Wahrscheinlich war ein politisch hochtouriger Veränderungs-Berserker wie der Schweizer Milo Rau noch nie so notwendig wie jetzt. Der Mann hat die Festwochen, die schon zu einem etwas altbackenen Ja-eh-Pseudo-Avantgarde-Spektakel geraten waren, wieder auf die Da-muss-man-hin- Landkarte gesetzt.

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Denn ganz ehrlich: Wer hatte nach Büroschluss schon die Kraft für so was wie einen fünfstündigen „Onkel Wanja“ in lettischer Sprache mit Kabuki- Einflüssen?

Jetzt hat Rau Elfriede Jelinek nach vierzig Jahren Aufführungsverbot das Skandalstück „Burgtheater“ abgeluchst, und auf der Website der Festwochen kann man nachsehen, mit welcher modernen Nervosität er das Stück stemmt. Am 18. Mai wird die Premieren-Koproduktion mit dem Burgtheater zum Catwalk der Kulturettis und Hipsterianer werden.

Auf der Website ist das Modell der Drehbühne zu begutachten, Livekameras flankieren die analogen Szenen, eine Onlinebegleitung des Probenprozesses, der auch ein offenes Gefäß für neue Jelinek-Texte darstellt, gibt es bereits jetzt zu sehen. So geht Theater. Besser kann das Stück natürlich nicht besetzt sein als mit Birgit Minichmayr, Caroline Peters und Mavie Hörbiger, die sich todesmutig in den Abgrund ihres Familienzweigs wirft.

Und plötzlich werden jene Zeiten, vor exakt dreißig Jahren, die man eigentlich unter gespenstischer Nostalgie abgelegt hatte, wieder lebendig: nämlich als in der Ära Jörg Haider FPÖ-Plakate in der ganzen Stadt mit der Aufschrift „Lieben Sie Scholten, Jelinek, Häupl, Peymann, Pasterk – oder Kunst und Kultur?“ gepflastert waren. (Rudolf Scholten war damals u.a. Kunstminister; Ursula Pasterk Wiener Kulturstadträtin; Anm.)

Den Kulturbegriff der FPÖ hatte Rau bereits lange vor dem Wahlausgang im Herbst exakt so ausgeschildert: „...eine nationale Kultur aus Schlager-Pop, Hass auf alles Fremde, debilem Kanon, Gaudi und mörderischer Gemütlichkeit.“ Er beinhaltete alles, was vom „Spinnennetz der Linken“ (so eine frühere FPÖ-Kultursprecherin) als modern und liberal eingestuft wird.

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Als Theaterwissenschaftsstudentin der frühen 1980er-Jahre kann ich mich noch genau erinnern, als der Filmhistoriker Walter Fritz uns den Film „Heimkehr“ in der Regie von Gustav Ucicky vorspielte (was bis dahin wegen Wiederbetätigung verboten war) – jenen Propagandafilm, in dem Paula Wessely als eine von den Polen verfolgte Deutsche in der Gefängnisszene radikal antisemitische Parolen deklamierte.

„Das Schreckliche war“, wird ihre erstgeborene Tochter Elisabeth Orth, neben ihrer Schauspielkunst eine Rebellin gegen jede Art von Verdrängung, später in einem Interview sagen,„dass sie dabei auch noch so gut war. Als ich den Film das erste Mal gesehen habe, habe ich erst einmal einen Schnaps gebraucht.“

Die Wessely, die „Botin höherer Mächte“, wie André Heller sie einmal bezeichnete, war nicht nur in ihrer Schauspielkunst, sondern auch in ihrer Form des Mitläufertums eine zutiefst österreichische Figur:

Sie weigerte sich mit ihrem Mann Attila Hörbiger, trotz wiederholtem Insistieren seitens Goebbels’, „ganz ins Reich zu kommen“; sie versuchte persönlich, für Walter Reisch („Für Paula Wessely ihr Jude Reisch abgelehnt“, notierte Goebbels) zu intervenieren.

Reisch war jener Drehbuchautor, der ihr mit „Maskerade“ zum Durchbruch verholfen hatte. Das Paar Wessely/Hörbiger übernahm von der jüdischen Künstlerfamilie Kalbeck die arisierte Villa und retournierte sie nach dem Krieg. Da gab es härtere Kaliber, die ihre Kollegen verpfiffen, sich an ihrem Leid bereicherten und den Konzentrationslagern oder den Gestapo-Torturen auslieferten. Nur waren die weniger begabt als die Wessely und deswegen literarisch weniger brauchbar.