Dass Calle Fuhr in der vergangenen Spielzeit mehr Monologe als Dialoge geschrieben hat, lässt keinerlei Rückschlüsse auf Persönlichkeit und Arbeitsweise des gebürtigen Düsseldorfers zu. Ganz und gar nicht. Wie viel dem 26-Jährigen an Austausch und Dialog liegt, muss er eigentlich gar nicht betonen. Die Offenheit, mit der er von seiner Arbeit erzählt, spricht in diesem Fall eindeutig für sich. Trotzdem hebt er in Gesprächen gerne hervor, dass auch seine aktuellen Monologarbeiten Produkte unzähliger Gespräche sind. Das entspricht auch der Grundhaltung des Volkstheaters, wo Calle Fuhr seit der vergangenen Spielzeit Mitglied des Leitungsteams ist. „Künstlerischer Produktionsleiter Volkstheater in den Bezirken“ lautet die korrekte Jobbezeichnung.

Anzeige
Anzeige

Wichtig ist Calle Fuhr aber nicht nur der regelmäßige Dialog mit allen, die an den Produktionen beteiligt sind, sondern auch der Austausch mit der Stadt. Wenn es nach ihm geht, ist das sogar die Quintessenz des Volkstheaters in den Bezirken. „Wir touren mit unseren Stücken durch die Säle der Volkshochschulen, die immer schon Orte waren, an denen sich die Menschen, die um eine VHS herum leben, ausgetauscht haben. Dieser Tradition fühle ich mich verpflichtet.“ Seine Aufgabe sieht er deshalb nicht darin, Geschichten zu erzählen, die genauso gut in einem anderen Theater spielen könnten, sondern Produktionen zu erarbeiten, denen sich die Menschen, die in Wien leben, wirklich verbunden fühlen.

Mit Gerti Drassl an diesem Stück zu sitzen, war eine der schönsten Arbeiten, die ich je machen durfte."

Calle Fuhr

Voraufführung in Litschau

Sein Stück „Heldenplätze“, eine von der Schauspielerin Gerti Drassl gespielte Monologarbeit, hätte eigentlich schon in der vergangenen Saison durch die Bezirke touren sollen. Aus bekannten Gründen war das jedoch nicht möglich. Nun erlebt das Stück am 22. August beim Hin & Weg Theaterfestival in Litschau eine Voraufführung. Calle Fuhr ist, wie er fröhlich erzählt, „total vorfreudig“, wenn er an die Aufführung denkt. Diese Freude wurde schon während der Probenarbeit entfacht.

„Mit Gerti Drassl an diesem Stück zu sitzen, war eine der schönsten Arbeiten, die ich je machen durfte. Ihr beim Arbeiten beizuwohnen, war für mich ein großartiger Lernprozess. Ich bin sehr stolz darauf, was wir geschaffen haben“, erinnert sich der Regisseur und Theatermacher. Seit der Generalprobe im April hat sich Calle Fuhr ein paar Mal mit der Schauspielerin getroffen. „Um das Stück frisch zu halten“, merkt der Regisseur an. Textlich hat sich, wie er hinzufügt, nichts mehr verändert. „Aber es fühlt sich so an, als hätten wir ‚Heldenplätze‘ schon vier oder fünf Monate lang gespielt. Es hat sich auf eine ganz besondere Weise gesetzt. Das Stück ist mittlerweile so sehr in ihrem Körper, dass es sich total real anfühlt.“

Zusammenarbeit mit Dossier

Die Entstehungsgeschichte von „Heldenplätze“ hängt eng mit der Rechercheplattform Dossier zusammen. Calle Fuhr erinnert sich noch gut an die Anfänge: „Kay Voges, Mirjam Beck und ich saßen im Dezember 2019 in der Redaktion von Dossier und haben gemeinsam darüber nachgedacht, welcher Stoff für ein Theaterstück infrage käme. Sie haben uns erzählt, dass sie Anfang Jänner 2018 eine Recherche über Toni Sailer veröffentlicht haben, in der sie die Missbrauchsvorwürfe gegen ihn nochmals aufgerollt und dabei bemerkt haben, dass es Akten gibt, die auf eine Vertuschung des Falls hindeuten. Es gab damals einen enormen Shitstorm gegen Dossier, weil viele Menschen der Meinung waren, dass man die Toten in Frieden ruhen lassen sollte.“

Anzeige
Anzeige

Für Dossier, wie Calle Fuhr erklärt, kam dadurch ein spannender – und typisch österreichischer – Mechanismus zum Ausdruck, der sehr viel damit zu tun hat, dass man vergangene Ereignisse eher ungern aufarbeitet. „Ich wollte das hinterfragen, mir anschauen, ob es diesen Mechanismus überhaupt gibt“, sagt Fuhr und fügt abschließend hinzu: „Und mir ansehen, wie Erinnerung überhaupt funktioniert.“ In eine theatrale Form hat Calle Fuhr nicht die Recherche selbst gepackt, sondern den Versuch, einem solchen Ereignis zu begegnen. „Man muss die Recherche natürlich miterzählen, aber ich habe sie nicht dramatisiert, sondern einen fiktionalen Rahmen darum gebaut“, fasst er zusammen.

Wenn Monologe aus Dialogen entstehen

In Litschau waren in den vergangenen Tagen noch zwei weitere Arbeiten von Calle Fuhr zu sehen – die Monologe „All das Ungesagte“ und „Finale“. Bei dem von ihm konzipierten Stück „Finale“ steht Fuhr selbst auf der Bühne. Es ist eine Art Selbstexperiment geworden, sagt der Theatermacher. „Im Gegensatz zu ‚All das Ungesagte‘ und ‚Heldenplätze‘ geht es nicht um die Begegnung mit der Vergangenheit, sondern um die Zukunft. Ich versuche den großen Problemen unserer Zukunft so zu begegnen, dass man danach nicht verzweifelt im Sessel sitzt. Ich möchte Geschichten der Veränderung erzählen.“ All seine aktuellen Arbeiten verbindet, dass man vor diesen großen Themen nicht davonläuft, sondern die Konfrontation damit sucht.

Calle Fuhr war in diesem Sommer außerdem Dramatiker in Residence beim Waldviertler Theaterfestival. Die Zeit in Litschau hat er auch genützt, um an seinem Stück „Encore“ zu schreiben, das in der kommenden Spielzeit in der Dunkelkammer des Volkstheaters Premiere feiern wird. Doch zuerst steht „Heldenplätze“ am Programm – ein Stück, das, wie Calle Fuhr erklärt, den Weg vorgibt, den sich das Volkstheater für die Bezirke vorgenommen hat. Dass es sich dabei garantiert nicht um eine Einbahnstraße handeln wird, ist nach dem Gespräch mit Calle Fuhr ebenso klar wie die Tatsache, dass die besten Monologe aus Dialogen entstehen.

Calle Fuhr, der neue Chef des Volkstheaters, in den ­Bezirken im Video-Call. Foto: Philipp Schönauer

Zur Person: Calle Fuhr

Geboren in Düsseldorf, lernt der 1994 geborene Calle Fuhr durch Regieassistenzen in Düsseldorf, Salzburg, Prag und Wien. Seit 2015 ­inszeniert er in Wien, Berlin, Basel und Luxemburg. Fuhr schreibt eigene Texte und unterrichtet an der Hochschule Ernst Busch in Berlin.