Eine Bar ist eine Bar ist eine Bar. Und ein Theater ist ein Theater ist ein Theater. Stimmt doch, oder? Nicht, wenn es nach Ingrid Lang und dem im Theater Nestroyhof Hamakom beheimateten Cross-Genre-Format Sam’s Bar geht. Seit 2013 verwandelt sich der Theatersaal des Jugendstilgebäudes während der Weihnachtszeit in einen Raum, in dem Musik, Theater und Barkultur ineinandergreifen. Mit dem Programm möchte man unter anderem an den Ursprung des Theaters erinnern, das 1889 von Oskar Marmorek als Vergnügungsetablissement in die Praterstaße, die damals an ein kleines Westend erinnerte, hineingebaut wurde.

Anzeige
Anzeige

„Diesen Gedanken wollten wir aufgreifen“, sagt Ingrid Lang, künstlerische Leiterin des Nestroyhof Hamakom. „Unser Wunsch als Theater, das sich ansonsten meist mit eher ernsten Themen beschäftigt, war es, einen Begegnungsort zu schaffen, wo sich die Dinge wieder ein bisschen mehr vermischen. So wie das früher im Varieté der Fall war.“ So gibt es heuer unter anderem mit „Gwundrig“ einen Abend, an dem die Schauspielerin Anne Bennent und die beiden Musiker Otto Lechner und Karl Ritter Texte von Robert Walser und Arthur Rimbaud sprechen und vertonen. Doch nicht nur Genres werden überschritten, fügt sie hinzu, „sondern auch die Grenzen zwischen Spieler*innen und Publikum ein Stückweit aufgehoben.“

Sam's Bar
„FURCHTBlasen“ mit Florentin Groll, Aline-Sarah Kunisch, Birgit Stöger und Ludwig Wendelin Weißenberger im Hamakom.

Foto: Marcel Köhler

Experimentierfeld

„Im Laufe der Zeit von Sam’s Bar sind wir außerdem draufgekommen, dass es ein guter Rahmen ist, um junge Regisseur*innen zu fördern und sie dabei sehr frei arbeiten zu lassen“, ergänzt Ingrid Lang. In diesem Jahr ist es der 1994 geborene Regisseur und Dramatiker Thyl Hanscho, der seine Stückentwicklung „Furchtblasen“ zur Uraufführung bringt. „Ich bin mit dem Anliegen an Thyl herangetreten, der Tendenz entgegenzuwirken, dass sich von Krise zu Krise die Gesprächsfronten immer mehr verhärten. Ich halte es für eine demokratiegefährdende Entwicklung, sich anderen Meinungen nicht mehr aussetzen zu können und zu wollen und sich damit andauernd in der eigenen Meinungsblase zu bestärken. Angst spielt eine große Rolle, wenn es darum geht, dieses Verhalten noch stärker zu verfestigen. Und diese Angst ist ein gefundenes Fressen für rechtsradikale Bewegungen und Parteien – für Nationalismus und Faschismus“, erklärt Ingrid Lang.

Thyl Hanscho ergänzt: „Mich hat interessiert, wie es dazu kommt, dass sich diese Meinungsblasen so sehr verfestigen und dabei so undurchlässig werden, dass es richtig schwer ist, wieder daraus auszubrechen. Der Titel des Stücks lautet deshalb ‚Furchtblasen‘, weil Angst, wie Ingrid schon erwähnte, eine große Rolle in diesem Prozess spielt. Es ist eine Angst vor dem Unbekannten, befeuert von jenen Leuten, die aus dieser Angst einen Vorteil ziehen könnten. Auf sozialen Plattformen werden all jene Dinge, die diese Angst vielleicht nehmen könnten, rausgefiltert, sodass man weiterhin in seinen eigenen Ängsten kocht. Ich habe mir während der Proben oft gedacht, dass man als mündiger Bürger oder mündige Bürgerin in dieser digitalen Welt ständig gegen Algorithmen arbeiten muss, um sicherzustellen, dass man auch noch mit anderen Meinungen konfrontiert wird.“

Sam's Bar
Ingrid Lang wurde in Niederösterreich geboren. 2001absolvierte sie ihr Schauspielstudium an der Hochschule für Musik und Theater Felix Mendelssohn-Bartholdy in Leipzig. Seit 2018 ist Ingrid Lang künstlerische Leiterin am Theater Nestroyhof Hamakom und seit 2020 für die Gesamtleitung des Hauses verantwortlich.

Foto: Marcel Köhler

Anzeige
Anzeige

Bei der Beschäftigung mit dem Thema nahm, neben vielen Gesprächen mit dem Ensemble, unter anderem das Buch „Filter Bubbles“ von Eli Pariser eine zentrale Position ein. „Wie auch das 2023 erschienene Buch ‚Massenradikalisierung‛ von Julia Ebner“, erläutert Hanscho und ergänzt, dass es keinesfalls ein hochtheoretischer, sondern ein lustvoller Theaterabend wird. „Wir binden all diese Themen an die Figuren, deren eigene Fehlbarkeit in ihrem Sprechen über bestimmte Themen zum Ausdruck kommt. Ich habe einmal mit dem Dramatiker Wolfram Lotz über das Textschreiben gesprochen und er hat den schönen Satz gesagt: ‚Text muss sich immer selbst sabotieren‘. Das machen unsere Figuren auf sehr entlarvende Weise im Gespräch miteinander.“

Sams Bar
Ein Eindruck vom umgebauten Theatersaal während „Sam's Bar“

Foto: Nick Mangafas

Ungewöhnlicher Theaterraum

Aus dem riesengroßen Materialhaufen, der sich am Anfang der Proben vor dem Regisseur und seinem Team auftat, kristallisierten sich rasch vier Figuren unterschiedlicher Altersstufen heraus. „Jede von ihnen ist Teil einer anderen Blase“, erklärt Hanscho und setzt nach: „Uns wurde schließlich klar, dass wir gerne einen längeren Zeitraum zeigen würden, und wir kamen auf die Idee, dass diese vier Menschen eine Familie bilden, deren Weihnachten wir immer wieder sehen – ihre Gewohnheiten, aber auch Veränderungen in diesen Gewohnheiten und wie sie miteinander sprechen oder aufgrund unterschiedlicher Radikalisierungen nicht mehr in der Lage dazu sind, genau das zu tun.“ Der mit Kaffeehaustischen und einer Bar ausgestattete und damit eher ungewöhnliche Theaterraum böte viele Möglichkeiten, Nähe und Distanz auf andere Weise zu erzählen, ergänzt Hanscho, der sich in „nicht-klassischen Bühnensituationen“ sehr wohlfühlt.

„Das Varieté-Setting ist zwar nichts Neues, allerdings kennt man es eher im Zusammenhang mit Unterhaltung. Das wollen wir mit diesem Stück auch, arbeiten uns aber dennoch an sehr komplexen Themen ab“, merkt Ingrid Lang daran anknüpfend an. Außerdem fände sie es schön, wenn sich das Thema des Stücks über den Theaterabend hinaus fortsetze – „wenn Zuschauer*innen, vielleicht sogar welche, die bei bestimmten Themen unterschiedlicher Meinung sind, nach dem Stück miteinander ins Gespräch kommen.“

Sam's Bar
Geboren 1994 in Klagenfurt, studierte Theaterregie am Max Reinhardt Seminar. Er arbeitet als Regisseur und Dramatiker.

Foto: Juhlia Dragosits

Zuversicht

Was das Musikprogramm von Sam’s Bar betrifft, ist es ihr wichtig, zu ergänzen, dass der Fokus auf Musiker*innen liegt, die sich nicht so leicht in Schubladen stecken lassen, deren Arbeiten jedoch von außergewöhnlich hoher Qualität sind. Wie zum Beispiel Peter Roms Album ‚Wanting Machine‘, der in der diesjährigen Reihe mit Pamelia Stickney auftritt. Diese Künstler*innen bekommen zu wenig Plattformen in Österreich. Das ist schade, denn es gibt tolle Leute hier, die spannende neue Wege gehen. Sam’s Bar soll ein unterhaltsames, aber auch ein mutiges Projekt sein.“

Und eines, das Zuversicht verbreitet, sind sich die beiden einig. „Der Mensch hat alles erfunden, was gerade gesellschaftlich und politisch passiert. Das heißt aber auch, dass unserer Fantasie alles Mögliche entspringen kann. Auch etwas ganz anderes. Diese Kraft hat das Theater“, bringt es Ingrid Lang auf den Punkt. Thyl Hanscho ergänzt: „Es gibt ein Motto, das ich auf den Proben immer mit mir herumgetragen habe und das lautet: Optimismus aus Trotz. Also zuversichtliche Bilder produzieren, trotzdem nie weg-, sondern immer hinschauen.“

Zum Programm von Sam's Bar 2023!