Kein Ende in Sicht
99,9 Prozent Auslastung und täglich Standing Ovations: „Rock Me Amadeus“ und „Das Phantom der Oper“ brechen Musical-Rekorde und bestimmen auch die nächste Saison. Intendant Christian Struppeck zeigt sich hoch erfreut und erklärt, warum ihn die 0,1 Prozent Kapazitätsschwund trotzdem triggern.
Besser geht’s nicht. Während diese Maxime die Tatsachen in der gleichnamigen Filmkomödie mit Jack Nicholson und Helen Hunt hämisch verdreht, ist sie im Falle der VBW wörtlich zu verstehen.
Mehr als 250.000 Karten wurden bis zu Redaktionsschluss für „Rock Me Amadeus – Das Falco-Musical“ im Ronacher verkauft, rund 120.000 Tickets waren es in wenigen Monaten für Cameron Mackintoshs Neuproduktion des Welterfolgs „Das Phantom der Oper“, dessen deutschsprachige Erstaufführung am 15.März 2024 im Raimund Theater stattfand. Der Andrang auf den ikonischen Musicalklassiker war derart groß, dass der Juli – üblicherweise auch am Theater Urlaubszeit – als zusätzlicher Vorstellungsmonat eingeschoben werden musste. Ein Novum, das ausschließlich der starken Nachfrage geschuldet war.
Intendant Christian Struppeck ist demnach „in guter Stimmung“, wie er im Gespräch glaubhaft versichert. „Wir haben beschlossen, ‚Rock Me Amadeus‘ zu verlängern, weil es seit einem Jahr täglich ausverkauft ist. Das gilt auch für jene Karten, die eigentlich für die Intendanz reserviert sind, und das ist ein gutes Zeichen“, schmunzelt er. Ähnliches gelte auch für „Das Phantom der Oper“, das ohnehin auch für die kommende Saison Fixstarter gewesen sei. „Das Publikum liebt diese Stoffe, weil wir Geschichten erzählen, die ein emotionales Erlebnis bieten, eine Achterbahnfahrt zwischen Lachen und Weinen. Und ich denke, das ist, in Kombination mit hervorragender Musik, die Grundlage eines solchen Erfolgs. Denn wenn es uns gelingt zu berühren, werden wir weiterempfohlen, was für einen Long-Runner essenziell ist.“ Trotzdem müsse man große Anstrengungen unternehmen, täglich beide Häuser zu füllen. „Das ist eine eigene Wissenschaft, für die es in Marketing und Vertrieb ein erfahrenes Team gibt“, so Christian Struppeck.
Minimales Missfallen
Ein beträchtlicher Teil des Publikums sind Touristen – für viele von ihnen ist der Besuch im Ronacher oder Raimund Theater sogar der Hauptgrund für eine Reise nach Wien. Selbiges gilt auch für Besucher aus den Bundesländern.
Damit spülen die VBW – Stichwort Umwegrentabilität – jährlich erhebliche Summen in die städtische Wirtschaft.„Es ist unser Auftrag, zum kulturellen Leben beizutragen. Und das Musical ist dabei ein wichtiger Fixpunkt – eine Facette, die wir ausfüllen. Darauf darf man schon stolz sein.“ Eine Besucherkapazität nahe der hundert Prozent schafft neben dem Musical in Wien nur noch die Staatsoper. Christian Struppeck ist indes so ehrgeizig, dass er nicht umhinkommt, jene fehlen- den 0,1 Prozent auf die Vollauslastung als Manko zu empfinden. Wie bitte? Er lacht. „Ich bin tatsächlich etwas unrund, wenn eine einzige Karte übrig bleibt. Meist hat das technische Gründe, die mit dem Online-Ticketing zusammenhängen. Es nagt an mir, obwohl ich natürlich weiß, dass 99,9 Prozent verkaufte Karten etwas sind, wovon man eigentlich nur träumen kann.“
Bei „Rock Me Amadeus“ dürfte auch das Buch, für dessen Inhalt ebenfalls Christian Struppeck verantwortlich zeichnet, zum Erfolg beigetragen haben. Was hat ihn als Autor eigentlich so sicher sein lassen, dass das Stück aufgehen wird?
„Wir betreiben natürlich Marktforschung und sind immer am Ball, welche Themen gerade in der Luft liegen. Daher war uns per se schon bekannt, dass Falco die Menschen nach wie vor fasziniert und interessiert. Sein Leben war ja auch sehr schillernd. Die Herausforderung bestand vielmehr in der Darstellung. Denn wir wollten im Gegensatz zu anderen Umsetzungen, die revueartiger waren, stärker in die Realität eindringen und wirklich seine Story erzählen. Das ist in Wien, wo ihn so viele Leute kannten, noch einmal schwieriger, aber wir dachten, wenn uns das gelingt, könnte es etwas Besonderes werden. Sozusagen das ultimative Falco-Musical.“
Ein Plan, der aufging und den das Publikum täglich frenetisch honoriert. Sowohl „Rock Me Amadeus“ als auch „Das Phantom der Oper“ haben eine treue Fan-Base, die es sicherlich freuen wird, dass der Haupt-Cast beider Stücke in der kommenden Saison gleich bleibt. „Auch das ist nicht selbstverständlich und spricht dafür, dass wir als Arbeitgeber attraktiv sind. Es geht nicht immer ums Geld. Viele unserer Künstlerinnen und Künstler arbeiten einfach sehr gerne in Wien, was wir auch daran sehen, dass wir nach jedem Casting eine sehr hohe Quote an Zusagen haben.“
Qualifiziertes Quartett
Einer davon ist Moritz Mausser, Hauptdarsteller in „Rock Me Amadeus“. Ist ihm „seine“ Figur des Falco mit all ihren Höhen und Tiefen eigentlich sympathisch? „Als Figur wäre sympathisch allein langweilig, denn man möchte ja einen Menschen darstellen. Und zu ei- nem Menschen gehört eben auch, dass man mitunter missliebig sein kann. Ich finde ihn auch deshalb interessant, weil ihn seine Konflikte zu dem gemacht haben, was er war. Seine Kunst ist voller Wut auf diese Gesellschaft, auf das Wienerische. Er hat Österreich geliebt, aber nie patriotisch überhöht. Damit kann ich mich identifizieren, denn ich bin auch davon überzeugt, dass es kein fanatisches Level braucht.“
Katharina Gorgi spielt Isabella, Hans Hölzels einzige Ehefrau. „Ich war vier Jahre alt, als Falco starb. Ich kannte seine Musik, aber nicht sein Leben. Es ist Absicht, dass Isabella keinen Nachnamen hat. Christian Struppeck wollte nicht genau die Lebensgeschichte der beiden erzählen, sondern generell von Beziehungen, die Falco geführt hat – und wie schwer er sich dabei tat. Die Verbindung mit seiner Mutter, sein Hang zum Rotlicht. Dieser Glaube, dass alles käuflich sein muss, damit er es bekommt. Dieses Nicht-Schaffen einer stabilen Beziehung, sein Alkoholkonsum. Dann auf der anderen Seite diese überbordende Liebe. Das hat mich alles sehr beschäftigt, und es war gut, mit Menschen zu sprechen, die ihm nahe waren.“
In „Das Phantom der Oper“, dem zweiten VBW-Bestseller, spielt Anton Zetterholm die Titelrolle. Leicht hat er sich die Entscheidung nicht gemacht.
„Erst einmal spürt man Druck“, erklärt er, „und ich habe mich ernsthaft gefragt, ob ich der Richtige dafür sein könnte. Aber dann habe ich verstanden, dass man eine jünger besetzte, zeitgenössischere Version haben wollte, und fand, das könnte gut passen. Jetzt freue ich mich sehr, weil es eine Rolle ist, bei der man täglich Neues entdecken kann und mit der man nie ‚fertig‘ ist. Das ist, wenn man en suite spielt – was mitunter langweilig werden kann –, ein Segen.“
Das Objekt seiner Begierde, die Opernsängerin Christine Daaé, wird von Lisanne Clémence Veeneman verkörpert. „Christine ist eine ikonische Rolle, was einem natürlich Stress bereitet. Aber es ist auch meine Traumrolle. Ich habe ‚Phantom of the Opera‘ zum ersten Mal mit 15 Jahren gemeinsam mit meiner Großmutter in London gesehen und mich sofort in diesen Part verliebt. Die aktuelle Fassung geht noch viel mehr in die Tiefe und veranschaulicht die Motive der einzelnen Charaktere stärker, sodass sie greifbarer werden. Ich denke, das macht das Musical um einiges moderner, ohne das Original zu verleugnen.“
Was 2025/26 kommen wird, will Christian Struppeck noch nicht verraten. Stolz ist er abschließend darauf, dass es „Elisabeth“ in der halbszenischen Schönbrunn-Version im Sommer erstmals in Schanghai gab – in deutscher Sprache (!) – und es im Dezember auch eine Tournee in Deutschland geben wird.