„Man lebt nur einmal“ ist ein Satz, auf den sich die meisten Menschen ganz gut einigen können. Dennoch ist die Einmaligkeit, die in dieser Aussage mit großem Wandtattoo-Potenzial steckt, auch ein wenig tückisch, weil sie suggeriert, dass man als einzelner Mensch nur ein einziges Leben leben kann. Stimmt nicht, dachte sich einst Schriftstellerin Virginia Woolf und packte all ihre Überlegungen zu diesem Thema in ihren Roman „Orlando“. Stimmt überhaupt nicht, dachte sich auch die schwedische Regisseurin Therese Willstedt, die Woolfs fantastische Geschichte über die durch vier Jahrhunderte reisende, vieldeutige Figur im Akademietheater auf die Bühne bringt. Die Rolle des Orlando hat sie auf sieben Spieler*innen unterschiedlichen Alters aufgeteilt. Zwei davon, Stefanie Dvorak und Seán McDonagh, treffen wir in der letzten Probenwoche vor den Theaterferien über Zoom.

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„Wir erzählen die Geschichte gemeinsam – als wären wir ein Körper –, verkörpern aber unterschiedliche Abschnitte im Leben dieser Figur, die ja im Laufe ihrer Existenz auch ihr Geschlecht wechselt“,hält Stefanie Dvorak fest. „Ich finde es schön, dass Therese ihre Geschichte nicht darauf reduziert, dass Orlando vom Mann zur Frau wird. In dem Text steckt so viel mehr als das – nämlich das menschliche Bedürfnis danach, eine Form von sinnstiftendem Sein zu finden“, fügt Seán McDonagh, der mit „Orlando“ sein Burgtheater-Debüt feiert, hinzu. „Und jenes danach, zur Ruhe zu kommen“, ergänzt Stefanie Dvorak nach einer kurzen Pause. „Am Ende erkennt Orlando, dass die ständige Suche im Außen nicht die erhoffte Befriedigung bringt, sondern alles, wonach sie sucht, in ihr selbst liegt – und dass es in Ordnung ist, aus mehreren Ichs zu bestehen. Das ist so ähnlich, wie wenn man bei Liebeskummer in ein anderes Land reist, um die Person zu vergessen. Blöderweise nimmt man sich selbst aber immer mit.“

Seán McDonagh
Seán McDonagh wurde in Hamburg geboren und spielte zuletzt in Köln. Steht auch für Film- und TV-Produktionen vor der Kamera.

Foto: Tommy Hetzel

Den Körper sprechen lassen

Seán McDonagh kennt das Gefühl, keine Ruhe zu finden, auch aus seinem Beruf. „Irgendwie läuft man immer einem bestimmten Moment hinterher. Mit der Zeit habe ich aber begriffen, dass genau das mir Ruhe gibt – mir dieser Ausnahmezustand guttut und ich darin am besten funktioniere. Sobald ich versuche, etwas zu tun, was die Gesellschaft mir vorgibt – beispielsweise Yoga zu machen, um zur Ruhe zu kommen –, verzweifle ich.“

Statt Ruhe stand bei Therese Willstedt eher Energie und Improvisation auf dem Menü- und Probenplan. Dass damit ein sehr sinnlicher und körperlicher Zugang verbunden ist, wüssten sie beide sehr zu schätzen, erzählen McDonagh und Dvorak. „Man geht raus aus dem Kopf und rein in den Körper – lässt zunächst einmal die Instinkte sprechen“, zeigt sich Stefanie Dvorak begeistert und merkt daran anknüpfend an: „Mir ist es immer lieber, ich darf erst einmal Dinge übertreiben und groß machen und kann sie dann wieder verkleinern. Wenn ich nicht nur im Kopf bin, finde ich leichter zu einer Haltung.“ In letzter Zeit habe sie große Freude daran, unterschiedliche Erzählweisen und Inszenierungsformen auszuprobieren – „möglichst unpsychologisch, körperlich und weit weg von mir“, fügt die in der Steiermark geborene Schauspielerin hinzu. Nach einer kurzen Pause setzt sie lachend nach: „Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich mich mit mir schon total langweile.“

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Seán McDonagh lacht ebenfalls und erklärt, dass er das absolut nachvollziehen könne. „Ich glaube, dass man in diesem Beruf verschiedene Phasen durchmacht. Zu Beginn meiner Karriere habe ich mich mit extremer Energie und Hingabe in Dinge reingeschmissen. Das ist immer noch so, weil die totale Überforderung nach wie vor einen großen Reiz für mich hat, gleichzeitig glaube ich, dass ich mit der Zeit auch weicher und differenzierter im Ausdruck geworden bin.“ Am Schauspiel Köln, wo der gebürtige Hamburger mit irischen Wurzeln von 2013 bis 2024 engagiert war, war er als Woyzeck im gleichnamigen Stück bereits in einer Inszenierung von Therese Willstedt zu sehen. Nun beginnt für ihn in Wien ein neuer Lebensabschnitt.

Bloß, wie kommt man – passend zum Thema des Stücks – in einer neuen Stadt zur Ruhe und bei sich an? Hat Wahl-Wienerin Stefanie Dvorak vielleicht einen Tipp für ihren neuen Kollegen?Die Schauspielerin lacht und schüttelt den Kopf: „Ich mag Wien, habe aber schon etwas gebraucht, um mich an die Stadt zu gewöhnen. Irgendwie ist es so, dass einem Wien subkutan reinkriecht und man es dann plötzlich in sich hat.“

Stefanie Dvorak
Stefanie Dvorak gehört seit 1999 zum Ensemble des Burgtheaters. 2008 erhielt sie den NESTROY in der Kategorie „Beste Schauspielerin“.

Foto: Tommy Hetzel

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