Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, dass Schauspieler sich für das, was sie tun, begeistern können. Nicht ganz so selbstverständlich ist, wenn sich die Spielfreude über das eigentliche berufliche Tun hinaus bis in die Bewerbung desselben erstreckt. Demnach darf man es ein Geschenk nennen, was Juliette Khalil und Drew Sarich beim Fotoshooting für die Coverstory der BÜHNE an hemmungsloser Lust und bedingungslosem Spaß einbrachten. Kein Outfit zu extravagant, keine Pose zu verwegen, keine Regieanweisung zu unkonven­tionell, als dass man es nicht probieren könnte. Unterhaltungskünstler. Durch und durch. 

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Das konveniert durchaus mit dem Grund des Zusammentreffens: Juliette Khalil und Drew Sarich probieren gerade für die Premiere von „Into the Woods“. Stephen Sondheims Musical aus dem Jahr 1987, das in seiner Filmfassung mit Meryl Streep und Johnny Depp 2014 die Massen in die Kinos lockte, ist ebenso amüsant und ironisch wie intelligent und doppelbödig. Sondheim und sein kongenialer Partner James Lapine verarbeiten darin drei bekannte Grimm-­Märchen – „Aschenputtel“, „Rotkäppchen“ und „Rapunzel“ – sowie das englische Volksmärchen „Hans und die Bohnenranke“ und geben dem Ganzen auch noch eine Rahmenhandlung. Den gesamten Plot zu erzählen würde nicht nur den umfänglichen Rahmen sprengen, sondern auch die Nerven der geschätzten Leserschaft allzu strapazieren. 

Juliette Khalil und Drew Sarich ­tauchen als Rotkäppchen und der böse Wolf im Fotostudio tief ein in ihre vielschichtigen Rollen.

Foto: Christian Anwander, Styling: Jacke Ann Demeulemeester, Lederweste Saint Laurent, Hut Stephen Jones, Siegelring Huegler, Overall privat

Chaos in der fragilen Märchenwelt

Nur so viel: Zu Beginn wünscht sich ein Bäckerpaar sehnlichst ein Kind, wofür es allerdings durch eine Hexe von einem alten Fluch befreit werden muss. Aschenputtel wünscht sich bekannter­maßen, am Ball des Königs teilnehmen zu dürfen, wogegen Stiefmama und Stiefschwestern aus gutem Grund etwas haben. Hans alias Jack (im englischen Original) träumt davon, dass seine Kuh Milky White ihrer eigentlichen Bestimmung nach endlich Milch geben möge, während seine Mutter nach Reichtum trachtet.

Rapunzel möchte sich aus den Fängen der Hexe befreien und zudem einen Prinzen als Gemahl. Rotkäppchen begehrt vom Bäcker Brot und Kuchen, um damit ihrer Großmutter eine Freude zu bereiten. Und auch die alte Hexe bleibt nicht wunschlos: Als Bedingung, den Fluch aufzuheben, verlangt sie vom Bäckerpaar vier Dinge, die sie für einen Zaubertrank benötigt: „Eine Kuh, so weiß wie Milch, ein Cape, so rot wie Blut, Haar, so gelb wie Mais und einen Schuh, so rein wie Gold.“

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Wie gut, dass all dies bereits vorhanden ist, sodass es im ersten Akt zu einer ganzen Reihe von Happy Ends kommt. Nur dass das Stück eben noch nicht zu Ende ist. Im zweiten Akt konfrontiert Stephen Sondheim seine Protagonisten dann mit den jeweiligen Konsequenzen ihres Handelns und Wünschens. Nun gerät die fragile Märchenwelt vollends aus dem Lot. Prinzen gehen fremd, Rotkäppchen erleidet Aggressionsschübe, der plötzliche Tod lauert hinter jedem Baum. 

Drew Sarich – im Stück der böse Wolf und Aschenputtels Prinz – behält bei all den Finten, die „Into the Woods“ für das Publikum bereithält, dennoch den Durchblick. „Ich fand es immer wahnsinnig klar, weil es darum geht, dass jeder Wünsche und Bedürfnisse hat, aber kaum jemand bedenkt, was deren Erfüllung kostet. Für mich besteht die Moral darin, dass alles, was du tust, einen Einfluss auf andere hat. Und: dass du nicht allein auf der Welt bist.“ Heißt doch einer der berührendsten Songs des Abends auch nicht umsonst „No One Is Alone“. 

Frühkindliche Prägung

„Ich habe als Kind Märchen geliebt“, erläutert Juliette Khalil, „obwohl die Grimm-Märchen etwas sehr Düsteres haben. Besonders gern mochte ich ‚Schneewittchen‘, weil ich die Zwerge so lustig fand.“ Drew Sarich kennt als Amerikaner Märchen vor allem in der geschönten Disney-Form. "Ich habe erst durch ‚Into the Woods‘ mitbekommen, dass man den Schwestern von Aschenputtel die Fersen und Zehen abgeschnitten hat, damit ihre Füße in den Schuh passen. Das war mir neu. Mir ist auch erst in Europa klar geworden, dass Arielle stirbt. Aber eigentlich finde ich cooler, dass nicht alles mit ‚I love you, Daddy‘ endet“, so der spät Erleuchtete schelmisch. „Grundsätzlich ist ‚Hänsel und Gretel‘ auch die absolute Horrorgeschichte“, ergänzt Juliette ­Khalil. „Es endet damit, dass eine alte Frau von zwei Teenagern, die zuvor bei ihr eingebrochen sind und ihr das Essen gestohlen haben, umgebracht wird.“ 

Für Drew Sarich sind die meisten Märchen vor allem frauenfeindlich. „Es gibt immer eine böse Hexe oder eine böse Stiefmutter. Und es geht hauptsächlich darum, dass ein Mädchen wahnsinnig schön ist und von einem Mann gerettet wird. Das ist schon irre.“ Vielleicht auch das ein Grund, warum er seinen beiden Kindern kaum Märchen vorgelesen hat, sondern Geschichten wie „Die Brüder Löwenherz“, jene wunderbare Erzählung von Astrid Lindgren rund um die Brüder Krümel und Jonathan Löwe. „Darin geht es um die Idee, dass es okay ist, Angst zu haben, dass man seiner Angst aber nicht nachgeben darf, sondern sie überwinden muss, um nicht als Häufchen Elend zurückzubleiben. Das finde ich schön.“ 

Juliette Khalil würde ihren Kindern sehr wohl Märchen vorlesen. „Ich bin eher der Bauchgefühlsmensch und verkopfe das Ganze nicht. Mich haben Märchen jedenfalls nicht verstört. Sie haben ja auch immer eine Moral: Erzähl keine Lügen. Sei ein guter Mensch. Böse zu sein bringt dich nicht weiter. Am Ende gewinnt immer das Gute. Deshalb sind Märchen für mich etwas Positives.

Juliette Khalil verleiht ihrem ­Rotkäppchen Mut und Stärke. Der böse Wolf ist nicht nur eine Bedrohung, sondern auch das interessante Objekt ­erster ­sexueller Erfahrungen.

Foto: Christian Anwander, Styling: Kleid Balenciaga

Goschertes Rotkäppchen – treuloser Prinz

Bei „Into the Woods“ haben die Stereotype jedenfalls Auftrittsverbot. Juliette Khalils Rotkäppchen ist „tough, mutig, goschert. Sie traut sich, in den Wald zu gehen und mit dem Wolf zu sprechen, findet ihn interessant.“ Mehr noch. „Sie macht mit ihm ihre erste sexuelle Erfahrung, wird dadurch erwachsen und stärker.“

Drew Sarich spielt sowohl den bösen Wolf als auch Aschenputtels Prinzen. Beides keine Sympathieträger. „Es ist sehr klug beschrieben, wie dämlich das Männerbild eigentlich ist. Prince Charming ist alles andere als charming, er wurde lediglich dazu erzogen, charming zu sein. Aufrichtig ist er auch nicht. Aber kann man es ihm verübeln? Trotzdem ist er kein Monster, er zwingt Aschenputtel ja auch nicht, bei ihm zu bleiben. Das ist richtig progressiv.“ Der Publikumsliebling schwärmt von der musikalischen Finesse des Stücks, von der Klarheit der Thematik, den vielen Identifikationsmöglichkeiten. 

Er durfte Stephen Sondheim Anfang der 2000er-­Jahre in New York persönlich kennenlernen. „Ich habe für ‚Into the Woods‘ vorgesungen und wurde gefragt, ob ich am Nachmittag zum Recall kommen könnte, Stephen sei da. Natürlich konnte ich! Allerdings musste ich dann ein paar Stunden warten, weil er in den falschen Zug gestiegen und nach Philadelphia gefahren ist.“ James Lapine war übrigens auch dabei. Eine wahnsinnig schöne Audition sei das gewesen, „auch wenn ich die Rolle damals nicht bekommen habe“.

„Vertrauen ist wichtig. Denn es werden Zeiten kommen, wo einer den anderen tragen muss. Das ist wie gemeinsames Fallschirmspringen.“

Foto: Christian Anwander, Styling: Juliette: Jacke Margiela, Top Marcano; Drew: Jacke Undercover

Covid beflügelt die Fantasie

Wegen der Pandemie weiß auch in der Volksoper niemand, wann genau „Into the Woods“ Premiere haben wird. Juliette Khalil und Drew Sarich proben mit dem Rest des Ensembles jedenfalls so, als bliebe es beim angepeilten 13. März. 

Welche Wünsche haben die beiden für die nähere Zukunft? „Glücklich sein, Spaß am Leben haben, hinter den Dingen stehen, die man tut. Und Gesundheit ist, so banal das klingt, das Wichtigste“, antwortet Juliette Khalil. „Natürlich will ich auch Gesundheit für die Welt“, so Drew Sarich. „Und ich will Menschen wieder umarmen können!“ 

Das Maskenmonster. Die Hustenfee. Der Impfwurm. Prinzessin Moderna."

Juliette Khalil und Drew Sarich entwerfen die Hauptfiguren eines Pandemie-Märchens

Wäre die Pandemie ein Märchen, wer müsste ihrer Meinung nach darin unbedingt vorkommen? „Das Maskenmonster“ (Juliette), „Die Hustenfee“ (Drew), „Der Impfwurm“ (Juliette), „Prinzessin Moderna“ (Drew). Letztere wäre wohl die Erlöserin, deren Serum die Welt vom bösen Corona befreit. Denn, so Juliette Khalil, „als Märchen müsste es gut enden. Und wir würden vermutlich eine Lehre daraus ziehen.“ Drew Sarich hätte auch schon einen Titel: „Das Fistbümpchen“.

Das Stück in fünf Sätzen:

Vier klassische Märchen – „Aschenputtel“, „Rotkäppchen“, „Hans und die Bohnenranke“ sowie „Rapunzel“ – werden miteinander verwoben. Als Rahmenhandlung dient die ­Geschichte eines Bäckerpaares, dessen Kinderwunsch von einer Hexe erfüllt werden kann. Alle Charaktere werden zunächst glücklich. In weiterer Folge geht es um die Konsequenzen, die sich aus den Wünschen der Protagonisten ergeben. Uraufführung 1987 in New York. 

Zu den Personen:

Juliette Khalil: In jungen Jahren ­Mitglied des Kinderchors der Wiener Staatsoper, studierte Juliette Khalil am Konservatorium der Stadt Wien. Sie ist seit 2015/16 an der Volksoper engagiert, man konnte sie u. a. in „Der Zauberer von Oz“, „Die Zauberflöte“ und „The Sound of Music“ erleben.

Drew Sarich: Von „Jesus Christ Superstar“ bis zu „Les Misérables“, von „Tanz der Vampire“ bis zu „Sister Act“, von „Rocky“ bis zu „Vivaldi“. Drew ­Sarich zählt zu den Stars der Musicalbranche, er spielte am New Yorker Broadway und am Londoner West End.

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