Als die Oper das Fernsehen groß machte
„Amahl“ ist die meistaufgeführte US-Oper des 21. Jahrhunderts, fast alle Amerikaner kennen sie. Der Grund: Sie wurde fürs Fernsehen geschrieben und jedes Jahr am 24. Dezember ausgestrahlt. Stefan Herheim bringt die zauberhafte Familienoper jetzt in Wien auf die Bühne.
Hitwunder. Wir schreiben das Jahr 1951, und Gian Carlo Menotti liegt die Klassikwelt Amerikas zu Füßen. Gerade eben hatte der gebürtige Italiener für seine Oper „The Consul“ den Pulitzerpreis für Musik erhalten, und jetzt lässt ihn der Fernsehsender NBC an einen der wichtigsten Fernsehquoten-Tage des Jahres ran: den 24. Dezember. Da soll die Premiere von „Amahl und die nächtlichen Besucher“ als Live-Event ausgestrahlt werden. Ein bezaubernder Einakter über ein krankes Kind und seine Mutter, an deren Tür eines Tages die Drei Könige klopfen. Die Oper wird ein Hit und begleitet seither Generationen von Amerikanern durch den Weihnachtsabend. Am 15. Dezember feiert „Amahl“ im MusikTheater an der Wien Premiere. Uns hat Regisseur Stefan Herheim erzählt, was uns und unsere Kinder im Museumsquartier erwartet.
Erklären Sie mir bitte, was Sie unter dem Begriff Familienoper verstehen, der Begriff ist ja sehr breit interpretierbar …
Der Begriff ist vollkommen wörtlich zu nehmen: Es geht um Opernerlebnisse, die alle Menschen ansprechen, um Werke, die sich nicht nur an ein „junges Publikum“, sondern generationenübergreifend an das Kind in jedem von uns wenden. Nicht zuletzt geht es um ein gemeinsames und vereinendes Erlebnis. Umso wichtiger ist es, dass wir keine Kompromisse eingehen, sondern diese Aufführungen mit der gleichen Sorgfalt, Vorbereitungszeit und künstlerischen Qualität auf die Bühne bringen wie alle anderen Produktionen auch.
Bei der Familienoper handelt es sich genauso um Werke von renommierten Komponist*innen, jedoch um solche, die nur eine Stunde dauern. Dadurch sinkt zum einen die Hemmschwelle, und zum anderen können wir Doppelvorstellungen anbieten – vormittags für Schulen, nachmittags oder am Abend für Familien. Soll Oper nicht zu einer gelangweilt abgesessenen Pflichtübung im Stundenplan von Schüler*innen werden, müssen diese so früh wie möglich die Chance erhalten, das Theater selbst zu betreten und sich in seine Magie zu verlieben. Diesbezüglich ist die Familienoper unser jährliches Weihnachtsgeschenk an Jung und alle!
Zur Person: Stefan Herheim
Seine Salzburger „Entführung aus dem Serail“ führte 2003 erst zu Eklats und wurde dann Kult. Herheim lernte Cello, spielte Marionettentheater und gilt als einer der spannendsten Regisseure. Seit Herbst ist Herheim der neue Intendant des Theaters an der Wien. Seine Inszenierung von Janáčeks „Schlauem Füchslein“ wurde eben von Kritik und Publikum gefeiert.
Wie sehr unterscheidet sich Ihr Zugang zu einer Oper, die als Familienoper aufgeführt werden soll, vom Zugang zu einer, die es nicht ist?
Das ist ganz einfach: gar nicht! Ich gehe an alle Werke mit dem gleichen Ernst und derselben Freude heran, und ich möchte mit jeder Inszenierung Menschen erreichen und sie für das Musiktheater begeistern. Da bei „Amahl“ ein Kind im Mittelpunkt steht, das an das Kind in jedem von uns appelliert, muss ich umso mehr dem Kind in mir freien Lauf lassen.
Warum „Amahl“?
Der Name ist arabisch und bedeutet Hoffnung. Ich habe das Stück in meiner Kindheit als Fernsehoper oft gesehen und fand immer, dass darin weit mehr als eine sentimentale Weihnachtsgeschichte steckt. Die Hauptrolle ist eine darstellerisch wie musikalisch herausfordernde Partie für einen Knabensopran, es gibt lustige und berührende Momente, packende Choreinsätze und Tänze – und schließlich eine wichtige Botschaft. In diesem einstündigen Einakter steckt somit alles drin, was große Oper ausmacht.
Oper als gelebte Utopie: Stefan Herheim präsentiert sein Programm
Stefan Herheim ist der neue Intendant des Theaters an der Wien. Sein Programm wird spannend und herausfordernd. Aber wie tickt der gebürtige Norweger? Und warum schaut gerade ganz Europa musikalisch auf Wien? Unser Interview gibt darauf die Antworten. Weiterlesen...
„Amahl und die nächtlichen Besucher“ war eine Auftragsarbeit, wurde extra für das amerikanische Fernsehen geschrieben und hat dort auch wunderbar funktioniert. Macht das die Arbeit für Sie anders?
Gian Carlo Menotti hat im Nachhinein gestanden, dass er während des Komponierens bemüht war, nicht nur an das Fernsehen zu denken, sondern auch daran, wie das Stück mit analogen Theatermitteln gut funktionieren könnte. Und das merkt man, sonst hätte ich mich gar nicht getraut, es auf die Bühne zu bringen.
In Amerika ist „Amahl“ ein Hit, in Europa nicht. Wie erklären Sie sich das?
Durch die zu Weihnachten ständig wiederholte Ausstrahlung konnte sich „Amahl“ bestens ins kollektive Gedächtnis der Amerikaner einbrennen – auch in Gegenden, in denen das nächste Opernhaus hunderte von Meilen entfernt ist. Damit hat sich in den USA eine Tradition begründet, die in Europa schlichtweg fehlt – von Bergmans „Zauberflöte“ einmal abgesehen. Zudem gibt es in europäischen Ländern andere weihnachtliche Operntraditionen, wie etwa der alljährliche Besuch von „Hänsel und Gretel“ oder „La bohème“. Das sehe ich als einen Vorteil, denn somit können wir uns „Amahl“ frei von eingefahrenen Sehgewohnheiten annähern.
Sie haben ja mit dem „Schlauen Füchslein“ bereits das Publikum mit Ihrem Märchenzugang verzaubert. Was erwartet uns bei „Amahl“?
Auch darin gibt es viele märchenhafte Elemente, die man nicht ignorieren darf. Immerhin ist die Botschaft dieser Oper, dass nicht nur der Glaube, sondern auch die Fantasie Berge versetzen kann. Hier wie dort braucht das Märchenhafte aber das Gegengewicht der Realität, um uns verzaubern zu können.
Kann man die Geschichte ins Jetzt übertragen? Werden Sie das? Und wenn nicht, wohin dann?
Die biblische Erzählebene und das christliche Gedankengut schließen nicht aus, dass wir uns im Stück auch jenseits des Jahres null unserer Zeitrechnung bewegen. Musiktheater ist wie eine Zeitmaschine, die uns in vergangene Zeiten versetzt. Man könnte aber auch sagen, dass die Musik und das Theater diese Zeiten in unsere Gegenwart holen.
Lassen Sie die Drei Könige die Drei Könige sein, oder werden Sie hier auch einen anderen Zugang wählen?
Wenn in katholischen Gegenden am 6. Jänner Kaspar, Melchior und Balthasar als Sternsinger von Haus zu Haus ziehen, werden sie für viele Kinder zu den echten Königen – ihre Fantasie macht es möglich! Mehr möchte ich an dieser Stelle nicht verraten …
Wie würden Sie Menottis Musik beschreiben?
Sie ist oft berauschend schön – manchmal fast ein bisschen zu schön! Sie erinnert mitunter an Puccini, dann aber plötzlich an Prokofjew, und es fällt schwer, sich ihr zu entziehen. Denn sie hat die Kraft, uns zu verwandeln – und das ist die größte Kraft des Musiktheaters!
„Stefan Herheim inszeniert immer aus der Musik heraus, und das macht es für das Publikum schlüssiger. Er ist ein Regisseur, der unglaublich intensiv arbeitet. Er lässt keine Minute locker in der Probe und hat zu allen musikalischen Wendungen eine szenische Idee. Er macht Musik zur Szene und verlangt von allen vollste Konzentration und Ernsthaftigkeit, dadurch entsteht auch eine kreative Effizienz. Ich schätze das sehr, denn Stefan respektiert auch die künstlerischen Fähigkeiten seines Gegenübers. Zu meiner Rolle: Es bricht einem das Herz, wenn man darüber nachdenkt, dass man sein Kind nicht ernähren kann. Ich gestehe: Beim Üben habe ich auch eine Runde geheult. Dass ich selber gerade Mutter wurde, hat den Blick extrem geschärft.“
„Das Stück ist eine wunderbare Mischung aus Jesusgeschichte und amerikanischer Fairy Tale. In 50 Minuten wird ein Kondensat geschaffen von weihnachtlichen Vorgeprägtheiten aus unterschiedlichen Kulturen: der katholischen, italienischen und anglikanischen. Das Stück ist ein kultureller Schmelztiegel. Ich war selbst jahrelang als Sternsinger in meiner Gemeinde unterwegs. Es gibt viele interessante Aspekte des Sternsingens: Man verkleidet sich, man engagiert sich mit anderen Kindern, um zu helfen, man lernt die Häuser anderer Menschen kennen, erweitert seinen sozialen Horizont. Jetzt, dreißig Jahre später, eine Rolle zu singen, die ich schon als Kind gespielt habe – und noch dazu mit der Musik und den Texten Menottis –, ist großartig.“