Til Schindler: Unterwegs mit Elektra
Nach einem intensiven Filmprojekt geht es für Til Schindler nun mit dem Volkstheater in den Bezirken auf große Wien-Tour. Auch künftig möchte der Schauspieler weder auf die Theaterbühne noch auf Dreharbeiten verzichten. Warum das so ist und was das alles mit Ingwertee zu tun hat, hat uns der gebürtige Münchner im Interview erzählt.
15 verschiedene Säle, Bühnen und Garderobenräume wird Til Schindler in den kommenden Wochen kennenlernen, wenn er sich mit der Inszenierung „Elektra“ von Felix Krakau auf große Bezirke-Tour begibt. Wenige Tage vor der Premiere sitzen wir im Café Menta im dritten Bezirk und der zwischen Berlin und Wien pendelnde Schauspieler sitzt mit fragendem Blick vor seinem Ingwertee, der in mehreren Einzelkomponenten angeliefert wurde. Er lacht und beginnt mit der Herstellung seines Heißgetränks, das, auf diese Weise serviert, ein bisschen wie ein Zaubertrank anmutet. Angesichts des rapiden Temperaturabfalls in den vergangenen Tagen, eine kluge Entscheidung. Seit ein bisschen weniger als einem Jahr ist Til Schindler, der zuvor vier Jahre lang zum Ensemble des Wiener Schauspielhauses gehörte, als freischaffender Schauspieler im deutschsprachigen Raum unterwegs. „Elektra“ ist, nach mehreren Film- und Fernsehprojekten, seine erste Theaterinszenierung als freier Künstler.
„Ich könnte mich jetzt hier hinstellen und behaupten, ich wäre ein Ingwertee.“
Til Schindler über den Zauber der Behauptung
„Ich bin froh, beides machen zu können. Für mich fühlt es sich fast so an, als wären es zwei unterschiedliche Berufe“, hält er fest und nippt an seinem Getränk. Unterdessen füllt sich das kleine Lokal mit Menschen, die keine Lust mehr haben, sich der typischen April-Anarchie weiter auszusetzen. Til Schindler setzt fort: „An Theater interessiert mich, dass man die Möglichkeit hat, sich intensiv mit einem Stoff auseinanderzusetzen, sowie die besondere Spannung des Live-Moments, die durch die Anwesenheit des Publikums entsteht. Film ist spannend, weil er eine Reduktion, ein feines Spiel und die beständige Suche nach Authentizität erfordert. Beim Drehen versuche ich meistens fast gar nicht zu spielen, sondern eher von mir selbst auszugehen. Am Theater kann man hingegen alles behaupten. Ich könnte mich jetzt hier hinstellen und behaupten, ich wäre ein Ingwertee.“ Er lacht und nimmt noch einen Schluck.
Große Fragen
In „Elektra“ spielt der gebürtige Münchner die Rolle des Orest. „Felix Krakau hat auf den Motiven des antiken Mythos beruhend ein zeitgenössisches Stück geschrieben, bei dem der Fokus auf den drei Geschwistern Elektra, Chrysotemis und Orest liegt. Sie möchten den Mord an ihrem Vater rächen, indem sie ihre Mutter ermorden“, fasst er zusammen und setzt nach: „Das klingt jetzt erstmal absurd, wenn ich das so nacherzähle, aber das Tolle an so einem antiken Stoff ist, dass es darin um große Fragen und Themen, wie etwa Schuld, Vergebung und Trauer, geht. Wie auch um Strategien zur Bewältigung von transgenerationalem Trauma.“ Felix Krakau sei es gelungen, fügt der Schauspieler hinzu, ein Stück zu schreiben, das sehr zugänglich ist und die bereits angesprochenen Themen so verhandelt, dass sie sich alles andere als weit entfernt anfühlen.
Vom Volkstheater in den Bezirken zeigt sich Til Schindler begeistert: „Ich finde es großartig, weil es das einlöst, was alle Theater immer sagen – dass sie in die Stadt hineingehen, sich der Stadt öffnen und auch theaterfernes Publikum erreichen wollen.“
Erste Kinohauptrolle
Den Abschied vom Schauspielhaus vor etwas weniger als einem Jahr beschreibt er als „sehr emotional und sehr schön“. Alle, die „The Very End Of It All And Everything“ gesehen haben, werden das bestätigen können. „Wir haben bis in die Morgenstunden gefeiert und dann kam der Sommer. Meine Garderobe habe ich erst zwei Monate später ausgeräumt. Obwohl ich mich bewusst dazu entschieden habe, frei zu arbeiten, fühle ich mich dem Haus immer noch verbunden und habe fast alle Stücke in dieser Spielzeit gesehen“, sagt Til Schindler, dessen Schauspielkarriere im Jugendclub des Münchner Residenztheaters ihren Anfang nahm.
Sein erstes Jahr als freischaffender Schauspieler brachte außerdem seine erste Hauptrolle in einem Kinospielfilm mit sich, erzählt er, bevor sich unsere Wege wieder trennen. „Scham“ lautet der Titel des Films von Lukas Röder, der auf intensive Weise auf eine Mutter-Sohn-Beziehung konzentriert. „Es geht um sehr harte Themen wie häusliche Gewalt“, so Schindler, der sich sehr lange auf dieses Projekt vorbereitet hat. „Das war eine überaus intensive Zusammenarbeit, in die ich alles reingesteckt habe. Weil der Protagonist seine Mutter und sich filmt, habe ich während der Vorbereitungszeit dasselbe gemacht. Ich wollte wissen, wie ich spreche, wenn ich mit meinen Eltern spreche. Außerdem habe ich, weil es um das Thema Scham geht, dem Regisseur zwei Geschichten von mir erzählt, die weder meine engsten Freund*innen und Verwandten wissen, und mich dabei gefilmt.“
Auch im Theater sei er ein Fan von umfassender und genauer Vorbereitung, auch wenn die dort meistens ein wenig anders aussähe, fügt der Schauspieler hinzu. „Bei ‚Elektra‘ habe ich, auch aufgrund der Fülle an Texten, die es gibt, aber nicht alles gelesen. Außerdem kommt irgendwann auch immer der Punkt, wo man die Vorbereitung vergessen muss, weil es darum geht, miteinander zu spielen und aufeinander zu reagieren.“
Wir verabschieden uns. Der Zaubertrank ist ausgetrunken. Für Til Schindler geht es bei „Elektra“ nun wieder mit Theaterzauber weiter.
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