Vergleiche hinken. Sagt man. Sind sie in Zahlen gegossen, dann zeigen sie Rea­litäten. Geht es um die Parameter der Kunst, müssen diese Realitäten so bespielt werden, dass sie Kunst möglich machen.

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Die Bühne der Wiener Staatsoper ist 27 Meter breit.

Die Bühne im Steinbruch zu St. Margarethen ist 80 Meter breit.

Die Staatsoper können 2.284 Menschen pro Abend besuchen (davon müssen 567 stehen). Die Oper im Steinbruch 5.000 (mehr als 4.700 können sitzen).

Die Vergleiche hinken nicht nur, sie humpeln – aber sie zeigen auf einen Blick, in welchen Dimensionen im Burgenland Oper gedacht wird und den Umständen geschuldet gedacht werden muss.

Es ist ein kleines und von den Dimen­sionen großes Opernwunder, das hier jährlich stattfindet und sich von seinen Anfängen als Spektakelveranstaltung zu einem künstlerisch hochklassigen Opernabend mit großem Eventcharakter gewandelt hat.

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Oder, um es sehr, sehr trivial runterzubrechen: Wo sonst kriegt man hochwertige Oper, dazu (wer es mag) eine Käsekrainer oder ein Achterl um vier Euro und das alles in einem Sandstein-Ambiente, in dem man von 25 Millionen Jahren alten Fossilien umgeben ist. Sandstein, mit dem übrigens der Stephansdom und die halbe Ringstraße erbaut wurden.

Monument „Aida“

Qualität trifft auf Geschichte, und das alles auf sehr charmantem Niveau. Verdis großes Meisterwerk über die Unsterblichkeit der Liebe wird es heuer geben: „Aida“. Kein anderes Stück der Operngeschichte ist von der Inszenierung so groß gedacht und doch wieder so kammer­spielartig intim wie die Geschichte von Radames und Aida. Und Giuseppe For­tunino Francesco Verdi höchstpersönlich gab in seinen Anmerkungen auch klar die Optik der Inszenierung vor: „zur Zeit der Pharaonen“. Wie bekommt man die künstlerische Grätsche hin, Opernfans genauso zufriedenzustellen wie das Einmal-im-Jahr-Publikum? Wie bespielt man eine derartig riesige Bühne? Was müssen Sänger*innen können, um auf einer derartigen Bühne überleben zu können?

David Serafin
Daniel Serafin in den Werkshallen mit einem gerade fertig gestellten Pharaonenstab. Im Hintergrund ­werden Teile des ­Bühnenbilds poliert.

Foto: Andreas Jakwerth

Unsere Künstler brauchen viel Energie, Spielfreude und frische Stimmen mit dem perfekten Sitz.

Daniel Serafin, Intendant

Zur Person: David Serafin

ist Intendant der Oper im Steinbruch und damit für das wichtigste Opern-Sommerfestival im Osten Österreichs zuständig, das unter seiner Führung eine neue künstlerische Relevanz bekommen hat. Dieses Jahr wird „Aida“ zu sehen sein. Serafin organisiert außerdem seit 2016 den „Viennese Opera Ball“ in New York. ­Serafin ist studierter Sänger und Schauspieler.

Ziemlich groß

Es ist ein Dienstag Anfang Mai. Die Premiere im Steinbruch ist in zwei Monaten, am 10. Juli, und wir treffen all die Menschen, die uns diese Fragen beantworten werden.

Der Ort sind die Werkshallen von Winter Artservice. Hier wird das alte Ägypten für die 7.000 Quadratmeter Bühnenfläche entstehen. Ich will Sie nicht mit Zahlen quälen, aber sie sind einfach zu beeindruckend, um unerwähnt zu bleiben: 600 Kubikmeter ­Styropor, 42 Tonnen Stahl, 470.000 Stück Schrauben sowie 5,2 Tonnen Putz und Farbe werden dafür verarbeitet werden. 1.600 Planungs- und Programmierstunden, 120 Pläne, 31 Gigabyte Daten, 6 Kilo Papier „und 220 Liter Kaffee“, wie Christoph Winter, der Geschäftsführer, erzählt, wurden bereits dafür „verbraucht“.

Die Kunst der Intimität

Hier entstehen auch jene Wasserspiele, mit denen riesige Wasserfontänen in das burgenländische Nildelta gejagt werden, ein gigantischer Obelisk, ein ägyptischer Tempel, ein Sarkophag, der so lang ist wie zwei Reisebusse, und ein Elefant. Über fünf Meter hoch kann diese Konstruktion aus Holz und Stahl über die Bühne fahren und wird „Feuer speien“.

Wir verlieren bei der Führung kurz die Contenance: Ein bewunderndes ­„Oida!“ entkommt uns, und der Intendant von Mörbisch – Daniel Serafin – grinst. „Viele Bühnenbildner, die das erste Mal zu uns kommen, brauchen ein wenig Überlegungszeit, weil sie Selbstzweifel wegen der Größe haben. Es ist eine Bühne, groß wie ein Fußballfeld.“

Er macht eine Pause und setzt nach: „Bei ‚Aida‘ kommt dazu, dass es die großen Szenen gibt, aber sonst Duette, die sehr intim sind – etwa am Ufer des Nil, wo Aida Amneris belauscht. Dafür braucht es ein besonderes Gespür, Großes auch klein machen zu können. Dazu spielt man auch gegen die Ablenkungen des Steinbruchs, der Natur; und die Regie muss immer denken, dass Menschen 60 bis 70 Meter von der Bühne entfernt sitzen. Die müssen gefangen werden, die muss man staunen machen.“

Thaddeus Strassberger (er hat hier schon „Turandot“ 2021 inszeniert) wird das als Regisseur umsetzen. Wie in den vergangenen Jahren wird auch heuer wieder das überragende Piedra Festivalorchester unter der musikalischen Leitung von Iván López-Reynoso (übrigens auch ein wunderbarer Countertenor) spielen.

Die perfekten Stimmen

Faszinierend auch, wie komplex die Überlegungen bei der Besetzung der Rollen sein müssen. Dass einerseits Sänger*innen mit großen Karrieren und anderseits spannende neue Stimmen im Steinbruch singen, hat sich vor allem in den vergangenen Jahren auch bis ins Feuilleton herumgesprochen – aber es gibt noch andere Parameter.

Serafin: „Die Stimme muss frisch sein. Jedes Tremolo, jede Unbeweglichkeit und Unsauberkeit wird durch das Mikro hörbar. Die Stimme darf nicht zu laut sein, aber auch nicht zu leise. Unsere Künstler brauchen eine große Spielfreude und viel Energie. Wir suchen Stimmen, die am Mikro den perfekten Sitz haben und vor allem dieses Squillo, das Metall, das auch Sänger wie Mario Lanza hatten.“

Oper im Steinbruch
Hovhannes Ayvazyan, (oben links) Radames. Der armenische Tenor wird neben Jorge ­Puerta und Mikheil Sheshaberidze den ­Radames singen. Stefan Ottrubay (rechts oben) ist der Mann hinter dem Wunder und ­Vorsitzender der ­Esterházy-Stiftung. Leah Crocetto, (unten links) Aida. Sie sang Aida u. a. an der Met. Neben ihr als Aida: Ekaterina Sannikova und Leah Gordon. Raehann Bryce-Davis (unten rechts), Amneris Die Mezzosopranistin teilt sich die Rolle mit Kseniia Nikolaieva und Sofija Petrović.

Fotos: Thomas Schmid, Bokehbeastla (Johnny G), Privatarchiv, Jiyang Chen

Serafin atmet kurz ein und setzt gleich fort: „Und man darf nicht vergessen: Wir haben im Sommer zum Teil bis zu 40 Grad, da wird es unter den Kostümen schon mal sehr heiß. Mit einem Wort: Du brauchst viel Durchhaltevermögen und eine große Motivation. Alles zusammen geht nur mit Qualität und noch mehr Qualität.“

„Aida“ pur, nicht neu inszeniert

27 Vorstellungen werden gespielt – das Ziel sind diesmal an die 100.000 Zuschauer. Irgendwann – bei einem ­Duett – wandert ein Seiltänzer über die Bühne und das Tal der Pharaonen in den Vollmond. Er ist einer von insgesamt 22 Stuntmen. Dazu kommen noch 46 normale Statisten.

Daniel Serafin lacht und sagt: „Es wird eine noch nie dagewesene Inszenierung. Ein Spektakel für Aug und Ohr. Ein opulentes, bombastisches Werk, wie es Verdi gedacht hat. Wir interpretieren hier im Steinbruch nichts neu. Die Oper bleibt im klassischen Sinne bestehen, und das ist auch das Schöne.“

Lassen Sie uns am Ende zum Trivialen zurückkehren. Machen Sie sich keine Parkplatzsorgen – es gibt 2.250 davon, und vermeiden Sie den Stau, indem Sie nach der Vorstellung bei einer der acht Essstationen sitzen bleiben und ihrem Denken beim Entfliehen in die pannonische Weite zusehen.

Hier geht es zu den Spielterminen in der Oper im Steinbruch!