Alfred Mayerhofer: Der Kleiderkönig
600 Kostüme für eine Oper? Alfred Mayerhofer macht’s möglich. An der Josefstadt hat er bisher 16 Stücke mit textilem Leben erfüllt. Und für David Schalko zieht er jede(n) an. Eine große Karriere, die durch Zufall begann.
Samt, Brokat, Seide? Nicht unbedingt. Eleganz, Raffinesse, Extravaganz? Keinesfalls zwingend. Was also macht ein perfektes Bühnenkostüm aus? „Dass man es nicht bemerkt“, erklärt Alfred Mayerhofer. „Es sollte stimmig und selbstverständlich sein, so, dass man es sich gar nicht anders vorstellen könnte. Ein gutes Kostüm zeigt sich möglicherweise erst im zweiten Augenblick. Ein schlechtes sofort.“
Er muss es wissen. Seit Mitte der 1990er-Jahre hat er unzählige Kostümbilder entworfen und damit zum Erfolg zahlreicher Produktionen beigetragen. Theater, Oper, Ballett und Film sind seine Metiers, Berührungsängste oder Genrevorlieben hat er keine. „Dass Oper und Theater überwiegen, hängt lediglich damit zusammen, dass der Vorlauf hierbei zwei Jahre beträgt und ich entsprechend früh angefragt werde. Bei Filmen geschieht das wesentlich spontaner, weshalb ich dann oft schon anderweitig gebucht bin.“
Außer wenn David Schalko Dreharbeiten ankündigt. Dann wird Alfred Mayerhofers Zeitplan präzise nach Pausen durchforstet, denn die beiden verbindet eine lange fruchtbringende Kooperation. „Für ihn habe ich alles gemacht – von ‚Braunschlag‘ bis ‚Kafka‘ oder zuletzt ‚Warum ich?‘. David und ich haben einen ähnlichen Geschmack, was die Umsetzung wesentlich erleichtert.“
Selbiges gelte auch für Barrie Kosky. „Wir haben uns bei seiner ‚Poppea‘-Inszenierung am Wiener Schauspielhaus kennengelernt und sofort gemocht. In der Folge haben wir sieben Jahre lang jede seiner Produktionen gemeinsam realisiert. Uns verbinden Bauchgefühl, Humor und queerer Background, sodass Auseinandersetzungen über Richtungsentscheidungen meist ausbleiben.“ Er halte „Poppea“, das ein großer Erfolg wurde und um die Welt ging, nach wie vor für eine seiner besten Arbeiten. Später engagierte ihn Barrie Kosky für „Kiss Me, Kate“ in Berlin. „Das war komplett verrückt und hat den stilistischen Grundstein für alle weiteren Inszenierungen Koskys an der Komischen Oper gelegt. Das Stück lief zehn Jahre lang ausverkauft. Es ist schon etwas Besonderes, wenn es gemeinsam gelingt, die Opernwelt zu überraschen.“
Landkind aus Gröbming
Dass ihm die Kulturwelt einmal offenstehen würde, war Alfred Mayerhofer nicht in die Wiege gelegt. „Ich bin auf einem Bauernhof im steirischen Gröbming aufgewachsen und sollte den Hof übernehmen.“ Doch er hatte andere Pläne, absolvierte – „den Eltern zuliebe“ – eine Tourismusschule, ging unmittelbar danach aber nach Wien. „Hier kannte mich niemand. Das habe ich genossen. Ich habe gelebt, bin viel ausgegangen und habe in Bars gejobbt.“ Auch in New York und Amsterdam.
Irgendwann vermittelte ihm eine Freundin eine Stelle als Garderobier im Theater in der Josefstadt. Ein Zufall. „Ich habe aber schnell begriffen, dass mir das wirklich liegt.“ Also begann er, sich an der Modeschule Hetzendorf das praktische Wissen anzueignen und bei Kostümhistorikerin Annemarie Bönsch an der Angewandten die geschichtlichen Hintergründe zu erforschen.
„Später habe ich konsequent drei Jahre lang als Assistent gearbeitet, wofür die Josefstadt ein idealer Lehrplatz war, weil alle Großen der Theaterwelt dort ausgestattet haben.“ An der Angewandten lernte er zudem Filmschaffende wie Barbara Albert kennen, für deren international vielfach ausgezeichnetes Kinodebüt „Nordrand“ er die Kostüme schuf.
Ein gutes Kostüm zeigt sich möglicherweise erst im zweiten Augenblick. Ein schlechtes sofort.
Alfred Mayerhofer, Kostümbildner
600 Kostüme und 400 Perücken
„Man muss in diesem Beruf ein Teamplayer sein, denn man ist, gemeinsam mit dem Regisseur und dem Bühnenbildner, in der Konzeption von Anfang an dabei. Sobald ich weiß, was erzählt werden soll und wie viele Kostüme benötigt werden, zeichne ich Figurinen. Jeder Protagonist in einem Stück hat seine eigene Welt, doch am Ende muss alles stimmig zur Inszenierung passen. Auch mit dem Bühnenbild sollten die Kostüme korrespondieren. Ich habe diese Reibungsfläche, die entsteht, wenn sich drei Kräfte mit jeweils eigenen Visionen an einer Produktion abarbeiten, gern. Das ist spannender als eine One-Man-Show.“
Von wie vielen Kostümen pro Engagement sprechen wir eigentlich? „Das ist natürlich sehr unterschiedlich. Bei ‚La Juive‘, 2019 von Lydia Steier in Hannover inszeniert, hatte ich 600 Kostüme und 400 Perücken auf der Bühne. Das ist eine französische Grand opéra, die natürlich auch groß besetzt ist – mit Chor, Zusatzchor und Statisterie. Die Idee war eine Zeitreise von den 1950er-Jahren zurück ins Mittelalter, und bei jedem Tableau mussten die Kostüme an die jeweilige Zeit angepasst werden. Das war schon eine Herausforderung, denn ich bin für den gesamten Look, vom Haar bis zu den Schnürsenkeln, verantwortlich. Erarbeitet wird das alles dann in Kooperation mit den Werkstätten der Theater.“
In diesem Fall hat sich der Aufwand gelohnt. Nicht zuletzt wegen „La Juive“ wurde die Staatsoper Hannover 2020 zum Opernhaus des Jahres gewählt.
Nie hundertprozentig zufrieden
Etwa acht Produktionen – quer durch Europa – schafft Alfred Mayerhofer pro Jahr. „Ich bin ein Workaholic, kann mir Gott sei Dank aber aussuchen, was ich machen möchte. Mich muss ein Stück, eine Musik, ein Regiekonzept interessieren, damit ich zusage. Wenn mich etwas inhaltlich nicht überzeugt oder inspiriert, kann es optisch zwar funktionieren, aber der Abend wird mich trotzdem nicht glücklich machen. Manchmal muss man einfach auch ablehnen.“
Je länger man ihm zuhört, desto mehr beschleicht einen das Gefühl, einem besonders selbstkritischen Menschen gegenüberzusitzen. „Das stimmt. Ich leide wahnsinnig und bin nie hundertprozentig zufrieden mit meiner Arbeit. Die größte Schwierigkeit besteht darin, auf den Punkt zu kommen, die Essenz zu finden. Letztendlich muss alles, was ich tue, der Produktion nützen, damit diese etwas Eigenständiges werden kann.“
Er gehe selbst sehr gerne ins Theater und in die Oper. „Ich liebe es, von Kolleginnen und Kollegen überrascht zu werden. Mir bereitet es Freude zu sehen, was andere können. Umgekehrt empfinde ich aber auch Schmerz, wenn etwas schiefgeht. In gewisser Weise ist der Besuch von Aufführungen auch eine Kontrolle, damit man sieht, wo man gerade selbst steht.“
Anfang November brachte Alfred Mayerhofer gemeinsam mit Regisseur Axel Ranisch an der Semperoper Dresden Richard Strauss’ „Intermezzo“ auf die Bühne. Nächstes Jahr stehen unter anderem „Tannhäuser“ in der Regie von Lydia Steier an der Wiener Staatsoper und ein Film mit David Schalko auf seinem Plan. Gibt es eine Oper, die er unbedingt noch machen möchte? „Ja. ‚Lady Macbeth von Mzensk‘. Das ist ein tolles Stück. Ein durchkomponierter Orgasmus für Sänger.“