge in Frage stellt.
Wann habt ihr mit den Proben begonnen?
Die erste Leseprobe war bereits Anfang Februar. Wir wollten genug Zeit haben, damit sich die inneren Vorgänge setzen können, und wir uns darauf konzentrieren können, was wir auf der Bühne denken und wollen.
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Ihr bringt das Stück einmal auf die Bühne der Theatertage Weißenbach. Wie hat der Probenprozess ausgesehen?
Wir haben uns über viele Textproben an die Figuren herangearbeitet, haben geredet über die Figuren, ihre Motivationen und Handlungsziele, und haben versucht, eine Art und Weise zu finden, um die unterschiedlichen Temperamente, das englische und das argentinische, das überlegte und das impulsive, körperlich und stimmlich abzubilden.
Wie ist es, zu proben, während alle in Urlaubsstimmung sind?
Unsere Proben fanden großteils im Frühjahr statt, für das Festival wird es nur einen Textdurchlauf geben, um sich wieder in die Situation und die inneren Vorgänge hineinzufinden. Wenn einige Wochen oder Monate vergangen sind seit der letzten Vorstellung, braucht es eine gemeinsame Fokussierung, ein Wiederfinden, denn inzwischen kommen wir jeweils aus anderen Stücken und anderen Proben. Aber dass der Text plötzlich wieder da ist, wenn ich mit der entsprechenden Partnerin im entsprechenden Bühnenbild stehe, diese Erfahrung mache ich immer wieder. Die äußere Situation ist für mich eigentlich nicht sehr relevant. Ich freue mich aufs Spielen, ob in den Sommerferien oder in den Weihnachtsferien.
Hinter all ihrer Reserviertheit und Beherrschtheit lauert eine große Leidenschaft, Bereitschaft zur Hingabe und eine große Sehnsucht.
Ninja Reichert, Schauspielerin, über ihre Figur Eve
Wie reagiert das Publikum im Sommer? Anders als sonst?
Das Publikum reagiert immer wieder anders, bei jeder einzelnen Vorstellung. Da spielt aber eher die Zusammensetzung der Zuseher*innen eine Rolle, ob viele Gruppen da sind, viele Paare, und deren Stimmung und Bereitschaft, wenn sie den Raum betreten. Auch das Wetter beeinflusst Reaktionen und vielleicht die generelle Situation in der Stadt oder dem Ort. Ich habe schon völlig unterschiedliche Reaktionen erlebt, wenn eine Inszenierung in Graz Premiere hatte und dann Gastspiele in Wien hatte. Der Hintergrund, den die Menschen mitbringen, ist verschieden, und das ist zu spüren. Das Publikum ist eben der dritte Mitspieler und für einen Theaterabend wesentlich.
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Du bist auch an der Kunstuni Graz tätig, unterrichtest Monologe und Rollenarbeit – was kannst du uns von deiner Tätigkeit dort erzählen?
Das Unterrichten von jungen Menschen, die den Weg ans Theater suchen, begleitet mich nun schon seit einigen Jahren. Ich schätze diese Arbeit sehr, denn durch die Energie und hohe Motivation der Studierenden werden meine Routinen und Sichtweisen immer wieder hinterfragt und mir neue Perspektiven eröffnet. Andererseits denke ich, dass ich ihnen aus meiner Erfahrung heraus auch viel Handwerk und Technik mitgeben kann, um sie im gar nicht einfachen Schauspieler*innenleben zu schützen und zu stärken. Es ist schön zu sehen, wenn der Samen aufgeht, den ich gesät habe, und die Studierenden sich in der erarbeiteten Rolle die Freiheit nehmen, ihren eigenen Schwingen vertrauen und abheben.
Gibt es sonst etwas, was du uns sagen möchtest?
Nach all den Jahren, die ich in dem Beruf tätig bin – als Schauspielerin, Vortragende, Lesende, Unterrichtende und Regisseurin – genieße ich nach wie vor jeden Moment auf der Bühne, in Proben wie in Vorstellungen, und empfinde es als große Gnade, dass ich davon leben kann. Zwar ist es, gerade als freie Künstlerin, nie einfach, und ein bedingungsloses Grundeinkommen und eine durchgehende Krankenversicherung wären eine riesige Erleichterung, die uns von der erdrückenden Masse an Bürokratie und Anträgen befreien und die Konzentration auf die künstlerischen Prozesse gewährleisten würde, und angesichts der fundamentalen Bedeutung von Kunst in einer Gesellschaft auch absolut notwendig und gerechtfertigt, aber selbst in der augenblicklichen, oft schwierigen Lage bietet das Theater Reibungsflächen zur Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit und spiegelt und reflektiert menschliches Verhalten. Dafür liebe ich es und bin voller Demut.