Das Paradies und die Peri: Erst eine Träne führt zum Erfolg
Konzertantes Wiedersehen mit Robert Schumanns selten gespieltem Oratorium „Das Paradies und die Peri“. Dirigentin Giedrė Šlekytė im Interview über ihre Anfänge im Kinderchor, warum sie gerne Musikjournalistin geworden wäre und weshalb sie Verstärker nicht mag.
„Ich weiß es nicht!“ Auch Giedrė Šlekytė hat keine eindeutige Antwort darauf, warum Robert Schumanns großes Werk für Orchester, Chor und Solisten, trotz enormen Erfolgs schon bei der Uraufführung, so sehr in Vergessenheit geraten konnte, dass es selbst eingefleischte Fans des Komponisten nicht immer kennen.
„Vielleicht wirkt die Faszination für den Orient im Europa des 19. Jahrhunderts aus Sicht der heutigen globalen Welt etwas seltsam? Vielleicht hat die Umdeutung des Werks während des Zweiten Weltkriegs negativ abgefärbt? Oder sind die großen Chorwerke generell weniger in Konzertsälen zu hören? Ehrlich gesagt, habe auch ich es erst sehr spät entdeckt, obwohl ich Schumann sehr mag und mich in meiner Zeit als Studentin in Leipzig ausführlich mit ihm beschäftigt habe. Seine Sinfonien waren mir allesamt bekannt, aber mit diesem Oratorium habe ich mich erst intensiver beschäftigt, als die Anfrage aus Wien kam."
Hier, am Theater an der Wien, hat es Nikolaus Harnoncourt im Zuge des OsterKlang 2008 dirigiert. Seitdem steht es immer wieder einmal auf einem internationalen Spielplan. Zum Glück, findet Giedrė Šlekytė. „Man könnte es durchaus noch öfter hören, denn die Musik ist unfassbar schön und von einer Qualität, die den Sinfonien in nichts nachsteht. Ich werde mich jedenfalls sehr bemühen, dass es wieder in Mode kommt“, verspricht die gebürtige Litauerin mit Wohnsitz Klagenfurt.
Robert Schumann bezeichnete seine Arbeit als „ein Oratorium, aber nicht für den Betsaal, sondern für heitre Menschen." Möglicherweise wollte er sich damit von einer allzu strengen Einordnung abgrenzen, denn natürlich hat es viel mit einer – religionsübergreifenden – Spiritualität zu tun. Dennoch stehen der Mensch und die Menschlichkeit klar im Vordergrund. Die Peri, ein Zauberwesen aus der persischen Mythologie, als Tochter eines gefallenen Engels und einer Sterblichen in Misskredit geraten, möchte es unbedingt ins Paradies schaffen.
Doch ihre ersten beiden Opfergaben – der Blutstropfen eines jungen Kriegers, getötet im Kampf gegen den Tyrannen, und der letzte Seufzer einer jungen Frau, die freiwillig gemeinsam mit ihrem pestkranken Geliebten in den Tod geht – sind nicht genug. Erst die Träne eines Sünders, der im Angesicht eines betenden Knaben Reue verspürt, öffnet der Peri die paradiesischen Tore. „Das ist einer der ergreifendsten Momente“, erklärt Giedrė Šlekytė. „Diese drei Motive bestimmen natürlich auch die musikalische Dramaturgie. Vom dynamisch Kriegerischen über die liebevolle Leidenschaft bis zum berührend Sanften.“
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Es ist kein Geheimnis, dass „Das Paradies und die Peri“ unter der Regie von Christof Loy szenisch geplant war. Aus bekannten Gründen gelangt es nun konzertant zur Aufführung. „Ich habe mich sehr darauf gefreut, mit Christof Loy zu arbeiten, und hoffe, dass wir das bald nachholen können. Aber das Werk selbst erfährt durch diese Umsetzung keinen Nachteil, denn es wurde ja für den Konzertsaal geschrieben.“
Initialzünder Graz
Wie wichtig frühkindliche Musikerziehung sein kann, sieht man deutlich an Giedrė Šlekytė. Als Tochter eines Mathematikers und einer Zahnärztin in einem naturwissenschaftlichen familiären Umfeld aufgewachsen, kam sie über den Kinderchor zu ihrer späteren Leidenschaft. „Die Leiterin dieses Chors hat meinen Eltern zu einer Schule geraten, in der ich dann zwölf Jahre lang eine sehr breite musikalische Ausbildung genossen habe, wodurch der Wunsch in mir gewachsen ist, Musik zu meinem Beruf zu machen.“
In welcher Form war nicht immer klar. „Zuerst wollte ich Sängerin werden. Eine Zeitlang war auch Musikjournalismus hoch im Kurs, weil Musikgeschichte einer meiner Schwerpunkte in der Schule war, ich sehr gerne schreibe und mich seit jeher für Sprachen interessiere. Über einen Meisterkurs bei Johannes Prinz, Chorleiter des Wiener Singvereins, den dieser in Vilnius gab, und auf Empfehlung meiner Kollegin Mirga Gražinytė-Tyla kam ich dann zum Studium nach Graz. Erst hier habe ich definitiv beschlossen, den Beruf der Dirigentin zu wagen.“
Das war 2008. Daher rührt auch ihr beinahe akzentfreies Deutsch – was in einer Welt, in der Englisch vorherrscht, nicht Usus ist. „Wenn man in Österreich lebt und nicht Deutsch spricht, ist es einfach weniger schön. Dann bekommt man die Hälfte all dessen, was interessant ist, gar nicht mit“, so ihre entwaffnende Begründung.
Musik ist eine der schönsten Möglichkeiten, seine Zeit zu verbringen.
Giedrė Šlekytė, Dirigentin
Lebendiger Klang
Für die meisten Menschen ist Musik ein wichtiges emotionales Ventil. Was aber bedeutet sie der Professionistin?
„Musik ist ein sehr großer Teil meines Lebens und betrifft viele Bereiche. Unabhängig davon, dass dies mein Beruf ist, der mir viel abverlangt, bin ich auch eine leidenschaftliche Musikliebhaberin und sehr gerne im Publikum. Ich finde, das ist eine der schönsten Möglichkeiten, seine Zeit zu verbringen. Musik lässt uns den Moment des Hier und Jetzt immer wieder stark erleben. Vielleicht könnte man das auch im Kino oder mit einer anderen Art von Musik. Aber da kommt für mich das Phänomen des lebendigen akustischen Klangs ins Spiel.“
Sie habe in der Pandemie begriffen, wie sehr sie diesen brauche und liebe. „Ein Lautsprecher kann diese klangliche Unmittelbarkeit niemals ersetzen. Deshalb versuche ich auch, wann immer es möglich ist, auf Verstärker zu verzichten.“
Was kommt als Nächstes nach Wien? Ihr Londoner Covent-Garden-Debüt mit „Hänsel und Gretel“. Danach geht es für sie in die USA, wo ein sinfonisches Programm mit dem Dallas Symphony Orchestra auf sie wartet. „Ich bin noch nie in den USA gewesen und weiß gar nicht, was auf mich zukommt. Und genau darauf freue ich mich.“