Dank Instagram wissen wir, dass Madonna ihre Haare rosa gefärbt hat. Für ihre Socken hat sie den gleichen Farbton gewählt. Sie streckt ihre Füße in die Höhe, auf der linken Sohle steht „If you can read this“, auf der rechten „bring me some wine“. Diese Selbstpräsentation würde besser zu irgendeiner Ashley Smith aus Suburbia passen, die in Detroit ein auf Sternzeichen­ornamente spezialisiertes Nagelstudio betreibt, und nicht zu der erfolgreichsten Frau des Pop-Biz im 20. Jahrhundert. Das ist das Paradoxe an Instagram: In einer Zeit, in der sich die Ashley Smiths mit entsprechender Penetranz zu einem Star-Dasein hochmalo­chen können, spielen die echten Stars immer mehr Misses Smith.

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Anna Netrebko lädt in ihr Wohnzimmer ein

Anna Netrebko ist noch immer die unangefochtene Super-Sopranistin des Opern-­Universums. Das hält sie nicht davon ab, die Menschheit durch ihre Wohnzimmer spazieren zu lassen. Wir erfahren auch, dass sie ihre „Traviata“ in Paris wegen Erkältung absagen musste. Wie tröstlich, dass in ihrer Küche, daheim am Wiener Franziskanerplatz, in einem riesigen Tontopf ein aserbaidschanisches Genesungsgericht schmort. #Theloveofmylife, vulgo Gatte Yusif Eyvazov, zauberte Lamm und Kohlgemüse zu einem Old-eastern-Aspirin. Es ist herrlich, den Netrebkos zu folgen. Es vermittelt den Eindruck, in einer Art Big-Brother-Contai­ner bodenständigen Glamours zu sitzen. 

Wir sind nun einmal öffentliche Personen. Dennoch versuchen wir, ein quasi normales Leben zu führen, was ich für sehr wichtig ­halte. Ich habe nichts zu verbergen.

Anna Netrebko

Auf meine Frage, warum sie ihre Privatsphäre so offenlegt, antwortete die Netrebko bei mir im „profil“-Interview: „Wir sind nun einmal öffentliche Personen. Dennoch versuchen wir, ein quasi normales Leben zu führen, was ich für sehr wichtig ­halte. Ich habe nichts zu verbergen.“

Dass Stars vom Kaliber einer Netrebko, wo immer sie erscheinen, einen Rattenschwanz an Paparazzi und inzwischen auch Selfie-Narren nach sich ziehen, gilt als Naturgesetz. Eine ganze Industrie lebt seit der Geburt der Tabloids davon, dass die Intimsphären Prominenter durchlüftet werden.

Die Leiden der Maria Callas

Denken wir an Maria Callas mit all den Liebestragödien, den Abmagerungskuren, den Ängsten, die Stimme zu verlieren – wie gern hat man mit ihr gelitten! Neu ist, dass sich Künstler von Weltruhm auf „instant ­telegram“ ungeschminktem Exhibitionismus­ hingeben. Die Netrebko erweist sich auch dabei als Ausnahmekünstlerin. Sie ­bespielt ihren Hofstaat überbordend wie ein Teenager, der einen Lottosechser gewonnen hat und der Welt signalisiert: „Hey, Leute, das Leben kann so herrlich bunt sein!“

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Und unbehandelte Authentizität scheint in der Dekade der millionenfachen Selbstinszenierung der Rohstoff zu sein, durch den sich Superstars vom Mainstream abheben wollen. Dass junge Schauspielerinnen wie Stefanie Reinsperger mit ihren Dutt-Pics und Alma Hasun Insta als Plattform benutzen, ist in dieser Altersgruppe Alltag und ein Tool, um eine Community aufzubauen.

Parfum der Selbstironie

Im Fall der betagten Jane Fonda sind diese Auftritte durchaus auch vom Parfum der Selbstironie getränkt, was unter Insta-Junkies (jetzt einmal von ­Celeste Barber abgesehen) Seltenheitswert hat. Am Morgen nach einer Gala präsentierte sie sich ohne Make-up in ihrer Küche in der schwarzen Spitzenrobe des Vorabends: „Hier bin ich am nächsten Morgen. Ich konnte den Zippverschluss meines Kleides nicht öffnen, deswegen habe ich darin geschlafen. Ich wollte nie einen Ehemann in meinem Leben – bis jetzt.“

Das Kalkül hinter der Botschaft: Die Hollywood-­Diva will ihrer Fangemeinde mitteilen: „Hey, Leute, vergesst all den Glamour, das ist doch nichts als Fassade. In Wahrheit bin ich eine von euch.“ Eigentlich sehr sympathisch. Und von einer gewissen Psycho­hygiene für uns Normalos. Man fühlt sich dann nicht mehr gar so langweilig.

Zur Person: Angelika Hager

Sie leitet das Gesell­schafts­ressort beim Nachrichtenmagazin „profil“. Sie ist die Frau ­hinter dem Kolumnen-­Pseudo­nym Polly Adler im ­„Kurier“. Hager gestaltet das Theaterfestival Schwimmender Salon im Thermalbad Vöslau (Niederösterreich). 

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