Die wilden Hilden
„wir dürfen nur den roten faden nicht verlieren“, heißt es in der „hildensaga“ von Ferdinand Schmalz. Beim Gespräch mit Katharina Lorenz und Julia Windischbauer ist das ein paar Mal passiert. Doch genau das macht Interviews so schön.
„Nach der Probe gehen wir zum ersten Mal miteinander essen“, sagt Katharina Lorenz und sucht dabei den zustimmenden Blick ihrer Kollegin Julia Windischbauer. Sie findet ihn sofort. Wobei das nicht ganz richtig ist, denn der gerade von Berlin nach Wien gewechselten Schauspielerin steht vielmehr die pure Freude ins Gesicht geschrieben. Wohin es geht, weiß Katharina Lorenz auch schon. „Ich habe im Benkei in der Ungargasse reserviert, in das ich schon seit fünfzehn Jahren regelmäßig gehe. Einmal kam es sogar vor, dass mich die Betreiber*innen vor ihrem Urlaub besorgt gefragt haben, wer denn nun für mich kocht.“ Katharina Lorenz lacht. „Wir gehen uns jetzt kennenlernen“, hält Julia Windischbauer mit jener unverblümten Art fest, die sich durch unser gesamtes Gespräch ziehen wird.
Gerade hat die in Linz geborene Schauspielerin gemeinsam mit Nils Strunk noch einen Song angesungen, den sie gerne in die „hildensaga“, jenes Stück, das sie gemeinsam mit Regisseur Jan Bosse gerade im Arsenal proben, „hineinverwurschteln“ – oder passend zum Stück „hineinverweben“ – würden. Welcher das ist, möchte sie aber noch nicht verraten.
Gutes Chaos
Obwohl es auf den ersten Blick nicht so wirkt, ist es die erste gemeinsame Arbeit der beiden Schauspielerinnen. Spontanes Zwischenfazit: Manchmal braucht es gar keine miteinander verflochtenen Lebensgeschichten, um eine Verbundenheit entstehen zu lassen. Im Gespräch gehen wir dennoch zuallererst auf die Suche nach Gemeinsamkeiten und Anknüpfungspunkten – und finden so einige. Beide waren nach dem Studium an der Otto Falckenberg Schule an den Münchner Kammerspielen engagiert. Sowohl Katharina Lorenz als auch Julia Windischbauer fanden über den Tanz bzw. das Tanztheater zum Schauspiel. Und auch mit Jan Bosse haben beide schon gearbeitet. Wie seine Arbeitsweise aussieht, möchten wir von den Schauspielerinnen wissen.
„Er ist jemand, der sehr viel Neugierde und eine große Offenheit in die Proben mitbringt. Manchmal ist es auch wahnsinnig chaotisch, aber aus diesem Chaos heraus entstehen großartige Dinge“, so Katharina Lorenz. Julia Windischbauer, die es perfekt beherrscht, je nach Situation zwischen ihrem oberösterreichischen Dialekt und dem sogenannten Standarddeutsch hin und her zu wechseln, fügt hinzu: „Das unterstreiche ich alles und möchte ergänzen, dass er wahnsinnig spontan ist und damit bei mir eine große Spiellust entfacht. Außerdem hat er es bei der letzten Inszenierung, die ich mit ihm gemacht habe, geschafft, dass wir ein total eingeschworenes Team geworden sind.“ Nächstes spontanes Zwischenfazit: Trotz vieler scheinbar loser Enden kann ein dichtes Geflecht entstehen.
Sie werden sich langsam – zu Recht – fragen, was es mit dieser verdammten Verstrickungsmetaphorik auf sich hat. Die haben wir uns aus dem Theatertext von Ferdinand Schmalz ausgeliehen, in dem eine Gruppe von Nornen Kriemhild und Brünhild dazu anhält, die Fäden ihres Schicksals selbst in die Hand zu nehmen und das patriarchale System zu unterwandern. So wird aus der Heldensaga („packt eure heldentaten und bindet sie wem andren auf“) eine Hildensaga, in der sich die beiden Hilden schlussendlich verbünden und die Weichen für den Mord an Siegfried stellen.
Sekt und Nichtwissen
Julia Windischbauer könnte sich für die erste Inszenierung an einem neuen Theater auf jeden Fall keine bessere Konstellation vorstellen. Die Kolleg*innen und das Haus zu kennen, ändere jedoch nichts daran, dass man in jede Inszenierung mit großem Nichtwissen hineinstartet, merkt Katharina Lorenz an. „Wenn ich auf Proben gehe, habe ich zuerst einmal gar keine Ahnung und kann auch viele Dinge erst begreifen, indem ich sie ausprobiere. Ich lese mich zwar gerne in das Leben der Autorin oder des Autors ein, aber die Figur selbst entsteht nicht in der Vorbereitung, sondern erst im Probenprozess“, findet die Schauspielerin klare Worte.
Nach einer kurzen Pause hakt Julia Windischbauer ein: „Manchmal passiert es mir bei der Konzeptionsprobe, dass ich in alle Gesichter in der Runde schaue und schon an jenen Tag denke, an dem wir nach der Premiere alle anstoßen werden. Obwohl man in diesem Moment vor rein gar nichts sitzt.“ Sie lacht, und Katharina Lorenz erzählt, dass sie diese Momente auch schon hatte. „Am 15. Dezember um Mitternacht werden wir auf die Premiere und unsere beiden Geburtstage anstoßen“, ergänzt Julia Windischbauer abschließend. Man glaubt es der energiegeladenen Schauspielerin aufs Wort.
Unübersichtliche Zeiten
Wir sprechen auch noch über Lieder, die mit bestimmten Figuren verknüpft sind, und Katharina Lorenz merkt an, dass sie früher Songs und auch Gerüche hatte, die sich mit Rollen verbunden haben. „Wenn der Geruch in meine Nase kam oder ich den Song gehört habe, wusste ich, dass ich auf der richtigen Fährte bin. Das war auf eine Weise befreiend.“
Julia Windischbauer hat sofort eine Idee für einen weiteren gemeinsamen Ausflug im Kopf: „Es gibt außerhalb von Wien einen Ort, da kann man sich Düfte zusammenstellen lassen. Da machen wir uns ein Kriemhild- und ein Brünhild-Parfum.“
Ein guter Moment, um nochmals über die beiden Rollen – Katharina Lorenz spielt Kriemhild und Julia Windischbauer Brünhild – und über die „hildensaga“ zu sprechen. „Das Stück ist eine Groteske, eine rabenschwarze Welt. Es geht um Rache, Verrat und Mord. Und hat auf erschreckende Weise so viel mit der Welt zu tun, in der wir jetzt leben“, sagt Katharina Lorenz. Sie verweist auf einen Satz aus dem Stück: „... dann finden sie sich, die rudel, rotten sich zu meuten, schaum vor den mündern, fletschen sie schon ihre zähne. dort draußen lauern wölfische zeiten.“
„Erst heute haben wir den Monolog von Siegfried gelesen, in dem er sagt, dass wir in grausamen, unübersichtlichen Zeiten leben und uns ins Spiel des schönen Lebens flüchten“, so Julia Windischbauer. „Es wäre zu einfach, zu sagen: Da sind zwei Frauen, die sich verbünden, und damit wird alles gut“, fügt Katharina Lorenz hinzu, bevor sich unsere Wege wieder trennen und es für die beiden Schauspielerinnen in die Ungargasse geht. Ein bisschen mehr als vorher glaubt man allerdings schon daran, wenn man sich mit Katharina Lorenz und Julia Windischbauer unterhalten hat.