Robert Meyer: „Der Nestroy pickt mir auf der Stirn“
Es gibt ein postdirektoriales Leben. Robert Meyer steht auf der Bühne oder führt Regie. Bei „Lumpazivagabundus“ macht er beides. Er bezeichnet sich als Unruhe-Pensionist und hat noch nie einen Nestroy gewonnen. Obwohl er ihn so oft spielt.
Der Mann ist ein Glücksfall. An einem Tag begehrt man telefonisch ein Interview, am nächsten sitzt man ihm bereits im Café gegenüber. Mit spitzbübisch gewitztem Blick gibt er unprätentiös Auskunft über sein reiches künstlerisches Leben, das ihn unmittelbar nach der Schauspielschule ans Burgtheater brachte, wo er sich 33 Jahre lang erfolgreich durch die dramatische Weltliteratur spielte, ehe er die Direktion der Volksoper übernahm. Diese führte er 15 äußerst produktive Jahre und übergab 2022 das Zepter an Lotte de Beer. Ging damit auch ein gewisser Bedeutungsverlust einher? „Nein, den hatte ich wirklich nicht, weil ich seit meiner Verabschiedung wahnsinnig viel zu tun habe. Ich war bis vor kurzem an der Volksoper in ‚Cabaret‘ engagiert, spiele ‚Der Wald‘ in der Josefstadt und ‚Gott‘ in den Kammerspielen, man kann mich am Münchner Gärtnerplatztheater in ‚Die Fledermaus‘ und ‚My Fair Lady‘ sehen, und heuer im Sommer inszeniere ich in Reichenau ‚Lumpazivagabundus‘. Darin spiele ich auch den Knieriem. Dazwischen mache ich Soloabende. Ich bin ein absoluter Unruhe-Pensionist.“
Zum Gespräch kommt er direkt von den Proben für „Lumpazivagabundus“, ein Stück, das er erstaunlicherweise noch nie inszeniert oder gespielt hat, das also in zweifacher Hinsicht sein erstes Mal ist. Er möge die Probenarbeit, betont er. „Ich muss aber auch immer lachen, wenn Kolleginnen und Kollegen behaupten, die Proben seien ihnen bedeutsamer als die Aufführungen. Nein, die Vorstellung ist natürlich das Wichtigste, denn dafür proben wir ja. Irgendwann will man damit auch auf die Bühne und das Erarbeitete zeigen. Ich bin jedenfalls ein Schauspieler für das Publikum.“ Deshalb sehe er sich gewissermaßen gezwungen, in seiner eigenen Inszenierung auch den Knieriem zu spielen.
„Ich kann nicht anders, es ist mir nicht möglich, ein Stück nach der Premiere abzugeben, was man als Regisseur aber für gewöhnlich tut, sondern ich muss einfach bis zum letzten Tag dabei sein.“ Da man sich schlecht von außen betrachten und damit selbst in Szene setzen könne, habe er eine Regieassistentin und eine Dramaturgin an seiner Seite, deren professionellen Einlassungen er unbedingt vertraue.
Ich weiß nicht, warum sich so wenige Regisseurinnen und Regisseure trauen, Nestroy auf die Bühne zu bringen.
Robert Meyer, Schauspieler und Regisseur
Von höherer Macht gefesselt
Robert Meyer wurde einmal als Nestroy-Gesicht bezeichnet, was durchaus ehrfürchtig gemeint war. Er selbst sagt über sich: „Der Nestroy pickt mir auf der Stirn.“ Das ist erstaunlich für einen gebürtigen Bayern.
„Solange ich auf der Schauspielschule war, hatte ich gar keinen Bezug zu Nestroy, drei Jahre später habe ich am Burgtheater meinen ersten Nestroy gespielt – das Stück ‚Umsonst‘ –, seitdem hat er mich nie wieder losgelassen. Nestroy war ein genialer Schreiber, ein sprachlicher Großmeister, bei dem man sich oft fragt, woher er diese Formulierungen nahm. Zum Beispiel beim ‚Talisman‘, wo Frau von Cypressenburg Titus Feuerfuchs fragt, ob sein Vater dieselbe Profession habe wie er. Titus antwortet nicht einfach, dass sein Vater tot sei, sondern sagt: ‚Er betreibt ein stilles, abgeschiedenes Geschäft, bei dem die Ruhe das einzige Geschäft ist. Er liegt von höherer Macht gefesselt, und dennoch ist er frei und unabhängig, denn er ist Verweser seiner selbst. Er ist tot.‘ Das muss einem einmal einfallen.“
Robert Meyer deklamiert die Stelle, als hätte er sie nicht 1993, sondern gestern gespielt. „Nestroy-Texte lerne ich sehr leicht, und sie bleiben ewig in meinem Kopf, weil sie eine so hohe Qualität haben. Man kann Zitate von ihm auch in beinahe allen Lebenslagen einstreuen.“
Warum Nestroy, wie oft moniert, so selten in Wien gespielt wird, kann er sich auch nicht erklären. „Von den 84 Stücken, die er geschrieben hat, werden nur 12 bis 14 aufgeführt. Die sind aber richtig bissig, mit denen kann man schon etwas anfangen. Ich weiß nicht, warum sich so wenige Regisseurinnen und Regisseure trauen, Nestroy auf die Bühne zu bringen.“ An Erfolgsängstlichkeit kann es kaum liegen, denn Robert Meyer hatte mit seiner „Einen Jux will er sich machen“-Inszenierung 2023 in Reichenau eine Auslastung von 100 Prozent.
Anekdote am Rande: Er wurde noch nie mit einem Nestroy ausgezeichnet. Was, wie er vermutet, damit zusammenhängen könnte, dass er sich 2000, als die Schauspielpreise zum ersten Mal verliehen wurden, ein wenig despektierlich über den „Mini-Oscar“ geäußert hat …
Zur Person: Robert Meyer
studierte am Salzburger Mozarteum und war von 1974 bis 2007 Ensemblemitglied des Burgtheaters. Er wurde vor allem als Nestroy-Interpret zum Publikumsliebling, war aber auch in Dramen von Shakespeare, Schnitzler oder Feydeau sehr erfolgreich. 2007 bis 2022 leitete er die Volksoper, inszenierte zahlreiche Stücke und trat selbst auf. Heute lebt er als freier Schauspieler und Regisseur in Wien.
Ikone der Grantler
In der nächsten Saison wird Robert Meyer gemeinsam mit Herbert Föttinger in Neil Simons Klassiker „Sonny Boys“ auf der Josefstadt-Bühne stehen. Wer die beiden in „Der Wald“ gesehen hat, weiß um ihre komödiantische Chemie. „Ich spiele Willie Clark, der mit seinem Partner Al Lewis vor vielen Jahren ein erfolgreiches Duo gebildet hat. Dann haben sie sich getrennt, und nun sollen sie mit ihrem berühmten Doktor-Sketch in einer TV-Show auftreten. Willie sitzt ständig übelst gelaunt zu Hause und bildet sich ein, er sei noch gefragt, obwohl er sich nicht einmal mehr die Produkte merken kann, die er im Werbefernsehen anpreisen soll.
Wenn man selbst Schauspieler ist, weiß man, wie viel Wahrheit da drinnen steckt. Viele haben irgendwann einen Karriereknick, sitzen im Künstleraltersheim, schimpfen auf aktuelle Inszenierungen und behaupten, früher sei alles besser gewesen. Da sage ich immer, Gott bewahre einen vor einer solchen Zukunft.“
Das Stück steht ab Dezember auf dem Spielplan. Im April 2025 feiert Robert Meyer mit der selten gespielten Strauss-Operette „Waldmeister“ Premiere am Gärtnerplatztheater, die zwei Wochen später als Gastspiel auch in der Halle E zur Aufführung gelangen wird. Da bleibt wahrlich keine Zeit für Banalitäten wie Bedeutungsverlust.