10 Fragen an Thiemo Strutzenberger: Ihre Utopie für die Zukunft der Menschen?
Mit „Lehman Brothers“ hat Stefano Massini einen Mega-Hit in London gelandet. Jetzt kommt sein neues Stück „Manhattan Project“ an die Burg. Direktor Stefan Bachmann inszeniert. Mit dabei: der charismatische Neuzugang Thiemo Strutzenberger – Schauspieler, Autor und Regisseur.
Warum sollte man „Manhattan Project“ sehen?
Wir sind mitten im Entwickeln, also kann ich nur spekulieren. Es ist ein Stück Welt- und Zeitgeschichte. Wie kam es dazu, dass die Arbeit an der Atom- bombe getan wurde, von wem und warum? Das Ganze mit Ausschmückungen, Ungenauigkeiten, Erfindungen und poetischen Überhöhungen, einer gewissen Fabulierlust an Abzweigungen und Abschweifungen. Stefano Massini, den Autor, interessiert dazu, welches Spiel sich aus der Übertragung von physikalischen Erkenntnissen auf seelisches Befinden, auf Gefühle, auf Erinnerungen und Charaktere ergibt. Wir überprüfen, welche Logik, Möglichkeiten und Unmöglichkeiten der Raum von Olaf Altmann bietet. Und wir befinden uns selber in einer Art Teilchenbeschleuniger, einem Hamsterrad, eingepfercht, umhergespült. So wird die Thematik auch von uns überhöht: in eine Art Spionagefilmästhetik, in etwas Film-noir-Haftes vielleicht, vielleicht mit Jacques-Tati-Anklängen? Ich weiß nicht ...
Wird die deutsche Sprache tendenziell ärmer oder reicher?
Ich hab nicht das Gefühl, dass Sprache insgesamt etwas ist, was die Zeit besonders interessiert. Wenn Sprachen ärmer werden, ist es, vermute ich, kein Sonderschicksal der deutschen Sprache.
Was ist Ihnen in Ihren Stücken wichtiger: Späße oder abstrakte Schachspiele?
Meine Stücke sind bisher an den Theatern aufgeführt worden, an denen ich gearbeitet habe; entstanden irgendwie aus dem Team und für das Team. Originalität war da schon immer ein Parameter. Gleichzeitig haben sie absichtlich keinen besonders spaßigen oder abstrakt gewählten Hintergrund. Sie kommen eher aus dem Instinkt oder der Überzeugung, dass es sich um ein wichtiges und bereicherndes Thema handelt, zumindest meiner Einschätzung nach.
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Schöne Vorstellung, dass ein Mensch Ihretwegen (im Theater) weint?
Wenn es passiert, passiert es ja nicht unbedingt meinetwegen. Aber es freut mich, wenn es passiert. Berühren und bewegen, Figuren offenbaren, damit etwas verändern (ich glaube, dass man damit etwas verändert) sind Möglichkeiten in dem Beruf, die ihn für mich wertvoll und schön machen.
Schauspielhaus hatten Sie bereits. Jetzt die Burg – wie fühlt sich das an: „Ich bin Burgtheaterschauspieler“?
Ich hatte – zum Wiener Schauspielhaus hinzu – ja auch das Theater Basel und das Residenztheater in München. Davor das Hamburger Schauspielhaus und das Neumarkt in Zürich. Am Burgtheater durfte ich anfangen, vor ungefähr zwanzig Jahren. Für mich ist es vor allem Wirkungsstätte bewunderter und verehrter Kolleg*innen, die hier gespielt haben oder spielen, insofern ein Traumhaus. Es fühlt sich wie Nach-Hause-Kommen an. Es rührt mich. Und es macht mich froh. Wenn man als junger Mensch und Schauspieler nicht nur Aufführungen an der Burg gesehen hat, die einen extrem geprägt und beeinflusst haben, sondern während der Schauspiel- schule auch Teil des Ensembles war, dann ist es schon etwas sehr Besonderes, wieder hier ankommen zu dürfen.
Was können Sie besser: schreiben oder spielen?
Mein Bedürfnis zu schreiben ist zurzeit nicht übermäßig ausgeprägt. Und dem Verlangen nach gut gemachten Erzählstücken kann ich nicht so gut entsprechen. Darum lass ich es zurzeit.
Denken Sie manchmal beim Spielen von Texten anderer Autor*innen, das hätte man besser machen können?
Wie gesagt, ich seh mich beim Proben und Spielen gar nicht so sehr als Autor. Es kann sein, dass einem als Schauspieler manchmal etwas fehlt. Wenn man es aber mit einem Meisterwerk wie „Das Vermächtnis“ („The Inheritance“) von Matthew López zu tun hat oder mit einem wie im Fliegen entstandenen Wurf von Simon Stone, gibt es nicht sonderlich viel Grund zu denken, dass man das selber viel besser kann.
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Stefano Massini mit „Lehman Brothers" ein Stück für Schauspieler geschrieben, das mit ganz wenig Bühnenbild auskommt. Wie ist das bei „Manhattan Project“?
Da Olaf Altmann mit der Bühne beauftragt ist, kann man davon ausgehen, dass er mit „ganz wenig“ eher nicht auskommen wird.
Wie arbeitet Stefan Bachmann als Regisseur?
Es entsteht meist ein gemeinsamer Fantasieraum. In ihm trifft man sich in der Einschätzung der Texte und Stoffe und Vorgänge. Stefan arbeitet offenherzig, intuitiv, fantasievoll untersuchend, mit Hang zu Selbstironie und Leichtigkeit. Sehr dem Stoff gewidmet, ihn befragend, aufmerksam, mit Gespür und Intelligenz abklopfend. Teamorientiert. Er überträgt einem Verantwortung, lässt das Team seine Arbeit machen, und er macht seine.
Die Atombombe hat die Welt verändert. Was ist Ihre Utopie, was das Zusammenleben der Menschen betrifft?
Ja, wobei: Der Text von Massini erzählt von einem sehr ausdauernden Zweifeln. Das Dilemma, ob man es tun und die Atombombe entwickeln soll oder muss oder besser nicht, prägt die Physiker im Stück. Eigentlich ist es das Hauptthema. Die Atomkernforschung wurde einerseits als Selbstzweck betrieben, andererseits aber auch angesichts der Machtübernahme der Nazis beschleunigt, aus dem Verdacht heraus, dass sie gerade eine Atombombe entwickeln. Gleichzeitig warnen einige Physiker später eindringlich vor dem Einsatz des von ihnen Entdeckten, der dann unter Oppenheimers Leitung getesteten Bombe. Der Physiker Leó Szilárd warnt. Oppenheimer zaudert ausführlich. Vielleicht könnte uns bei dem Tempo, das die Welt derzeit draufhat, etwas mehr Zaudern und Bedenken nicht schaden. Dass wir vernünftige, soziale, nachhaltige Lösungen finden, ist ja eine schon auf bescheidenes Maß heruntergebrochene Utopie.