Man ist einiges gewohnt. Und wird dann doch immer wieder überrascht. Zum Glück birgt jede Begegnung auch die Chance, schlummernde Vorurteile zu überprüfen – die es, den Schauspielerberuf betreffend, zuhauf gibt. Würde man das Stereotyp des überdimensioniert eitlen, auch jeden nichtigen Anlass zum polternden Auftritt nutzenden Mimen, bei dem Selbsteinschätzung und Talent nicht zwingend miteinander korrelieren, umdrehen, käme eine Charakterstudie von Günter Franzmeier heraus.

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Der seit 2022 an der Josefstadt beheimatete Bühnenkünstler ist glaubwürdig geradlinig – auch dann, wenn eine Antwort die heutzutage mehrheitlich angestrebte „coole“ Außenwahrnehmung empfindlich untergräbt. Macht es ihm Spaß, fotografiert zu werden?, fragt man zur Auflockerung. „Nein, aber ich absolviere solche Termine so gut und schnell wie möglich, damit ich es hinter mich bringe“, erfolgt die schlüssige Auskunft. „Die Genugtuung des Schauspielers ist die Vorstellung“, erklärt er sein Arbeitsethos, „auf der Bühne zu stehen und mit dem Publikum und dessen Energie zu interagieren.“

Ab Jänner tut er dies in Peter Turrinis neuem Stück „Es muss geschieden sein“, das im Sommer 2023 in Kooperation mit dem Theater in der Josefstadt bei den Raimundspielen Gutenstein erfolgreich uraufgeführt wurde und das nun „nach Hause“ kommt. Der Autor schildert darin die sich überschlagenden Ereignisse im Revolutionsjahr 1848, in das er Proben zu „Der Bauer als Millionär“ verlegt – ein Kunstgriff, durch den er Ferdinand Raimund legitimiert, ohne ihn tatsächlich aufführen zu müssen.

Günter Franzmeier
Vielbeschäftigt. Günter Franzmeier spielte bisher in etwa 180 Theaterproduktionen und steht immer wieder auch vor der Kamera. Als Star sieht er sich wenig überraschend dennoch nicht.

Foto: Hilde van Mas

Ein Windwachel

Günter Franzmeier spielt den Erzähler, Theaterhausmeister und Füsilierer Adam Holzapfel. Für alle der martialischen Sprache nicht Mächtigen: Unter Füsilierer versteht man einen Menschen, der zum Tode Verurteilte gegen ein Entgelt hinrichtet.

„In meinen Augen ist er ein Windwachel. Jemand, der sich anbiedert, die jeweilige Situation ausnützt und dessen Charakterschwäche darin besteht, keine Charakterstärke zu haben. Er verrichtet seine Arbeit, also das Erschießen von Leuten, ohne Gefühl, aber auch ohne Unrechtsbewusstsein. Er macht es, weil er dafür bezahlt wird.“

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Als Erzähler hat Adam Holzapfel durchaus witzige Momente, er wirkt im historischen Kontext nicht einmal unsympathisch. „Die Kunst ist das Bollwerk gegen die Zumutungen der Zeit.“ Diesen Satz lässt Peter Turrini im Stück den Spielleiter Ferdinand Tassié sagen. „Es ist vielleicht ein Klischee, aber eines, das hoffentlich mehr als ein Quäntchen Wahrheit enthält“, kann sich Günter Franzmeier durchaus mit der Aussage identifizieren. „Der Stachel der Kunst sollte immer in der gesellschaftlichen Aktualität stecken. Ich habe vor kurzem eine Banksy-Dokumentation gesehen. Er hat zwei Jahre nach dem Attentat im Pariser Bataclan in einer Nacht-und-Nebel-Aktion auf jene Hintertür des Clubs, aus der viele Menschen fliehen konnten, das Bild einer in sich gekehrten, auf den Boden blickenden Frau gesprayt. Und dieses Bild hatte eine enorme psychologische Wirkung auf die Menschen in Paris, es hat regelrecht Aufarbeitungsarbeit geleistet. Gute Kunst kann aufmerksam machen, zum Nachdenken anregen und so vielleicht auch etwas verändern.“

Günter Franzmeier
Gut eingelebt. Mit „Ein Volksfeind“ gab Günter Franzmeier 2022 sein Josefstadt-Debüt, Bild oben mit Jakob Elsenwenger

Foto: Philine Hofmann

Liegt darin auch der Grund, weshalb die Josefstadt gerade jetzt Hochwälders Stück „Der Himbeerpflücker“, das sich satirisch-bitter mit Österreichs unverzüglich nach dem Krieg in die Opferrolle verdrängter Nazi-Vergangenheit beschäftigt, auf den Spielplan gesetzt hat? „Es ist natürlich hochaktueller denn je, was man bei der Programmierung noch gar nicht ahnen konnte. Unter den Tisch kehren, abwarten, aussitzen. Das waren schon in den 1960er-Jahren typisch österreichische Mechanismen, und sie sind es noch heute.“ Er spielt darin Konrad Steisshäuptl, Bürgermeister, Gastwirt und früherer Ortsgruppenleiter im fiktiven Bad Brauning, der seinen Reichtum der Veruntreuung von Zahngold aus dem nahegelegenen KZ verdankt. Regie führt hierbei, wie auch bei „Es muss geschieden sein“, die von Günter Franzmeier sehr geschätzte Stephanie Mohr.

Karrieremotor Existenzangst

Der gebürtige Welser spielte bereits in mehr als 180 Theaterproduktionen. Workaholic sei er dennoch keiner. „Im Gegenteil, ich brauche immer wieder Pausen für mein Hirn. Ich habe auch aus Existenzangst so viel gearbeitet, denn ich hatte in 35 Jahren noch nie einen mehrjährigen Vertrag. Das Damoklesschwert des Nichtverlängertwerdens hing immer über mir.“ Erstaunlich, bekam er sein erstes Engagement am Volkstheater doch noch während seiner Ausbildung und spielte ebendort die ganz großen Rollen.

Günter Franzmeier
In „Der Himbeerpflücker“ spielt er in den Kammerspielen aktuell Konrad Steisshäuptl und Claudius von Stolzmann.

Foto: Moritz Schell

Viele Jahre lang war er auch regelmäßig im Wien-„Tatort“ als Gerichtsmediziner Professor Kreindl zu sehen. „Beim Drehen bin ich sehr nervös, weil es keine Proben gibt und ich, nachdem mir der Regisseur eine Szene erklärt hat, damit beschäftigt bin, mir alles zu merken. Beim Theater ist das anders, da habe ich die Dinge unter Kontrolle.“ Warum macht er Film und TV trotzdem? „Weil es lukrativ ist. Und weil ich für das, was ich am Theater möchte, auch ein bisschen Bekanntheitsgrad brauche. Den schaffe ich aber nicht durch Privates, denn ich existiere nicht. Ich war zum Beispiel noch nie bei einer Nestroy-Verleihung.“ Selbst 2016 nicht, als er für den Publikumspreis nominiert war. „Ich fühle mich nicht wohl in Menschenmengen und bin auch nicht gut im Smalltalk.“

Sobald er in Pension gehen könne, also 2031, wolle er dies tun – um dann befreit weiterzuarbeiten. „Nur das, was ich wirklich will, mit Regisseuren, die auch mich wollen. Vielleicht kommt aber auch alles ganz anders und es eröffnet, wenn ich siebzig bin, irgendwo ein spannendes Theater, wo ich unbedingt dabeisein will.“ In den nächsten Jahren möchte er jedenfalls auf gewohntem Niveau fortfahren. An der Josefstadt.