Funkelndes Theater
Regie-Legende Robert Wilson zeigt „Moby Dick“ am Düsseldorfer Schauspielhaus. Van Cleef & Arpels unterstützt mit der Initiative Dance Reflections. Deren Leiter Serge Laurent erklärt, warum. Und Kapitän Ahab hat die letzte Geste.
Bildmächtige Performance. Kühle Stilistik, poetische Tableaus, präzises Licht, artifizielle Bewegungen, textliche Repetitionen, peitschende Sounds, elegante Kostüme: Robert Wilson hat eine charakteristische Handschrift. Das können nicht alle Künstler von sich behaupten.
Zum vierten Mal inszeniert der amerikanische Großmeister des Welttheaters am Düsseldorfer Schauspielhaus. Und wie schon bei seinem enormen Erfolg „Der Sandmann“ komponierte auch dieses Mal die britische Popmusikerin Anna Calvi die wuchtigen Klänge und handlungstreibenden Songs zum Stück. Einen Tag nach der ersten Preview empfängt der 83-Jährige zum Interview. Warum gerade Herman Melville, und warum gerade jetzt? „Ich habe vor einigen Jahren Nicolas Bos (CEO von Van Cleef & Arpels; Anm.) kennengelernt, und wir haben uns auf Anhieb verstanden. Wir teilen viele Interessen, darunter auch jenes für zeitgenössische Kunst.“
Wilson konzipierte 2016 die Wanderausstellung „L’Arche de Noé Racontée par Van Cleef & Arpels“, bei der die gleichnamige Haute-Joaillerie-Kollektion – Tiere aus Gold, Schmuck- und Edelsteinen – bewundert werden konnte. „Als ich Nicolas Bos vor einiger Zeit fragte, was ich als Nächstes machen sollte, meinte er ‚Moby Dick‘. Diese Geschichte ist ein einfacher Mythos, wie er seit Jahrhunderten in unterschiedlichen Kulturen erzählt wird, weshalb er fest in unserem kollektiven Bewusstsein verankert ist.“
Er respektiere Melvilles Vorlage, müsse aber seine eigene Erzählweise finden. So führt bei Wilson „The Boy“, gespielt von Christopher Nell, durch die Geschichte. Und Kapitän Ahab wird verkörpert von einer Frau. Hat das eine besondere Bedeutung? Robert Wilson spielt Entrüstung. „Nein, ich liebe Rosa Enskat einfach. Ich mag ihre Stimme, ich höre sie gerne singen und sprechen, ich schaue ihr gerne zu.“
„Moby Dick“ entstand, wie immer bei Robert Wilson, in Etappen. Er zieht mehrere Blätter mit detaillierten Skizzen aus der Tasche. „Ich beginne immer mit Zeichnungen, meinen Zeit-Raum-Konstruktionen.“ Seine beste Lehrerin im Fach Architekturgeschichte sei Sibyl Moholy-Nagy gewesen. „Sie sagte einmal zu uns: ‚Ihr habt drei Minuten Zeit, um eine Stadt zu entwerfen … fertig, los!‘ Man musste also schnell denken. Dadurch kann ich heute das ganze Stück in einer Minute visualisieren.“
Theater habe eine einzigartige Funktion in unserer Gesellschaft: „Sie können im Theater neben jemandem sitzen, der völlig unterschiedliche politische, soziale, wirtschaftliche oder religiöse Ansichten hat als Sie. Trotzdem teilt man etwas miteinander. Politik und Religion trennen die Menschen. Kunst hat hingegen die Kraft, uns zu verbinden.“
Szenenwechsel
Dass „Moby Dick“ in dieser Form überhaupt realisiert werden konnte, ist auch Dance Reflections by Van Cleef & Arpels zu verdanken.
Deren Leiter Serge Laurent ist ebenfalls zur Premiere nach Düsseldorf gereist und erläutert im Gespräch Sinn und Zweck der 2020 gegründeten weltweit aktiven Initiative. „Tanz hatte für Van Cleef & Arpels schon immer eine wichtige Bedeutung. Man denke nur an die ikonischen Ballerinen in vielen Schmuckstücken. Oder an George Balanchines 1967 uraufgeführtes Ballett ‚Jewels‘, das inspiriert war von den Kreationen der Maison. Diese Geschichte schreiben wir mit Dance Reflections nun fort. Wir orientieren uns an den Werten der Kreativität, der Vermittlung und der Ausbildung. Unsere Mission ist es, Künstler und Institutionen bei der Weitergabe des choreografischen Erbes zu unterstützen und neue Produktionen zu fördern. Seit seiner Gründung hat Dance Reflections zahlreiche Kompanien bei ihren Neuproduktionen begleitet. Und wir geben Institutionen die Chance, ihre Arbeiten international zu präsentieren.“
Zudem findet seit 2022 auch jährlich ein eigenes Festival statt – bisher in London, Hongkong und New York. Etwa 50 Partner in 16 Ländern kann Serge Laurent aktuell verbuchen. Mit jedem Projekt werden es mehr. „Wann immer ich eine Art von Einzigartigkeit in einer Arbeit erkennen kann, möchte ich diese unterstützen“, erklärt er. „Selbst dann, wenn die Leute es nicht mögen. Denn wenn man Entwicklungen vorantreiben will, muss man Risiken in Kauf nehmen. Als Vaslav Nijinskys ‚The Rite of Spring‘ 1913 in Paris herauskam, war es ein Skandal. Und als Pina Bausch zum ersten Mal in Paris gastierte, haben viele Besucher das Theater verlassen. Aber beide waren sich ihrer Mission sicher.“
Tanz ist Bewegung
Warum aber nun „Moby Dick“, das gar kein Ballett ist? „Genau deshalb. Bob Wilson hat eine eigene Grammatik entwickelt. Er setzt stark auf Körperarbeit. Die Art, wie sich seine Schauspieler bewegen, hat etwas Choreografisches. Tanz ist doch die Kunst der Bewegung. Leider vergessen wir das oft. Die Postmoderne hat uns gelehrt, dass auch eine simple Geste Tanz sein kann, und uns dadurch faszinierende Möglichkeiten eröffnet. Sogar das Verharren in völliger Stille ist Teil des tänzerischen Vokabulars. In diesem Sinne ist Bob Wilson ein Choreograf.“ Wäre nicht auch das Wiener ImPulsTanz-Festival etwas für Dance Reflections? „Wir werden sehen …“
Robert Wilsons anfangs beschriebene schöpferische Signatur begeistert in „Moby Dick“ bis zum letzten Bild. Da nähert sich Kapitän Ahab beinahe zaghaft seiner geretteten Mannschaft. Der Wahn, den weißen Wal zu töten, treibt ihn nicht länger um. Vielmehr steht ihm der Sinn nach Gemeinschaft und Versöhnung.