Der Proberaum der Reichenauer Festspiele liegt etwas versteckt in einer Straße des 3. Bezirks in Wien. Von außen wirkt der Ort unscheinbar, fast könnte man daran vorbeigehen wie an einem gewöhnlichen Gebäude. Man würde nicht merken, dass hinter der unbeschilderten Tür für die Festspiele im Sommer geprobt wird.

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Genau dort treffen wir AntoN Widauer, den Hauptdarsteller des Stücks „Kapuzinergruft“. Er hätte noch nicht so viel Interviewerfahrung, verrät uns der 28-Jährige bescheiden zu Beginn, bevor wir uns setzen. Das macht nichts, versichern wir ihm. Am Ende des Gesprächs werden wir denken, dass sich der Schauspieler ziemlich gut geschlagen hat. Aber lesen Sie selbst …

Abschied der Monarchie

Zuerst noch zum Inhalt. „Die Kapuzinergruft“ ist das letzte erschienene Werk des österreichischen Schriftstellers Joseph Roth – ein Roman, in dem die alte Habsburgermonarchie zu Grabe getragen wird.

Und darum geht’s: Franz Ferdinand Trotta, ein Spross einer Adelsfamilie, steht 1914 plötzlich inmitten des Ersten Weltkriegs, in welchen er mit seinen Freunden einrückt. Als er vier Jahre später zurückkehrt, ist die Welt, wie Trotta sie kannte, nicht mehr die gleiche und seine Familie der Armut verfallen.

„Trotta ist keine Heldenfigur, aber auch kein Antiheld. Über sein Schicksal erlebt man die Welt, wie sie damals war und umgebrochen ist“, so AntoN Widauer auf die Frage, wie er die Hauptfigur beschreiben würde. Die Fassung des Stücks zum Roman „Kapuzinergruft“ wurde von Nicolaus Haag geschrieben. „Es werden Szenen und Situation geschaffen, die nicht alle explizit vorkommen, aber aus dem Interesse der Figuren total Sinn machen. Die Fassung hat das ganz gut zusammengebracht.“

Man weiß, man wird beobachtet, aber der Blick des Publikums ist nie das Raubtier, das dich zerreißen will, sondern ein wohlwollender Blick von außen.

AntoN Widauer, Schauspieler
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Das Werkzeug Reinhardt-Seminar

„In meiner Schulzeit habe ich gedacht, dass ich gerne Filmregie machen würde.“ Da stand Widauer schon bereits auf verschiedenen Bühnen. „Schauspiel wollte ich auch nicht missen, also habe ich mir gedacht, dass ich Regie später noch machen kann. Der Übergang von Regie zu Schauspiel könnte vielleicht komplizierter sein. Also hab ich das dann so durchgezogen.“ Mit Erfolg. Plan B gab es keinen. Widauer lacht kurz. „Ja, ich bin relativ zäh.“

Schule, Zivildienst, dazwischen zahlreiche Projekte. Dann das Schauspielstudium. Studiert hat Widauer am berühmten Max Reinhardt Seminar. Ein Jahr setzte der Schauspieler sein Studium sogar aus – weil er gleichzeitig 5 Produktionen am Laufen hatte. „Das Seminar war ein super Werkzeug, und ich habe mir da die Sachen genommen, die mir helfen. Zusätzlich habe ich auch während des Studiums viele Stücke an anderen Häusern gespielt und dadurch viel in der Praxis gelernt.“

Und die Liste der Häuser kann sich sehen lassen: Schauspielhaus, Volkstheater, Vestibül im Burgtheater, Landestheater Niederösterreich – nur um ein paar zu nennen. Auch für Filmprojekte stand Widauer schon vor der Kamera.

Noch kurz zum Reinhardt-Seminar. Wie hart das Konkurrenzdenken dort ist? Das sieht der Wiener gelassen. „Das ist etwas, was ich schon immer gedacht habe – Konkurrenzdenken in der Kunst macht überhaupt keinen Sinn. Das ist eben das Spannende bei Umbesetzungen. Es wird nicht so sein wie davor, das geht nicht. Deshalb ist es ja Kunst.“

KollekTief sperrt sich ein

Da ist viel los in AntoN Widauers Terminkalender. Auch mit seiner Theatergruppe– mit dem klingenden Namen „kollekTief“, das 2012 gegründet wurde – ist der Schauspieler vielerorts aktiv. Sogar während der Pandemie. Passend zum Zeitgeschehen hieß die damalige Inszenierung „BITTE NICHT BERÜHREN“ und wurde am Hin und Weg-Theaterfestival im Sommer 2020 durchgeführt. Ein Projekt, das auch medial Aufmerksamkeit erregte. Immerhin verbrachte das Kollektiv 336 Stunden, also 14 Tage, auf je zwölf Quadratmeter.

Isoliert in Glasboxen, aber sichtbar für die Außenwelt, hat sich AntoN Widauer mit vier weiteren Schauspieler*innen – Felix Kammerer, Anna Marboe, Alina Schaller und Tilman Tuppy, gemeinsam mit Amelie Wimmer – in Künstler*innenquarantäne begeben. Jeden Tag wurden von der Gruppe Performances entwickelt, die am Abend aufgeführt wurden. Die Probenzeit dafür war somit begrenzt, der Anspruch auf Perfektion stand also weniger im Fokus, so der Schauspieler. Am Ende der freiwilligen Quarantäne gab es eine finale Perfomance auf der Bühne.

„Eine schöne Erfahrung“, findet Widauer und denkt gerne an das Projekt zurück, das von den zahlreichen Zuschauern, die täglich durch die Glasscheiben schauten, mit großem Interesse verfolgt wurde. „Irgendwann verliert man den Druck des ‚Ich-muss-jetzt-performen‘. Dann ist man nur mehr noch. Man weiß, man wird beobachtet, aber der Blick des Publikums ist nie das Raubtier, das dich zerreißen will, sondern ein wohlwollender Blick von außen.“

In alle Richtungen

Ein Ratschlag, dem er seinen jüngeren Ich geben würde? AntoN Widauer macht eine Pause, eine längere. Man merkt, er ist bedacht darauf, was er sagt. „Vertrauen“, kommt es schließlich von ihm. „Vertrauen haben in die Welt, auf das, was kommt. Passend zu unserem Stück – die Welt verändert sich. Ob es gut ist oder nicht, wird man dann sehen, aber ich bin ein großer Verfechter davon, dass es gut ist, dass Dinge sich verändern.“ Genau wie seine zukünftige Karrierelaufbahn. Diese lässt AntoN Widauer offen. „Es darf in alle Richtungen wachsen.“

Die Frage nach dem Warum

Und auch bei den Schlussworten findet er gute. „Ich würde die Vorschläge an die Gesellschaft – wie sie sein darf, sollte, könnte – auch bringen, wenn ich nicht Schauspiel machen würde. Man fragt sich ja immer, warum man das alles hier macht. Wir bringen Anregungen, wie die Welt aussehen kann und wie sie nie aussehen darf. Das ist mir wichtig, das ist für mich der Motor, warum ich Schauspiel mache. Ich mache es nicht für mich. Ich mache es für das Publikum, damit es im besten Fall etwas mitnimmt.“ Dem kann man nichts mehr hinzufügen.

Zur Person: AntoN Widauer

wurde 1995 in Wien geboren und studierte Schauspiel am Max Reinhardt Seminar. Er stand bereits mit vielen Produktionen auf der Bühne, u. a. im Landestheater Niederösterreich, Schauspielhaus Wien und im Volkstheater. Heuer steht er bei den Reichenauer Festspielen in Joseph Roths „Kapuzinergruft“ als Hauptrolle auf der Bühne.