Wie lebt man, ohne Blödsinn zu machen?
Das fragen sich die Schauspielenden Katharina Stadtmann und Jonas Graber im Balanceakt zwischen Erwachsen werden und Spielerisch bleiben so wie jenem zwischen Arm und Reich. Wir haben die beiden zwischen den Proben für „Pünktchen und Anton“ getroffen.
Die Zahlen sind hoch, und die Schere geht weiter auf: 200.000 Menschen in Österreich leben in Armut. 1,56 Millionen Menschen gelten als armutsgefährdet, darunter 353.000 Kinder und Jugendliche. Jedes fünfte Kind hierzulande ist also armutsgefährdet. Zu diesen würde auch Anton gehören.
Anton ist fiktiv, die Realität ist es nicht. Keine leichte Thematik also, auf die das Theater der Jugend in Form der Kästner-Geschichte zugeht. Wir haben Katharina Stadtmann und Jonas Graber zum Interview getroffen. Die beiden werden ab Februar als Titelhelden des Kinderromans „Pünktchen und Anton“ auf der Bühne stehen.
Berührungspunkte mit Erich Kästner gab es für die beiden Schauspielenden schon in ihrer Kindheit. Neben „Pünktchen und Anton“ fallen Titel wie „Emil und die Detektive“ und „Das doppelte Lottchen“. Egal ob mit Büchern, Hörbüchern oder Filmen – Kästner wurde konsumiert und geliebt.
Große Themen für kleine Menschen
Und darum geht’s: Luise Pogge, Pünktchen genannt, ist die Tochter von Eltern – wohlhabendes Bildungsbürgertum –, die ständig arbeiten. Und so ist sie meist mit dem Kindermädchen Fräulein Andacht allein.
Dann lernt Pünktchen Anton Gast kennen, dessen Lebensrealität der ihrigen nicht ferner sein könnte. Zu Hause muss dieser auf seine kranke Mutter aufpassen. Geld hat seine Familie keines, dafür viel Platz für Liebe und Zuneigung.
Um sich über Wasser zu halten, geht Anton betteln. „Sie entdecken beide neue Welten und schenken sich die Aufmerksamkeit, die sie brauchen“, so Nicole Claudia Weber. Und: Kinder müssten große Themen sehen. „Das ist ja auch das Schöne: Im Theater trifft sich alles.“
Kästner würde es heute anders schreiben
Nicole Claudia Weber ist die Regisseurin hinter dem Kästner-Stück, das sie mehrere Male bearbeitet hat. Die finale Version feiert am 15. Februar 2024 Premiere im Renaissancetheater. An der Geschichte nimmt Weber ein paar Änderungen vor, unter anderem siedelt sie die Handlung in der Gegenwart an, Social Media mit eingeschlossen. „Ich glaube, dass Kästner die Geschichte heute anders schreiben würde. Er hat sie in den 1930er-Jahren geschrieben, natürlich hat sich seither einiges verändert“, so die Regisseurin.
„Die gesellschaftlichen, nicht die zwischenmenschlichen Beziehungen für beide Geschlechter haben sich anders entwickelt. Zum Beispiel: Ein Eheversprechen allein würde die Kinder heutzutage nicht als wirtschaftliches Manipulationsinstrument für das Kindermädchen wahrnehmen.“
Ob Weber in ihrer Version die klassischen Rollenbilder ein wenig aufbrechen wird? „Ein bisschen. Ich will jetzt nicht alles umändern, ich will keine Utopie abbilden. Aber zumindest will ich es an die heutige Zeit anpassen, und natürlich soll es weiterhin eine Hommage an das Lesebuch bleiben.“
Wie man Erich Kästner am besten für die Bühne inszeniert? Nicole Claudia Weber überlegt kurz. „Ich gehe auf alle Autor*innen mit einer großen Wertschätzung zu. Wichtig ist vor allem ein großer Zusammenhang: Wie wichtig ist es, welche Themen zu zeigen? Kinder verstehen immer mehr, als man denkt.“
Gemeinsam einsam
Aktuell ist das Stück allemal, findet Nicole Claudia Weber. „Armut gibt es noch immer, da hat sich nichts verändert. Armut bedeutet Scham. Der in ärmlichen Verhältnissen aufwachsende Anton muss sehr früh selbständig werden, während sich das wohlstandsverwahrloste Pünktchen auf seine Art selbständig macht. Beide sind auf ihre Weise einsam.“
Das finden auch die beiden Schauspieler*innen. „Anton versucht, spielerisch zu bleiben, und muss gleichzeitig eine große Verantwortung tragen. Eine Schwäche von ihm ist – und vielleicht ist das ein Männerthema –, dass er sich nicht traut, Hilfe zu holen“, sagt Jonas Graber. Katharina Stadtmann denkt kurz nach: „Pünktchen ist wiederum sehr einsam, weil es Einzelkind ist und die Eltern nie da sind. Sie hat eine sehr direkte Art, was gleichzeitig ihre Stärke und Schwäche ist.“
Das ist das Schöne Im Theater trifft sich alles.
Einfach Freunde werden
In der Romanfassung lernt Pünktchen Anton beim Betteln kennen, nachdem der Verlobte ihres Kindermädchens ihre Familie erpresst. Auf der Bühne wird die Fassung etwas abgeändert.
„Im Stück treffen die beiden Kinder zum ersten Mal aufeinander, im Buch kennen sie sich bereits. Sie begegnen einander in einer für Anton nicht vorteilhaften Situation – er wurde gerade verprügelt“, erzählt Jonas Graber. Katharina Stadtmann nickt und fügt hinzu: „Und weil Pünktchen empathisch ist, will sie Anton kennenlernen. Da geht es gar nicht darum, wie er ausschaut oder Ähnliches, sie möchte einfach mit ihm befreundet sein.“
Die Personen hinter den Kästner-Figuren
Die Kärntnerin Katharina Stadtmann studierte Schauspiel an der MUK und kann bereits auf viele Wegstationen zurückblicken: unter anderem Schauspielhaus Wien, Salzburger Festspiele und Stadttheater Mödling. Stadtmann, die vier Sprachen fließend spricht und längere Zeit im Ausland lebte, kann sich vorstellen, auch international zu arbeiten. „Das wäre auf jeden Fall ein Traum.“
Während Katharina Stadtmann schon als Kind wusste, dass sie Schauspielerin werden wollte, war für den Augsburger Jonas Graber der Weg zur Bühne nicht vorgezeichnet. „Ich wusste lange nicht, was ich machen wollte“, so Graber. Zunächst schloss er in seiner Heimatstadt Augsburg den Bachelor in Sozialwissenschaften ab. Während seines Studiums gründete er dort mit anderen Theaterbegeisterten das theter ensemble, das es bis heute gibt. Im Theater der Jugend legte Graber 2023 als Ismael in „Moby Dick“ ein beeindruckendes Debüt hin – und das während seines letzten Ausbildungsjahrs an der MUK.
Mit dem inneren Kind spielen
Was die beiden Schauspielenden gemeinsam mit ihren Figuren haben? „Auf jeden Fall das Spielerische“, so Katharina Stadtmann, „auch wenn ich das nicht immer so auslebe, ertappe ich mich immer wieder dabei, wenn ich allein bin. Zum Beispiel wünsche ich dem Kuchen viel Glück, wenn ich ihn in den Ofen schiebe.“ Graber lacht. Wie ist das bei ihm und Anton? „Anton ist ein Macher. Ich finde es inspirierend, wie er sich den Problemen in seiner Familie widmet. Und ich würde auch sagen, dass ich die spielerische Art mit Anton teile. Ich frage mich oft: Wie leben Menschen, wenn sie keinen Blödsinn machen? Das kommt mir wahnsinnig langweilig vor.“
Ein Fest der Freundschaft
Vom Publikum wünschen sich die beiden einen Austausch. „Es ist ein Zusammenspiel mit dem Publikum. Wir brauchen die Zusehenden genauso wie sie uns“, so Stadtmann. „Gerade freundschaftliche Liebe ist das Schönste, was es im Leben gibt“, fügt Graber hinzu. „Und was ist schöner als die Freundschaft von Pünktchen und Anton, die über die sozialen Schichten hinausgeht? Es wäre schön, wenn das Stück ein Fest der Freundschaft wird.“
Also wer mitfeiern will: hingehen.