Alles glänzt so schön neu
Der Herbst brachte viel frischen Wind in die Stadt. Auch im übertragenen Sinn, denn gleich drei der Wiener Mittelbühnen haben sich unter ihren neuen Leitungen neu aufgestellt, um fortan die Theaterszene ordentlich aufzuwirbeln.
Entgegen der zugegeben etwas überstrapazierten Redewendung ist im Theaterkontext nicht der Mai, sondern der September jener Monat, der alles neu macht. In diesem Theaterherbst traf das in besonderer Weise zu, denn drei der Wiener Mittelbühnen starteten mit neuer Leitung in die Saison 2023/24. So sind am Wiener Schauspielhaus gerade die ersten Früchte der aus Marie Bues, Martina Grohmann, Tobias Herzberg und Mazlum Nergiz bestehenden Viererleitung auf der Bühne zu bewundern. Die am Theater Frank Castorfs geschulte Theatermacherin Anna Horn machte im September die Türen des Kinder- und Jugendtheaterhauses Dschungel weit auf, um noch mehr frischen Wind hineinzulassen. Und auch im Theater am Werk, deren neue künstlerische Leiterin Esther Holland-Merten dafür sorgte, dass Ewald Palmetshofer endlich wieder in Wien gespielt wird, konnte man bereits zeigen, in welche Richtung man künftig mit den beiden Spielstätten steuern möchte.
„Das Theatergeschehen einer Stadt wird genauso von kleinen und Mittelbühnen geprägt wie von den großen Häusern. Sie sind kulturelle und künstlerische Taktgeber einer Stadt, greifen aktuellste gesellschaftliche Umbrüche und Themen auf und dienen als Schaufenster für die kreativen Höchstleistungen der freien Theaterszene“, hält Andrea Mayer, Staatssekretärin für Kunst und Kultur, in ihrem Glückwunschschreiben für die neue Leitung des Theaters am Werk fest.
Korrektur: Natürlich ist es nicht der September, der alles neu macht, sondern die unbändige Theaterliebe der neuen Leitungsteams. Passend dazu lautet der Untertitel des Eröffnungsstücks des Schauspielhauses: „Liebe ich es nicht mehr oder liebe ich es zu sehr?“ Gemeint ist natürlich das Theater selbst. Im Zweifelsfall: lieber Letzteres.
Schauspielhaus: Tummelplatz der Ausdrucksformen
„Ein Tummelplatz der Stadtgesellschaft, der vielfältigen Geschichten eine Bühne bietet“ möchte das Schauspielhaus Wien auch unter der neuen, vierköpfigen Leitung sein. Gegründet ist dieses Vorhaben unter anderem auf einem großen Interesse am Partikularen – am Spezifischen und Besonderen –, um aufzuzeigen, dass Unterschieden auch etwas Verbindendes innewohnen kann. Zudem orientiert man sich an George Taboris Idee des Theaterlabors. Für Bues, Grohmann, Herzberg und Nergiz bedeutet das: „Viele verschiedene Versuche machen, permanent unwissend sein, künstlerisches Handeln hinterfragen und weiterentwickeln, scheinbar Festes verflüssigen, viele Perspektiven einbinden, einsehen, zuhören, hinschauen. Und, wie bei Tabori, Selbsterforschung.“
Künstlerisch startete das neue Leitungsteam mit der Fragestellung „Liebe ich es nicht mehr oder liebe ich es zu sehr?“ in die neue Spielzeit. Die Frage ist Teil des Titels des vielfach ausgezeichneten Stücks „Bühnenbeschimpfung“ von Sivan Ben Yishai, das die Strukturen des Theaterbetriebs kritisiert, gleichzeitig aber auch als große Liebeserklärung an das Theater verstanden werden kann. Zu den weiteren Premieren gehören unter anderem Magdalena Schrefels Stück „Die vielen Stimmen meines Bruders“, Enis Macis „Wunder“, das als spanisch-österreichische Koproduktion zur Aufführung kommt, und „Der Verein“, ein Stück des ehemaligen Ensemblemitglieds Steffen Link. Insgesamt hat sich das neue Leitungsteam für die Spielzeit 2023/24 sieben Produktionen vorgenommen. Auch das Ensemble wurde neu zusammengestellt und besteht nun aus neun Spieler*innen, die sich dem Publikum im Laufe der Spielzeit in intimen Soloabenden vorstellen werden.
Schauspielhaus Wien: Versteht sich nach wie vor als Theaterhaus, das Texten zeitgenössischer Autor*innen eine Bühne bieten möchte. schauspielhaus.at
Dschungel Wien: Ein frischer Wind
Auch im Dschungel, dem im Wiener Museumsquartier beheimateten Theaterhaus für junges Publikum, ist seit dieser Spielzeit ein frischer Wind zu spüren. Er weht aus der Vergangenheit herein, nimmt dabei neue Strömungen auf und verwirbelt sich im Inneren des Theaters zu einem mitreißenden Luftstrom. Im Auge dieses Wirbelsturms: Anna Horn, die neue künstlerische Leiterin des Dschungel Wien. Sie möchte auf Bekanntes und Bewährtes aufbauen, aber auch ganz neue Impulse setzen. So wird es ab dieser Spielzeit unter anderem eine digitale Bühne geben, die sich jedoch immer wieder mit dem physischen Theaterraum verbindet.
Horn, die ihre ersten Theatererfahrungen an der Volksbühne machte, danach in Köln und München im Kinder- und Jugendtheater arbeitete, ist es wichtig, den Dschungel als Ort des gemeinsamen Gestaltens zu positionieren – und dabei ein Programm zu erarbeiten, das die Vielfalt der Stadtbevölkerung repräsentiert. Neben Eigenproduktionen, wie beispielsweise dem von Mira Stadler inszenierten Weihnachtsstück, wird es auch viele Koproduktionen und Gastspiele – auch aus den Bereichen Tanz und Performance geben. „Ich mag Vielfalt und ungewöhnliche Formen im Theater. Ich mag es auch, wenn ich in einer Vorstellung sitze und nicht alles verstehe. Das Tolle an Theater ist, dass nicht jedes Bild sofort von mir dechiffriert werden muss, sondern dass dahinter eine Welt liegt, die ich gar nicht kenne“, so Anna Horn. Zurück zur am Beginn des Textes etablierten Metapher: Die gefeierte Eröffnungsproduktion „Wind“ von makemake produktionen ist ab April wieder im Dschungel zu sehen. In der Zwischenzeit: einfach vom Programm mitreißen lassen.
Dschungel Wien: Seit 2004 konzentriert man sich hier auf Theater für junges Publikum und reagiert auf die sich ständig verändernde Stadtgesellschaft. dschungelwien.at
Theater am Werk: Zwei Bühnen, ein Theaterherz
„Zwei Bühnen wohnen, ach! in meiner Brust“ könnte man, angelehnt an Goethes „Faust“ und mit einer wohl etwas übertriebenen Portion Pathos, über das von Esther Holland-Merten und ihrem Team frisch übernommene Theater am Werk sagen. Neu ist nämlich unter anderem, dass die programmatische Trennung zwischen den beiden Spielstätten – jener im Kabelwerk und jener am Petersplatz – aufgehoben wurde. Außerdem werden mit Beginn der neuen Intendanz auch am Petersplatz Eigenproduktionen zu sehen sein und im etwas größeren Kabelwerk auch Koproduktionen gezeigt.
„Die zunehmende Professionalisierung der freien Sprechtheaterszene Wiens hat dazu geführt, dass Kollektive und Produktionen größer werden, dass die Themen größer werden, dass die Inszenierungen größer werden. Dem wird Rechnung getragen, indem auch die Säle des Kabelwerks diesen Koproduktionen zur Verfügung stehen, was im besten Fall auch eine neue Verschränkung des Publikums stiftet“, heißt es vonseiten der neuen Leitung.
Am Petersplatz wurde die aktuelle Spielzeit mit der Produktion „Romeo <3 Julia“ von Cosmea Spelleken eröffnet, der mit „werther.live“ ein Pandemie-Hit gelang. Im Kabelwerk entschied man sich für die österreichische Erstaufführung des Stücks „Die Verlorenen“ von Ewald Palmetshofer. Mit „Im Menschen muss alles herrlich sein“ von Sasha Marianna Salzmann (Februar 2024) und „Blutbuch“ von Kim de l’Horizon, inszeniert von Paul Spittler (April 2024), wird es außerdem zwei weitere Eigenproduktionen geben. Das Theater am Werk wird zudem zur neuen Heimat des PCCC* – Vienna’s First Queer Comedy Club. Auch Stücke des aktionstheater ensembles stehen wieder auf dem Spielplan.
Theater am Werk: Ist sowohl in Meidling als auch in der inneren Stadt beheimatet. An beiden Spielorten werden Eigen- und Koproduktionen gezeigt. theater-am-werk.at