„Wenn der Sachs nicht gut ist, dann ist das Stück nicht zu retten“
Wie übersteht man eine der längsten und schwierigsten Rollen der Operngeschichte – den Hans Sachs in den „Meistersingern“? Michael Volle und Georg Zeppenfeld über gesungenen Marathon und die Neuinszenierung von Keith Warner an der Staatsoper.
Zum Start lassen wir den Direktor ran. Also, Herr Roščić, warum macht die Staatsoper die „Meistersinger“ neu? „Wir wollen das zentrale Wagner-Repertoire neu erarbeiten, szenisch wie musikalisch. Man darf das nur machen, wenn alle Positionen erstklassig sind. Wir haben in dieser Neuproduktion drei Sänger, die in der Rolle des Hans Sachs international gefeiert wurden: Michael Volle als unseren Sachs, Georg Zeppenfeld als Pogner und Wolfgang Koch als Beckmesser. Allein wegen der musikalischen Konstellation muss man das machen. Und mit Keith Warner gibt auch noch ein Regiemeister sein sehr spätes Hausdebüt. Die ‚Meistersinger‘ haben politisch problematische Aspekte, das ist zu verarbeiten. Gleichzeitig müssen sie großes Theater sein, man muss diese ungeheuren Massenszenen spektakulär machen. Und dann muss auch die unwiderstehliche Komik herauskommen. Warner bringt das alles mit.“
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Alles klar – danke. Vier Wochen vor der Premiere am 4. Dezember – die Produktion ist gerade von der Probebühne im Arsenal ins Haus am Ring übersiedelt, treffen wir Michael Volle und Georg Zeppenfeld – im kaiserlichen Teesalon. Nicht weil man uns hofieren will, sondern weil schlicht nirgends anders Platz war.
Wie laufen die Proben?
Georg Zeppenfeld: Sehr vielversprechend. Keith Warner hat sich viele, sehr tiefgehende Gedanken gemacht, und gleichzeitig muss man sagen, dass er seine Produktion damit nicht überlädt. Er hat die Dinge im Hinterkopf und muss nicht alles, was er weiß, zeigen – das finde ich sehr angenehm.
Michael Volle: … und er weiß wahnsinnig viel und ist ein netter Mensch, erzählt viel, kennt sich aus. Er ist ja seit vierzig Jahren im Betrieb, und da kommen viele Geschichten, die einen abholen. Ich mag seine Art.
Wie würden Sie die Essenz des Stückes jemandem beschreiben, der es noch nie gesehen hat?
Michael Volle: Ein sehr menschliches Stück über Beziehungen, Träume, Erwartungen, Verluste. Es ist sehr nah am Leben und dabei zeitlos.
Georg Zeppenfeld: … und es ist sehr vielschichtig. Es gibt die private, die gesellschaftliche, die ästhetische Schicht, und die Interferenzen zwischen diesen unterschiedlichen Schichten sind spannend. Ich habe das Stück oft gemacht, aber man findet immer wieder neue Bezüge. Es wird nie langweilig.
Michael Volle: Es kann aber langweilig werden. Die erste Hälfte ist sehr trocken, und da zeigt sich dann die Qualität eines Regisseurs. Für mich ist der Sachs die größte Rolle, weil sie so vielschichtig ist - auch quantitativ, und diese vielen Facetten machen die Reise bis zum Schluss spannend.
Wie witzig sind „Die Meistersinger“?
Georg Zeppenfeld: Ich finde sie sehr humorvoll. Es wäre richtig schwierig, dem Stück den Witz auszutreiben, da muss man es schon bierernst oder pathetisch angehen. Es hat so viel Komik, da enttäuscht es, wenn man auf einen Regisseur trifft, der der Komik dieses Stücks nicht traut und was draufsetzen will. Dem sind wir hier – Gott sei Dank – entgangen. (Lacht.)
Michael Volle: … oder der den Humor aktualisiert oder ihn in einen hochphilosophischen und gesellschaftspolitischen Zusammenhang stellt, wie man es manchmal in der Operette probiert. Ich habe das einmal in der „Fledermaus“ erlebt; wenn man dort im dritten Akt nicht lacht, dann hat man das Ziel verfehlt. Nicht falsch verstehen: künstlerische Freiheit – immer. Aber das ist das Geniale an Wagner. Er bietet so viel an.
Sie beide können das Stück vermutlich, wenn man Sie mitten in der Nacht aufweckt, singen. Wie ist das, wenn man immer wieder auf neue Regisseure und ihre Ideen trifft?
Georg Zeppenfeld: Manchmal geht man schon mit der Erwartung hin: Was hat er denn alles gefunden?
Michael Volle: Aber das darf man auch. Ich finde das spannend. Bei mir geht es über den Bauch. Ich bin jetzt dreißig Jahre dabei, und bei Keith Warner hat das total gepasst.
Herr Volle, Sie haben 2007 gesagt, dass Sie für den Sachs noch nicht bereit sind …
Michael Volle: Ein Anfänger kann keinen Sachs singen. Man braucht Erfahrung, auch stimmökonomischer Art. Jetzt, nach vierzig, fünfzig Vorstellungen, muss ich nicht mehr nachdenken. Die Einteilung der Kraft hat sich eingespielt, der Körper und die Muskeln wissen, was sie tun sollen, und trotzdem geht man nicht gedankenlos durch so einen Abend. Der dritte Akt ist der Stolperstein, aber es beginnt schon im zweiten Akt, da schaukelt sich der Sachs hoch. Wenn man sich da verbrüllt und nicht auf die Stimme achtet, wird es schwer. Weil dann die eigentliche Kür kommt: die Schusterstube, wo man nur wenig Zeit zum Ausruhen hat, zehn Minuten runter von der Bühne, dann Festwiese, und dann kommen zwei Ansprachen. Der erste Akt ist nicht so heftig, der ist zum Aufwärmen. Aber man sollte den großen Bogen im Blick halten. Wenn man sich am Anfang viel verpowert, dann fehlt einem die Kraft hinten.
Georg Zeppenfeld: Wenn man so eine Partie singt, dann ist das wie eine Seereise: Du gehst auf ein Schiff, fährst los und weißt nicht, ob und wie du ankommst. Aber du weißt immer: Du kannst segeln. Es hat mich sehr gewundert, dass mir der Sachs angeboten wurde, als Bass.
Michael Volle: … echt?
Georg Zeppenfeld: Thielemann hat mich überredet, das kann er ja sehr gut, und man kann sich darauf verlassen, dass er dann dafür sorgt, dass man keinen Schiffbruch erleidet. Aber bei dieser Rolle weiß man erst nach dem ersten Orchesterdurchlauf – also ein paar Tage vor der Premiere –, ob man sie schafft. Und mit Schaffen ist es ja nicht getan. Es ist eine Risikopartie: Wenn der Sachs bei den Meistersingern nicht gut ist und über den Dingen steht, dann ist der Abend nicht zu retten. Es hängt alles am Sachs.
… und der Unterschied zu anderen Opern, wo auch andere den Karren aus dem Dreck ziehen können, wenn eine Rolle nicht so liefert. Was ist das eigentlich für ein Typ, der Hans Sachs?
Georg Zeppenfeld: Der Sachs ist ein Mann in der Midlife-Crisis. Er sieht sich von vielen Seiten angegriffen und steckt in dem Dilemma, dass er zwar die populärsten Meistergesänge geschaffen hat, aber als Schuster wenig gesellschaftlichen Einfluss hat. Der Pogner zieht die Strippen. Zudem muss Sachs erkennen, dass er bei Eva gegenüber diesem jugendlichen Tenor den Kürzeren ziehen würde. Mit solchen Anfechtungen hat Sachs sich auseinanderzusetzen. Ich kann mich nicht anfreunden mit Darstellungen, bei denen der Sachs ab dem ersten Akte einfach nur souverän daherkommt.
Wenn man sich im zweiten Akt verbrüllt, dann fehlt einem die Kraft hinten.
Michael Volle / Hans Sachs
Michael Volle: Das ist sehr langweilig, eindimensional, monochrom. Das ist zwar ein Zugang, der den Sachs zum Publikumsliebling macht, aber das gibt die Figur nicht her. Da fehlt mir was. Am Ende hat er alles verloren. Wenn man dann den letzten Satz gesungen hat, das ist einer der schönsten und befriedigendsten Momente überhaupt.
Ist man eigentlich neidisch, wenn jeweils der andere den Sachs singen darf?
Georg Zeppenfeld: Ich glaube, die Frage geht an mich... (lacht). Ach was. Ich habe die zweitschönste Aufgabe: Ich darf den Pogner singen. Ich liebe diese Partie. Viele Sänger mögen sie nicht, weil sie schwierig zu singen ist und am Ende des Stücks an Bedeutung verliert. Der Pogner löst ja die ganze Katastrophe aus, und das kann man wunderbar spielen. Eine ergiebige Rolle.
Warum gibt es eigentlich nur Tenorwitze und keine über Bässe und Bassbaritone?
Georg Zeppenfeld: (Lacht.) Ja, wer sollte die denn erzählen. Die Tenöre? (Lacht.)Wir sind einfach viel zu normal.