Der Inhalt, stark gekürzt. Schwanda, von Beruf Dudelsackpfeifer, lebt glücklich mit seiner jungen Ehefrau Dorota auf dem Lande, bis ihn der Räuber Babinsky überredet, die verzauberte Königin zu befreien. Das geht allerdings gründlich schief, Schwanda entkommt nur knapp seiner Enthauptung und fährt in die Hölle hinab, wo er dem Teufel seine Seele verkauft. Babinsky befreit ihn schließlich und bringt ihn zurück zu Dorota. So weit, so tendenziös spießig.

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Von einer „Volkssage“, als die Jaromír Weinbergers Oper meist klassifiziert wird, will Tobias Kratzer, der gerade mit Hans Werner Henzes Oratorium „Das Floß der Medusa“ – auch nicht gerade ein mehrheitsfähiges Werk – auf dem Flughafen Tempelhof einen ausverkauften Erfolg samt Zusatzvorstellungen eingefahren hat, nichts wissen. Auch nicht von einem Märchen.

„Ich finde das Stück relativ abgründig“, erklärt er, „viel entscheidender als seine Herkunft ist für mich die zeitliche Nähe zu Schnitzlers ‚Traumnovelle‘. Es wurde nur ein Jahr später geschrieben und steht somit der Wiener Psychoanalyse nahe. Ich weiß weder, ob Schwanda von seiner Abenteuerlust ‚geheilt‘ wurde, noch, ob er zu Dorota zurückkehrt. Es ist ein bisschen wie bei ‚Eyes Wide Shut‘ von Stanley Kubrick. Man steigt zweimal in denselben Fluss und kommt jedes Mal leicht verändert heraus. Wir haben in diesem Stück sehr viel an Möglichkeitsspektrum angereichert. Es ist nicht so, dass feststeht: Dort, wo die Hausschuhe stehen, ist es am schönsten.“

Petr Popelka
Petr Popelka ist Chefdirigent des Norwegischen Rundfunkorchesters Oslo und künstlerischer Leiter des Prager Rundfunkorchesters. Ab der Spielzeit 2024/25 wird der auch als Komponist Tätige das Chefdirigat der Wiener Symphoniker übernehmen.

Foto: Khalil Baalbaki

Auch musikalisch sei es alles andere als eine leichtfüßige Märchenkomposition. Man habe das Gefühl, dass in der Musik viel gewaltigere – auch im Sinne einer erotischen Dekadenz – Elemente verhandelt würden als auf der Textebene.

Virtuosität trifft Transparenz

Dirigent Petr Popelka, mit dem Tobias Kratzer zum ersten Mal kooperieren wird, führt aus: „Für mich ist ‚Schwanda‘ ein Meisterwerk. Es ist wahnsinnig gut instrumentiert und hat Raffinessen in der Partitur, die man sonst vielleicht nur von Richard Strauss oder Erich Wolfgang Korngold kennt. Es verlangt eine große Virtuosität des Orchesters und viel Transparenz.“

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Da trifft es sich gut, dass die Wiener Symphoniker zum Einsatz kommen werden, deren designierter Chefdirigent er ist. „Die Symphoniker zeichnen sich durch große Offenheit und hohes musikalisches Niveau aus. Weinberger schont das Orchester auch nicht, die Partitur ist wahrlich schwierig. Da gibt es die schwere, lange Ouvertüre, dann drei große Intermezzi und die bekannte Fuga zum Schluss. Ich bin überzeugt, dass die Wiener Symphoniker genau das richtige Orchester dafür sind.“

Steigende Chancen

Auch auf Tobias Kratzer wartet eine neue Aufgabe, er wird 2025 die Intendanz der Hamburger Staatsoper übernehmen. „Ich bin jetzt seit fünfzehn Jahren frei tätig, da fragt man sich schon manchmal, was man über die Qualität einer einzelnen Inszenierung hinaus noch für die Gattung und das Fortleben derselben tun will. Und da sind einem als Regisseur Grenzen gesetzt“, erklärt er, warum es ihn gereizt hat, das Angebot der Findungskommission anzunehmen. Außerdem solle man tunlichst auch als Intendant noch große künstlerische Potenz in sich verspüren. „Da ich nicht den Eindruck habe, dass es diesbezüglich schon bergab geht, habe ich zugesagt.“ Es folgt das humorsignalisierende Kratzer-Lächeln.

Sinkt dadurch die Chance, ihn künftig als Regisseur in Wien erleben zu dürfen? „Nein, sie steigt sogar. Sobald ich den Münchner ‚Ring‘ abgeschlossen haben werde, der mich auch in meinen beiden ersten Jahren in Hamburg noch begleiten wird, werde ich drei Jahre lang außerhalb des eigenen Hauses nicht mehr in Deutschland inszenieren. Alle Gastengagements werden sich in dieser Zeit auf das Ausland beschränken.“ Womit man in Wien hoffen kann, möglichst oft in den Genuss des Kratzer-Mottos zu kommen, wonach das Publikum die Vorstellungen „gut gelaunt und intellektuell stimuliert“ verlassen möge.