Biss ins Ohr. Hochdramatischer Jahresbeginn für Elīna Garanča. Ab 12. Jänner verleiht die lettische Mezzosopranistin der jungen Bäuerin Santuzza in Pietro Mascagnis Oper „Cavalleria rusticana“ erneut ihr komplexes Profil: verliebt, rachsüchtig, gekränkt, stolz.

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2019 begeisterte sie das Publikum der Wiener Staatsoper zum ersten Mal in dieser Partie, die Sängerinnen buchstäblich alles abverlangt. „Es ist so, als würde man einen Marathon in 30 Minuten absolvieren. Ab dem ersten Auftritt singt man nonstop. Die Verzweilung der Figur wird immer größer, die Musik immer lauter, die Spannung immer intensiver.“

Nur 70 Minuten dauert das Spektakel, angesiedelt zu Ostern in einem sizilianischen Dorf, doch diese haben es in sich. Santuzza, traurig und bestürzt ob der Untreue ihres Geliebten Turiddu, bittet, droht und fleht diesen um seine Zuneigung an. Doch Turiddu stößt sie weg, er hat nur Augen für Lola, die Frau des Fuhrmanns Alfio. Santuzza fühlt sich entehrt, sie verflucht Turiddu und berichtet Alfio zutiefst verletzt von der Untreue seiner Frau.

Als er den Nebenbuhler zur Rede stellt, beißt ihm dieser ins Ohr: Alle im Dorf wissen, dass diese drastische Geste nach altbäuerlichem Ehrenkodex eine Aufforderung zum Duell bedeutet. Am Ende bezahlt Turiddu mit dem Leben. Aus einem Wettbewerb hervorgegangen und 1890 uraufgeführt, steht „Cavalleria rusticana“ bis heute auf den internationalen Spielplänen. Meist in Kombination mit Ruggero Leoncavallos „Pagliacci“ – so auch in Wien.

„Ich glaube, der Erfolg dieser Oper liegt darin begründet, dass jeder von uns Gefühle wie Liebe, Enttäuschung und Eifersucht kennt“, mutmaßt Elīna Garanča. „Wir können uns gut in diese Situationen hineinversetzen, weil wir alle zumindest einen Teil der Geschichte schon einmal selbst erlebt haben. Ich denke, der Zugang zur Oper geht immer über die Emotionen, denen wir jeden Tag ausgesetzt sind. Egal ob bei ‚Carmen‘, ‚Don Giovanni‘ oder ‚Turandot‘, wir können aus dem, was wir selbst erlebt haben, in jeder Oper etwas erkennen. Ich glaube, sich darauf zu konzentrieren, ist wichtiger, als die Menschen mit Inszenierungen, die oft wenig Sinn ergeben, zu überfordern.“

Ich bin weder gegen klassische noch gegen moderne Inszenierungen. Ich bin lediglich gegen schlechte Inszenierungen.

Elīna Garanča, Opernsängerin
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Reiz des „Unmöglichen“

Damit keine Missverständnisse entstehen: „Ich bin weder gegen klassische noch gegen moderne Inszenierungen. Ich bin lediglich gegen schlechte Inszenierungen. Es ist mir auch egal, ob ich in Jeans oder im Samtkleid auf der Bühne stehe, mir geht es darum, dass ich die Geschichte und den emotionalen Zustand der jeweiligen Figur glaubhaft erzählen kann.“ Natürlich gebe es auch Partien, auf die man durch mehr Lebenserfahrung und das Älterwerden einen anderen Blick werfe. „Man kann dann etwas Neues entdecken oder draufkommen, dass man es ganz sein lassen sollte. Oft wird es nach vielen Jahren schwierig, sich mit einer Figur identifizieren zu können. Deshalb gibt es Partien, an die ich nicht mehr glaube und deren Anliegen ich nicht mehr plausibel transportieren kann.“

Woraus bezieht der Opern-Weltstar die Motivation, sich beständig weiterzuentwickeln? „Es gibt Partien, die ich noch nicht gesungen habe. Und es gibt Rollen, von denen man mir abrät. Manche Leute meinen, mit der Ortrud würde ich mir meine Stimme ruinieren. Es reizt mich also, zu beweisen, dass das nicht passieren wird. Bei der Santuzza hat man mir Ähnliches prophezeit. Wagner? Niemals! Trotzdem war die Kundry eine tolle Partie, die ich weiterhin gerne singe. Es gibt Rollen, die psychologisch interessant und eine stimmliche Herausforderung zugleich wären. Lady Macbeth ist in der Vergangenheit schon von einigen Mezzosopranistinnen gesungen worden. Da stellt sich die Frage, ob ich das auch machen könnte und wie viel ich dafür bezahlen müsste. Man hat aber mit zunehmendem Alter auch mehr Mut, weil man sich denkt: Okay, wenn ich meine Stimme verliere, hatte ich immerhin eine tolle Karriere.“

Wissen, wann es Zeit ist

Elīna Garanča steht, da sind sich Opernkritiker und ihr Terminkalender einig, in der Hochblüte ihres Könnens. Dennoch denkt sie immer wieder öffentlich laut über das Ende ihrer Laufbahn nach. Warum? „Weil ich realistisch bin. Ich muss viele Jahre im Voraus planen und weiß, dass mein verbleibendes Sängerleben immer kürzer wird. Ich scheue mich nicht davor, das zu thematisieren, weil ich manchmal bei Kollegen sehe, dass sie zu spät aufhören. Damit zerstört man möglicherweise seinen eigenen Mythos.“ Und auch wenn Bühnenerfahrung und Ausstrahlung für das Publikum ebenfalls ein wichtiges Kriterium seien, müsse die stimmliche Qualität gegeben sein.

„Jeder muss einmal in Pension gehen. Warum sollte ein Sänger singen, bis er sterbend auf der Bühne zusammenbricht?“, stellt sie trockenen Humors eine realistische Gegenfrage. „Ich glaube, dass ich mich durch meinen offenen Umgang damit auch immer wieder selbst hinterfrage, weil ich ja überlegen muss, wie ich meinen Abschied eigentlich gestalten möchte. Ich plane jetzt schon die Spielzeit 2029/30 und muss wissen, an welchem Tag ich wo welche Partie singen werde. Genauso muss ich auch meinen Abgang von der Bühne planen. Soll es eine bestimmte Vorstellung sein? Oder eine letzte Tournee? Darüber muss man sich Gedanken machen, denn es könnte schneller vorbei sein, als man es sich wünscht.“

Elīna Garanča
In ferner Zukunft. Ortrud und Lady Macbeth reizen sie, ans Aufhören denkt sie dennoch. Elīna Garanča plant weit im Voraus. Dazu gehört auch, zu überlegen, wann und wo ihr letzter Auftritt sein soll.

Foto: Andreas Jakwerth

Mentorin und Lehrerin

„Es wäre doch schade, all dieses Wissen und die Erfahrungen mit ins Grab zu nehmen“, denkt Elīna Garanča bereits über ihre weitere Zukunft nach. „Ich glaube, ich könnte jungen Leuten sehr viel mitgeben, was die Strategie einer längeren erfolgreichen Karriere betrifft. Es geht nicht darum, jemanden nach eigenem Vorbild zu formen, das funktioniert ohnehin nicht, denn jeder muss mit dem Material arbeiten, das er hat. Manche brauchen täglich eine technische Unterstützung, andere nur ab und zu Rat bei einer Richtungsentscheidung.“

Mit ihrer erfolgreichen Nachwuchsinitiative „ZukunftsStimmen“ verfolgt sie gemeinsam mit ihrem Mann Karel Mark Chichon eine nachhaltige Aktion zur Förderung und Begleitung junger Künstler*innen. Der Sieger / die Siegerin wird auch heuer wieder bei den Klassik-Open- Air-Konzerten auf Stift Göttweig und in Kitzbühel zu hören sein. Und auch für andere Teilnehmer*innen im Spitzenfeld gibt es attraktive Auftrittsmöglichkeiten im Umfeld der Vorstellungen, um sich einer breiten Öffentlichkeit präsentieren zu können.

Kriminelle Energie

Sich Elīna Garanča als Gesangscoach vorzustellen, fällt nicht schwer. Ihre berufliche Alternative wäre allerdings eine ganz andere gewesen. „Ich behaupte von mir, gut zuhören und mich in andere einfühlen zu können. Tatsächlich schütten mir viele Menschen ihr Herz aus, weil sie wissen, dass ich es nicht gleich weitererzähle. Etwas, das mich sehr fasziniert und in das ich tief eintauchen könnte, ist die Kriminalpsychologie. Der Konflikt zwischen dem, was wir im Kopf haben, und dem, was die Natur von uns will, ist wahnsinnig spannend.“

Sollte also jemand eine forensische Oper planen, die ideale Protagonistin dafür wäre bereits gefunden.

Hier zu den Spielterminen von Cavalleria Rusticana!