Angelika Hager: Nach Salzburg „gehen“
Kunst als Catwalk der ersten und erstbesten Gesellschaft: Es ist Festspielsaison, und alle sind schon sehr aufgeregt.
Die „Jedermann“-Premiere war bereits in den ersten Minuten der Ticket-Freischaltung dreifach überbucht. Hier geht es natürlich wie immer mehr um das Event als um die Kunst, die in Salzburg wie auch im Wagner-Fort-Knox Bayreuth sowieso in der zweiten Reihe sitzt. Catwalk rules. Wenn Philipp Hochmair am 20. Juli erstmals mit verlässlicher Berserker-Verve über den Domplatz fegt, wird sich über Salzburg endlich wieder jene Hochspannungs-Atmosphäre verdichten, die man mit einem EM-Match der Kulturschickeria gleichsetzen könnte. Ob der Bühnen-Monomane Hochmair, der als seine Berufsbezeichnung „Spezialist für Energieexport“ angibt, sein Ensemble mit- und überleben lässt, bleibt spannend.
Über das Hofmannsthal’sche Leben-und-Sterben-Spiel eines narzisstischen Turbokapitalisten schrieb Karl Kraus nach der Salzburg-Premiere im August 1920, dass das Stück ein „aberwitziger Dreck“ sei, der allein der Kasse förderlich ist: „Ehre sei Gott in der Höhe der Preise.“ Armer Max Reinhardt! Hatte er doch die Festspiele eigentlich als volksnahe Veranstaltung angedacht, wo der Geist herrschen möge, dass „das Theater nicht entbehrlicher Luxus für die oberen Zehntausend, sondern ein unentbehrliches Lebensmittel für die Allgemeinheit ist“. Vielleicht kann da in Salzburg die KPÖ in der Stadtregierung ein wenig helfen.
In jedem Fall: Man „geht“ im Sommer nach Salzburg, fahren wäre nahezu ordinär. In dieser Nuancierung lässt sich ein ganzes soziologisches Panoptikum festmachen: Altes Geld geht nach Salzburg; neues „jettet“ an die Salzach. Festspielbesuche gehören für die erste und erstbeste High Society zum Lifestyle-Alphabet wie ein Zweitwohnsitz im Salzkammergut, ein mit Erdspritzern (als Latifundiennachweis) übersäter Land Rover und Kinder, die um viel Geld in britischen Internaten überschaubar gebildet worden sind. Neue „Marie“ ist schnell am Dress-Style der Damen zu erkennen, die manchmal in absurden Fantasy-Dirndln (die Gexi Tostmann die Schweißperlen auf die Stirn treiben würden) durch die Getreidegasse paradieren oder in sehr lauten Roben, behängt wie der Weihnachtsbaum auf der Rockefeller Plaza, ins Festspielhaus trippeln.
Einmal wieder Prinzessin sein
Cecilia Bartoli und John Malkovich treten im Juli gemeinsam in der Wiener Staatsoper auf. In einem Stück zu Ehren der Countertenor-Legende Farinelli. Duett inklusive. Wir waren bei den Proben in Monte Carlo mit dabei. Weiterlesen...
Königin solcher Geschmacksschieflagen ist Anna Netrebko, die im Clanpulk mit verzaubernder Lebenslust ihrem Outfit-Motto „Dezenz ist Schwäche“ mehr als gerecht wird. Kürzlich auf einer Cocktailparty: Ein ehemaliger SPÖ-Player klagt lauthals darüber, dass er überraschenderweise doch Bayreuth-Karten bekommen habe, „die sich jetzt depperterweise mit unseren Salzburg-Terminen überschneiden“. Ein „Herzliche Gratulation zu Ihren Sorgen“ musste da sein. Allerdings ist es doch durchaus zu begrüßen, dass sich der frühere Toskana-Sozialismus zu einem Kunstbeflissenheits-Eifer unter Aufsteiger*innen wandelte.
Der Philosoph Konrad Paul Liessmann, einst Festredner in Salzburg, erklärte mir in einem Interview: „Besser sich mit Wagner als mit Alkohol zudröhnen.“ Und ließ bei der Gelegenheit auch eine Rüge los: „Ich kann mit dieser kleinbürgerlichen Dünkelhaftigkeit wenig anfangen, mit der eine selbst ernannte Bildungsschicht den Geldadel pauschal als ignorant aburteilt – nach dem Motto: ‚Wir sind zwar arm, aber dafür verstehen wir was von Kunst.‘ Wir verdanken die größten Kunstwerke des Abendlandes unsympathischen Potentaten und eitlen Emporkömmlingen.“ Da hat er leider recht.