Keine Angst vor Hoffnung: Calle Fuhr über „Finale“
„Ich finde es wichtig, die Gefahr, aber auch die Möglichkeiten zu sehen“, sagt Calle Fuhr über seine beiden Bühnenessays. Der zweite Teil von „Finale“ wird am 19. Oktober zum ersten Mal in der Roten Bar gezeigt.
Mit dem Vorhaben, „Geschichten der Veränderung zu erzählen“, startete Calle Fuhr, Theatermacher und Künstlerischer Leiter des Volkstheaters in den Bezirken, in die Arbeit an seinem Bühnenessay „Finale“. „Ich versuche, den großen Problemen unserer Zukunft so zu begegnen, dass man danach nicht verzweifelt im Sessel sitzt“, erzählte er der BÜHNE im Sommer 2021. Fuhr war zu diesem Zeitpunkt Dramatiker in Residence beim alljährlich stattfindenden Hin & Weg Festival in Litschau, wo auch die Uraufführung von „Finale“ stattfand. Am 8. November ist der Monolog zum letzten Mal in Roten Bar des Volkstheaters zu sehen. Mit „Finale #2“ hat Calle Fuhr jedoch bereits einen zweiten Teil geschrieben. Premiere ist am 19. 10. – ebenfalls in der Roten Bar.
Calle Fuhr sucht den Dialog mit der Stadt
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Geschichten von Superheld*innen
Obwohl das der Titel der beiden Monologabende im ersten Moment vielleicht vermuten lässt, geht es dem Theatermacher keinesfalls darum, ein endzeitliches Szenario zu zeichnen – einen Endpunkt zu setzen oder einen Schlussstrich zu ziehen. Der Ausgang des Projekts Menschheit ist offen – und davon abhängig, ob man den Kopf in den Sand steckt oder sich doch für die Suche nach Lösungen entscheidet. Ein Doppelpunkt wäre also vielleicht das passendere Satzzeichen. Oder drei Pünktchen, wobei diese eine Unentschiedenheit suggerieren, die man dem Regisseur und Autor keinesfalls unterstellen kann. Wie schon im ersten Teil plädiert Calle Fuhr auch in „Finale #2“ eindeutig für die gemeinsame Suche. „Ich finde es wichtig, die Gefahr, aber auch die Möglichkeiten zu sehen“, bringt er seinen Ansatz auf den Punkt.
Möchte ich schwarzmalen und erzählen, wie furchtbar alles ist, oder möchte ich einen Schritt weitergehen?
Calle Fuhr
Inspiriert hat ihn unter anderem die Journalistin Ronja von Wurmb-Seibel, die unter anderem aus Afghanistan berichtete. „Sie hat für ihre Arbeit eine Formel gefunden, die gut zu dem Abend passt: Scheiße plus x. Das bedeutet, dass man die Dinglichkeit und Komplexität eines Problems zwar erkennt und benennt, dann aber auch nach Menschen sucht, die bereits etwas zur Lösung dieses Problems unternehmen. Auch ich vergesse das manchmal, wenn ich mich mit aktuellen Themen beschäftige“, so Calle Fuhr. Er fügt hinzu: „Die Recherchearbeit hatte für mich auch etwas Heilsames, weil ich plötzlich von so vielen Menschen umgeben war, die sich mit konkreten Lösungen dem Kampf für Klimaschutz und Klimagerechtigkeit widmen. Dadurch hat mein Job plötzlich auch eine andere Relevanz bekommen. Mein Wunsch wäre, dass die Menschen motiviert aus den Vorstellungen gehen – von dem Gefühl begleitet, dass Klimagerechtigkeit möglich ist.“
Dafür bräuchte man auch nicht das Rad neu erfinden, schließt er seine Ausführungen ab – sondern einfach nur die Geschichten von Menschen erzählen, die gegen alle Widerstände versuchen, die Welt gerechter und besser zu machen. Für Calle Fuhr sind ihre Erzählungen die Geschichten von Superheld*innen.
Einen Schritt weitergehen
Nach „Finale #1“ dachte er zunächst, dass der Abend, der sich vor allem der Frage widmet, wie „wir als Gesellschaft wieder enger zusammenrücken können“, eine einmalige Sache sei. Nach der Premiere in Litschau sprach ihn jedoch ein Zuschauer an, der meinte, „dass er das zwar alles total verstünde, sich aber nun die Frage stelle, was konkret zu tun sei“, erinnert sich der Regisseur, Autor und Theatermacher. „Im ersten Moment fand ich das irritierend“, erzählt er lachend. Schließlich musste er sich jedoch eingestehen, dass die Frage durchaus ihre Berechtigung hat. „Aus verschiedenen Gründen drückt man sich in der Kunst gerne vor konkreten Lösungsvorschlägen“, erklärt er. „Die Gefahr, dass man in eine Predigt rutscht, ist einfach sehr groß. Andererseits habe ich mich aber auch gefragt, wie ich die Privilegien, die ich als Künstler habe, nützen will. Möchte ich schwarzmalen und erzählen, wie furchtbar alles ist, oder möchte ich einen Schritt weitergehen?“
Nachdem er diesen Punkt mit sich selbst ausdiskutiert hatte, war die Antwort für ihn schnell klar. Ebenso die Frage nach der Form. „Es ist wirklich das simpelste Setting, das man sich ausdenken kann“, erklärt er lachend. „Nur ich, ein Mikrofon und ein Glas Wasser.“ Er findet es nach wie vor bemerkenswert, dass es funktioniert, wenn sich jemand mit einem Anliegen und Geschichten, die sowohl berührend als auch unterhaltsam und konkret erzählt werden, auf die Bühne stellt.
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Zwischentöne
Um Gemeinschaft soll es weiterhin auch in den Bezirken gehen, um deren Programmierung und Ausrichtung sich Calle Fuhr seit 2020 kümmert. Als nächstes steht eine Theaterfassung von Wolfgang Herrndorfs „Bilder deiner großen Liebe“ auf dem Programm. Die einzelnen Spielstätten betrachtet der Leiter des Volkstheaters in den Bezirken als Häuser der Begegnung und Orte des gemeinsamen Erlebens. Diesen Leitgedanken möchte er auch in der aktuellen Spielzeit weiterverfolgen. „Wir möchten Gemeinschaft über das Erzählen von Geschichten fördern“, bringt er seine Herangehensweise auf den Punkt.
Gerade ist noch „Wien’s Anatomy“ von Karen Breece in den Bezirken zu sehen. Ihre Stückentwicklung dreht sich um die chronische Krankheit ME/CFS, den Umgang damit in der Gesellschaft und Lücken im Gesundheitssystem. „Kein einfaches Thema“, wirft Calle Fuhr ein. Gleichzeitig aber auch eines, das dringend mehr Aufmerksamkeit braucht. „Es kamen schon einige Leute auf uns zu, die wahnsinnig dankbar dafür waren, dass wir das Thema aufgreifen.“
Rasch ist klar: Vor schwierigen Themen davonzulaufen, ist Calle Fuhrs Sache nicht. Die Konfrontation damit muss aber auch nicht immer eine laute sein – dafür eine, die mit zahlreichen Zwischentönen – und einer großen Portion Wärme – ausgestattet ist.