Auch eine laute Stimme kann leise Töne
Talentiert, ambitioniert, qualifiziert. Hedwig Ritter zählt zu den jungen Stars der Volksoper. Auf der Bühne ein dynamischer Energiebooster, abseits davon eine sensible Analytikerin. Allein in dieser Spielzeit zu erleben in sieben Produktionen.
Martialischer Leumund. Ihr Vorname entstammt dem Althochdeutschen und bedeutet Kampf, Krieg, Schlacht. Ihr Nachname bezeichnet einen berittenen Krieger des europäischen Mittelalters. Der naheliegenden Vermutung, dass ihre Eltern ein Faible für Militarismus haben könnten, setzt Hedwig Ritter amüsiert noch eins drauf: „Mein zweiter Vorname ist Wilma, eine Abkürzung von Wilhelmine, Wille und Helm kombiniert. Mir ist es aber lieber, wenn man mich Hedi nennt.“ Das verwundert wenig. Wiewohl Identifikationspotenzial in ihrem vollen Namen steckt, denn das Kämpferische kann sie nicht verleugnen. „Über mich hat einmal jemand gesagt: ‚Sie weiß, was sie will und wie sie es bekommt.‘ Das stimmt. Wenn mir etwas wichtig ist, verfüge ich über unendliche Ressourcen, um mein Ziel zu erreichen.“
Und es war ein langer Weg von Markt Allhau im Südburgenland auf die Bühne der Volksoper. „Ich entstamme einer Musikantenfamilie“, erläutert Hedwig Ritter. „Mit sechs Jahren wollte ich Trompete spielen, mit zehn habe ich bereits im Vorbereitungslehrgang auf der Musikhochschule in Oberschützen studiert. Als ich vierzehn war, meinte eine Chorlehrerin, ich solle doch etwas mit meiner Stimme machen, weil ich Töne halten und laut sein konnte.“ Obwohl davon nicht sonderlich überzeugt, schaffte sie die Aufnahmeprüfung am Konservatorium in Eisenstadt. „Mein Erweckungserlebnis hatte ich aber erst zwei Jahre später, als ich im Fernsehen ‚Rigoletto‘ gesehen habe. Diana Damrau sang als Gilda ‚Caro nome‘ – und in dem Moment wusste ich, dass es für mich keine Alternative geben würde. Genau das wollte ich auch können.“
Nach der Matura nahm sie ein Freund mit zum Tag der offenen Tür an der Musik und Kunst Privatuniversität Wien, kurz MUK. „Dort habe ich vorgesungen, und man hat mir attestiert, eine Stimme zu haben. Ich hatte damals schon lange das starke Gefühl, singen zu müssen, um glücklich werden zu können. Egal was es kostet. Heute bin ich froh, dass es sich ausgezahlt hat, denn es wäre sehr schlimm für mich gewesen, wenn nichts daraus geworden wäre.“
Fettere Sachen
Trompete üben zu müssen, sei für sie ein Horror gewesen. Beim Gesang habe sie hingegen nicht einmal das Gefühl, einer bestimmten Disziplin ausgeliefert zu sein. „Singen fühlt sich gut an. Es ist eine Art von Selbsterfahrung, bei der man nicht lügen kann. Denn jede Blockade, jedes ungesunde Muster, das mich privat beschäftigt, zeigt sich sofort in meinem Singen. Mich damit zu beschäftigen und immer wieder Korrekturen vorzunehmen, finde ich spannend.“
Die Bühne selbst sei pure Energie. Eine gemeinsame Kraftanstrengung, bei der sich die gesamte Aufmerksamkeit aller Beteiligten in einem Moment kumuliere, um dann zu explodieren. Hedwig Ritter ist zwar ehrgeizig, hält Konkurrenzdenken allerdings für kontraproduktiv. „Wenn ich mein Ding mache und mich nur darauf konzentriere, entspreche ich mir selber mehr, was sich wiederum im Außen bemerkbar macht. Ich hatte Zeiten im Leben, in denen ich eher das machen wollte, was von mir erwartet wurde.“ Nach dem Opernstudio in Linz sang sie als erste Rolle die Königin der Nacht in Würzburg. „Weil ich dachte, das sei eine tolle Chance, die mir viele Jobs bringen würde. Dabei war es eine schlimme Zeit, weil mir diese Partie überhaupt nicht entsprochen hat. Daraus habe ich Lehren gezogen, heute gehe ich die Dinge anders an.“
Der leichte Koloratursopran, der sie ohnehin nie war, ist sie auch offiziell längst nicht mehr. Denn an der Volksoper, wo sie seit der Spielzeit 2022/23 fest engagiert ist, vollzog sich ihr Wechsel ins wesentlich dramatischere Fach. Dafür musste sie gesangstechnisch beinahe von vorne anfangen. Auch heute noch fährt sie einmal im Monat für ein paar Tage zu ihrer Lehrerin nach Dresden. An der Volksoper singt sie nun Rosalinde in „Die Fledermaus“. Jolanthe in „Jolanthe und der Nussknacker“. Gretel in „Hänsel und Gretel“. Oder, in ihren eigenen Worten: „Die fetteren Sachen.“
So ist es auch nicht verwunderlich, dass sie Elsa in „Lohengrin“ als Traumrolle nennt. „Mir wird öfter gesagt, dass ich laut sei, und da wäre es dann wohl passend.
Kein Klischee
Hedwig Ritter hält Verletzlichkeit für ein unabdingbares Kriterium ihres Berufs. Sie spricht oft davon, wie wichtig es sei, sich „nackt“ zu machen, um authentisch sein und das Publikum erreichen zu können. Aber benötigt man als Künstlerin nicht auch einen dicken Schutzmantel?
„Nicht mehr als im Alltag auch. So wie es einen privat verrückt machen würde, wenn man jeden Satz, der über einen gesagt wird, ernst nehmen müsste, ist es auch beruflich.“ Sie habe gelernt, Kritiken zu kontextualisieren und dadurch für sich einzuordnen. Wenn sie, wie vor kurzem bei einem Wettbewerb, von der Jury hört, ihr Gesang hätte in den Ohren wehgetan, treffe sie das deshalb, weil sie das Gefühl kenne, „zu viel zu sein“.
Dabei war einfach der Raum zu klein für jemanden, der es gewohnt ist, vor 1.200 Menschen zu singen – und dafür viele Dezibel mehr braucht. „Bei einem Stück hat man mir gesagt, ich hätte es gesungen wie eine wilde Katze. Das war auch negativ gemeint, aber so etwas nehme ich als Kompliment. Denn es passiert gerade ein Wandel im Opernsängerinnen-Business. Wir gehen heute weniger vom Klischee aus und wollen eher etwas Lebendiges.“ Chapeau. Wenn ihr eine Leistung nicht passe, rufe sie als Zuschauerin auch laut „Buh“. „Zuletzt allerdings beim Dirigenten, weil er die Sänger rücksichtslos überfahren hat.“ Und bei solchen Egotrips kennt sie keine Gnade. Denn das gemeinsame Musizieren ist ihr das Wichtigste. „Wenn etwas kollektiv zum Fliegen gebracht wird, kann ich emotional wochenlang davon zehren.“