Muss nicht sein. Dieser Brief muss sein, obwohl ich die Adresse des Adressierten gar nicht kenne. Ich hoffe, er findet seinen Weg. In gewisser Weise hoffe ich eigentlich, dass beide ihren Weg finden, der Brief und der Adressat. Ich schreibe also in der Erwartung, dass es sich irgendwo im Land aufhält, dieses Europäische, und nicht bereits nach Unbekannt verzogen ist. Ich schicke den Brief allerdings nicht aus ins Blaue.

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Das Blaue schätzt das Europäische nicht, es hat nichts Besseres zu tun, als ihm die Wurzeln im heimatlichen Boden kappen zu wollen, bereits Angewachsenes auszubuddeln, Austreibendes abzufackeln, Verbundenes zu trennen (in einer Umkehrung dessen, was Alois Mock damals tat) und das gemeinsam Zukünftige in so entsetzlichen Farben schiach zu malen, dass man gar nicht mehr wagt, auch nur in seine Richtung zwischen gespreizten Fingern zu linsen.

Das Schollenreine soll es offenbar sein, und bloß nicht der Schmelztiegel. Nun, für die Fans der astreinen Scholle habe ich schlechte Nachrichten. Das Europäische ist nicht so leicht loszuwerden. Es ist doch ein Teil der österreichischen DNA. Österreich ist durchdrungen davon, auch wenn das nicht allen bewusst ist. Es füllt Bücher und Filme und Opernsäle, Bäuche und Blasen und Köpfe. Österreich kann nicht getrennt werden von seiner eigenen Geschichte, egal wie geschichtsvergessen die Trennenden sein mögen. Manchmal gerät es vielleicht aus dem Blick, das große Wir.

Im kleinlichen „Mir san mir“ schrumpfen Grenzen, Möglichkeiten und das Gemeinsame. Es ist weder eine passable Lösung, noch wird es der Zukunft Österreichs Gutes bringen. Österreich ist Teil eines Ganzen. Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Einzelteile. Das ist eigentlich etwas, das unter „common sense“ laufen müsste, sogar noch unter dem oft zitierten und noch öfter missbrauchten „Hausverstand“.

Kommt das Austriakische auf Abwege?

Es könnten Zeiten bevorstehen, in denen das aus dem Blickfeld gerät. Es könnte so aussehen, als hätte das Austriakische vorübergehend vergessen, dass es auch das Europäische ist. In diesem Fall bitte ich das Europäische inniglich, auf das Austriakische zu warten, wie Penelope teppichwebend auf Odysseus gewartet hat, unerschütterlich und klug.

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Es mag vielleicht die Fäden auftrennen, aber bitte nicht zerreißen, denn am nächsten Tag muss doch wieder ein neues Gewebe daraus entstehen. Vielleicht gerät das Austriakische auf Abwege, mag sein, dass es sich nicht nur vergaloppiert, sondern sogar die Hosen runterlässt, Unanständiges grölt, sich selbst vergisst – kurzum, sich so benimmt, als wäre es Besucher auf einem drittklassigen Zeltfest und hätte sich mit viertklassigem Fusel volllaufen lassen, so arg, dass man eigentlich nur noch sagen wollte: „Geh nach Hause, du bist betrunken!“

Das eine gibt es nicht ohne das andere. Auch wenn manche aus diesem Paar etwas wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde machen wollen. Das sind sie natürlich nicht. Sondern eher wie Superman und Batman, die müssen jetzt sein, sonst wird es hier noch zu pathetisch. Vollkommen im tiefsten Ernst, auch dem der Lage: Österreich ist ein Teil Europas. Und niemand kann das ungeschehen machen. Daran glaube ich, dem vertraue ich, und darum weiß ich auch, dass dieser Brief dort ankommt, wo er ankommen soll.