Die Idee war gut, doch die Welt noch nicht bereit
Ab 3. Juni spaziert das Schubert Theater wieder mit Pionier*innen durch Wien. Bei der dritten Ausgabe des Erfolgsformats ist auch Anna Demel mit dabei. Tataráta Apfelstrudel!
„Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit“ singen Tocotronic im gleichnamigen Song, der 1995 als Teil des Albums „Digital ist besser“ erschienen ist. Selbiges könnte man auch über die Figuren sagen, mit denen das Schubert-Theater ab 3. Juni durch den 9. Bezirk spaziert. Wenn Hedy Lamarr, Anna Demel, Nikola Tesla, Philip K. Dick und Aaron Swartz eine Sache eint, dann, dass sie allesamt ihrer Zeit voraus waren, hält Lisa Zingerle fest. Sie entwickelte die Idee, die Figuren des Schubert Theaters nach draußen zu bringen, während der Corona-Lockdowns. Die Idee war jedoch so gut – um erneut mit Tocotronic zu sprechen – dass alle Beteiligten mehr als bereit waren, das Format über die pandemiebedingten Einschränkungen hinaus fortzuführen. „Der Zeit voraus“ ist daher bereits die dritte Ausgabe des „Spaziergangs für die Figur“.
Im Demel steht die Zeit still
„Weil wir uns nicht sicher waren, ob unsere Form des Theaters auch in der Öffentlichkeit funktioniert, haben wir uns lange Zeit nicht so wirklich getraut, die Puppen nach draußen zu bringen. Die technischen Möglichkeiten auf der Bühne geben uns eine gewisse Sicherheit, die wir an öffentlichen Plätzen nicht haben. Es war also ein großes Probieren und Experimentieren“, erklärt Lisa Zingerle, die wir nach der Probe gemeinsam mit Simon Meusburger, Soffi Povo, Markus-Peter Gössler und Angelo Konzett im Pausenbereich des Schubert-Theaters treffen. „Wir proben die Szenen zunächst hier im Theater, um in einem geschützten Rahmen Dinge ausprobieren zu können“, sagt Simon Meusburger, Direktor des Schubert Theaters.
Der Demel ist der einzige Ort, an dem die Zeit nicht rennt. Sie steht still.
Anna Demel in „Spaziergang für die Figur: Der Zeit voraus“
Im „Spaziergang für die Figur III“ sind sowohl Szenen aus aktuellen Stücken des Schubert-Theaters als auch neue Passagen, Dialoge und Figuren enthalten. Zu letzterer Kategorie gehört Anna Demel, die 1956verstorbene Chefin der Hofkonditorei Demel. Als wir wenige Wochen vor der Premiere ins Theater in der Währinger Straße kommen, ist Markus-Peter Gössler gerade in einem intensiven Austausch mit Anna Demel, die von Soffi Povo gespielt wird. Wir begegnen einer Figur, die nicht nur ihrer Zeit voraus war, sondern innerhalb ihres kleinen Imperiums auch den Zeitbegriff an sich neu definierte. So sagt sie im Stück: „Der Demel ist der einzige Ort, an dem die Zeit nicht rennt. Sie steht still.“
„Tataráta Apfelstrudel“
„Wir wollten Anna Demel auch im Stück haben, um unsere Liebe zu Wien reinzubringen“, erklärt Lisa Zingerle. Überraschend war für sie unter anderem, wie wenig Material man zu ihr findet, obwohl sie die erste Frau war, die den in Österreich überaus prestigeträchtigen Titel Kommerzialrat verliehen bekam. Als Recherchequelle diente unter anderem der Demel selbst – mitsamt all seiner Köstlichkeiten, wie das Ensemble lachend erklärt.
„Lisa hat viel Material zusammengetragen, das wir anschließend in eine Interviewform gebracht haben. Dabei haben wir immer wieder abgewogen, was wir ihr in den Mund legen können und was nicht, und hoffen, dass wir nun so nah wie möglich an ihr dran sind. Es war ein Herantasten“, bringt es Simon Meusburger auf den Punkt. Lisa Zingerle ergänzt: „Hilfreich war unter anderem das Glossar, das auf der Demel-Website zu finden ist. Dort kommt zum Beispiel auch das ‚Tataráta Apfelstrudel‘ her, das auch bei uns im Stück vorkommt. Ein Ausdruck, den die Demel-Damen verwendeten, wenn ihnen das Gespräch zu lang wurde.“
Wie man bei einer Figur, von der es so wenig gesprochenes und schriftlich festgehaltenes Material gibt, Stimmfärbung und Bewegungsabläufe entwickelt, möchten wir noch von der Spielerin und Puppenbauerin Soffi Povo wissen. „Wir haben versucht, ihre Stimme wienerisch klingen zu lassen, ohne dass sie der von Hedy Lamarr zu sehr ähnelt. Darüber hinaus sind wir auch vom Aussehen der Puppe ausgegangen“, antwortet die Schauspielerin, die bereits zum Ensemble der zweiten Ausgabe des „Spaziergangs für die Figur“ gehörte.
Die ehrlichste Form von Figurentheater
Mit Unvorhersehbarem umzugehen sei einem solchen Format eingeschrieben, ist sich die Runde einig. Sofort werden Anekdoten ausgetauscht. „Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich bei unserem Gastspiel beim Hin & Weg Festival in Litschau fast abgetrieben wäre. Ich stand auf einem Floss auf dem Herrensee und das Seil hat sich gelöst, Lisa konnte es gerade noch festhalten“, erzählt Angelo Konzett lachend. Die Spaziergänge hätten ihm aber auch gezeigt, wie viel Freude im Improvisieren steckt, fügt er hinzu.
In der Regel dauert es nicht lange, bis man die Puppenspielerin nicht gar mehr wahrnimmt. Das ist dann meistens der Punkt, an dem die Augen der Zuseher*innen zu leuchten beginnen.
Lisa Zingerle
Wichtig sei auch, die Teilnehmer*innen zusammenzuhalten, ergänzt Markus-Peter Gössler, dem diese Aufgabe auch diesmal wieder zukommt. „Ich agiere ein bisschen wie ein Hirtenhund“, merkt er lachend an. Nach einer kurzen Pause setzt er nach: „Gerade beim Figurentheater ist es nicht unwichtig, den richtigen Blickwinkel auf die Figuren zu haben. Manchmal stellen sich die Teilnehmer*innen aber so hin, dass sie hauptsächlich den Puppenspieler oder die Puppenspielerin sehen. Ich kann versuchen, sie darauf hinzuweisen, aber letztendlich ist es jedem und jeder selbst überlassen, wie er oder sie die Szene aufnimmt. Wenn man den Theaterraum aufhebt, muss man auch damit rechnen, dass die Leite diese Einladung annehmen und ihre eigene Erfahrung mit dem Medium sammeln.“
Hin und wieder würde es auch vorkommen, dass Passant*innen neugierig stehen bleiben oder sich der Gruppe spontan anschließen. „Es gibt kaum Leute, die einfach vorbeigehen ohne Interesse zu zeigen“, fügt Angelo Konzett hinzu. Simon Meusburger ergänzt: „Es ist schon so, dass durch das Rausgehen aus dem Theaterraum ein Erstkontakt mit Figurentheater entstehen kann. Figurenspiel für Erwachsene ist ja schon etwas, wo man manche Menschen erst hinführen muss.“
Wenn man diese Menschen aber erstmal für sich gewonnen hätte, sei es aber umso schöner, ihnen dabei zuzusehen, wie sie plötzlich wieder Kind werden, erzählt Lisa Zingerle mit großem Enthusiasmus. „Weil wir hauptsächlich mit großen Klappmaulpuppen arbeiten und man die Spielerin oder den Spieler immer sieht, sagen wir immer wieder, dass wir die ehrlichste Form von Figurentheater machen, die es gibt. Allerdings dauert es nicht lange, bis man die Spielerin nicht mehr wahrnimmt. Das ist dann meistens der Punkt, an dem die Augen der Zuseher*innen zu leuchten beginnen.“ Wer sich also bisher dachte „Die Idee ist gut, aber ich noch nicht bereit“, dem sei ein Spaziergang mit Hedy, Philip, Aaron, Anna und Nikola und den Spieler*innen des Schubert Theaters sehr ans Herz gelegt.