Nikolaus Webern: Ohne Bühne kein Theater
Sie schaffen Räume, in denen sich die Handlung frei entfalten kann und bauen Welten, die ihre eigenen Geschichten erzählen. Bühnenbildner sind für den Zuschauer unsichtbar. Und doch immer präsent. Nikolaus Webern entwarf für „Richard III.“ in der Kammeroper eine Bühne, die an eine Tudor-Halle erinnert. Elegance meets Grunge.
Lieber backstage. Die Vorstellung, selbst vor Publikum aufzutreten, führt bei Nikolaus Webern nicht zu erhöhter Endorphin-Ausschüttung. Ganz im Gegenteil. „Ich hatte noch nie das Bedürfnis, mich auf einer Bühne zu präsentieren“, stellt der gebürtige Steirer klar. In dem von ihm besuchten Gymnasium in Mürzzuschlag habe es damals auch keine Theatergruppe gegeben, in der er aktiv hätte werden können – und auch die Ausflüge ins Next Liberty nach Graz waren dünn gesät. „Aber ich habe schon als Kind gerne gezeichnet, bildnerische Erziehung war eines meiner Lieblingsfächer, und es war klar, dass ich etwas studieren wollte, was mit Gestaltung zusammenhängt. Architektur erschien mir damals allerdings zu strikt und vor allem zu mathematisch.“
Im Rahmen einer Studienmesse stieß er am Infostand der Akademie der Bildenden Künste auf das Fach „Bühnengestaltung“ und war schnell überzeugt von der Vielschichtigkeit des Gebotenen. „Grafik, Licht, Farben, Materialien … viele Sachen, die mich interessiert haben. Man muss mit dem Studium nicht beim Theater bleiben, man könnte zum Beispiel auch in Richtung Innenarchitektur oder Messebau gehen.“
Doch mit der näheren Beschäftigung kam schließlich auch das Interesse fürs Theater. Nach Erlangung des Diploms 2006 hospitierte Nikolaus Webern an mehreren Häusern, arbeitete als Assistent erfahrener Bühnenbildner und rutschte langsam in die Selbstständigkeit. Mittlerweile gehen etwa 65 Bühnenbilder für Produktionen vornehmlich in Deutschland und Österreich auf sein künstlerisches Konto. Vier bis fünf Projekte pro Jahr seien realistisch, würde er das Pensum vergrößern, könnte er keine seriöse Betreuung mehr garantieren.
Dass er überwiegend im Opernbereich arbeite, sei eines der vielen „Theatermysterien“, erklärt er amüsiert. „Das hat sich durch die Hospitanzen und Assistenzen, unter denen nur wenige Schauspielproduktionen waren, so ergeben. Ich habe mich schnell aber auch in die Oper verliebt. Schon allein der Umstand, dass dabei so viele Menschen aus unterschiedlichen Nationen für ein Projekt zusammenkommen, ist außergewöhnlich. Diese Internationalität schätze ich sehr.“
Lackierte Spaghetti
„Zum Glück gibt es Computerprogramme, die einem die Berechnungen abnehmen“, beantwortet er die Frage, wie man mit wenig mathematischem Talent diesem Beruf überhaupt nachgehen könne. „Und es gibt an den meisten Theatern eine technische Abteilung, die sich das Ganze noch einmal genau anschaut. Zum Plänezeichnen muss ich, wie auch zum Putzen, aufgelegt sein“, findet Nikolaus Webern einen nachvollziehbaren Vergleich.
„Ich mache lieber Modelle und arbeite nicht oft mit Skizzen, weil es viel zu lange dauert, bis man diese erklärt hat. Stattdessen baue ich aus Materialien wie Pappe, Papier oder Depafit (Leichtschaumplatten, Anm.) Miniaturbühnen. Für einen Zaun nimmt man dünne Holzstäbchen oder Draht, ich habe aber auch schon Spaghetti mit weißem Lack besprüht und als Neonröhren verwendet. Grundsätzlich geht wohl jeder Bühnenbildner gerne in den Baumarkt, um zu schauen, was man alles zweckentfremden könnte. Viele meiner Kollegen arbeiten auch mit 3-D-Programmen und Visualisierungen. Ich habe verpasst, das rechtzeitig zu lernen, und jetzt fehlt mir die Zeit dafür, ich weiß allerdings auch, dass ich mit meinen Händen schneller bin. Ich finde, ein Modell ist auch in der Kommunikation mit den Werkstätten sehr wichtig. Man sitzt mit Tischlern, Schlossern, Malern an einem Tisch und gibt ihnen die Möglichkeit, das jeweilige Teil in die Hand zu nehmen, es anschauen, drehen und wenden zu können. Viele Werkstätten haben außerdem gar keine 3-D-Programme am Computer, und ausgedruckt ist das Veranschaulichte wieder nur flach.“
Nikolaus Webern beleuchtet seine Modelle mithilfe von Taschenlampen oder anderen Lichtquellen, um unterschiedliche Stimmungen darstellen zu können, die er mithilfe von Fotos festhält.
Multifunktionale Spielplätze
Wann ist ein Bühnenbild in seinen Augen gelungen? „Ich kann nur von meiner Arbeit sprechen. Mir ist wichtig, dass mit und im Bühnenbild gespielt wird; dass es nicht als bloßer Hintergrund dient, mit dem Regie und Besetzung nichts anzufangen wissen. Wenn man völlig abstrakt arbeitet, ist das wieder ein bisschen anders, aber an und für sich versuche ich schon, immer einen Spielplatz zu bauen, wo vieles möglich ist. Ich biete auch Dinge an, nach denen noch gar niemand gefragt hat. Mein Anliegen ist es, gemeinsam mit Regie und Kostüm einen geschlossenen Kosmos auf die Bühne zu bringen. Natürlich muss man kompromissbereit sein, weil der Regisseur / die Regisseurin manchmal Ideen einbringt, die ich optisch vielleicht weniger interessant finde. In einem solchen Fall tauscht man sich noch einmal intensiv aus, hört zu, bringt neue Aspekte ein. Es ist aber noch nie vorgekommen, dass dabei etwas mir völlig Fremdes entstanden wäre. Gelungen ist ein Bühnenbild, wenn das Team zufrieden damit ist, wenn die Welt, die wir alle im Kopf hatten, einigermaßen erschaffen wurde.“
Im Geiste Shakespeares
Aktuell verantwortet Nikolaus Webern das Bühnenbild für „Richard III.“ in der Kammeroper. Basierend auf William Shakespeares blutrünstigem Königsdrama haben Regisseurin Kateryna Sokolova und der musikalische Leiter Benjamin Bayl ein Stück mit Kompositionen von Henry Purcell konzipiert, in der ein Sänger, ein Schauspieler und ein Tänzer die Titelrolle(n) übernehmen. Es handelt sich dabei also um eine Uraufführung. „Unsere Idee war, das für Shakespeare Spezifische auch von der Bühne her aufzugreifen. Zu seiner Zeit wurde mit sehr einfachen Mitteln Theater gespielt, da gab es vielleicht zwei Türen, durch die man auf- und abgetreten ist, und die Schauspieler haben sich einfach eine Jacke angezogen, wenn sie in eine andere Rolle geschlüpft sind. Das Bühnenbild ist in diesem Fall also kein zusätzlicher Geschichtenerzähler, sondern ein Spielraum. Es gibt nur minimale Umbauten und Veränderungen, was auch dem Ort geschuldet ist, denn in der Kammeroper wird Platz mit Gold aufgewogen. Das Bühnenbild ist den historischen Tudor-Hallen nachempfunden, in denen ja tatsächlich auch Theater gespielt wurde. Ich wollte diesen Stil aber mit provisorisch wirkenden Materialien wie unbehandelten Holzplatten brechen, weil ich den Kontrast aus filigran und roh spannend finde.“
Im konkreten Fall habe er beinahe eineinhalb Jahre Zeit gehabt, sich mit der Materie zu beschäftigen, einen so langen Vorlauf gäbe es aber nicht immer. „Ich habe auch schon innerhalb von drei Monaten Bühnenbilder entworfen. Man muss in diesem Beruf Probleme lösen können und sollte generell flexibel sein – nicht nur der Kollegenschaft gegenüber, sondern auch, was technische und finanzielle Mittel betrifft.“
Professioneller Blick
Privat geht Nikolaus Webern zwar gerne, allerdings nicht sehr oft in die Oper oder ins Theater. „Ich bin ohnehin ständig im Theater und finde es schön, auch einmal draußen zu sein“, erläutert er. „Aber wenn ich im Publikum sitze, gilt mein erstes Interesse natürlich immer der Ausstattung. Sobald der Vorhang aufgeht, bin ich auf das Bühnenbild konzentriert. Das dauert aber nur ein paar Sekunden, danach bin ich schon auch imstande, mir den Abend als Ganzes anzuschauen. Auch wenn ein Bühnenbild überhaupt nicht meiner Ästhetik entspricht, kann ich es toll finden, weil es außergewöhnliche Ideen beinhaltet. Nicht jeder kann guten Trash machen oder minimalistisch überzeugen.“
Wenn er nicht gerade arbeitet, lässt er sich von so ziemlich allem für anstehende Projekte inspirieren. Das kann eine im Vorübergehen zufällig entdeckte rostige Dachrinne genauso sein wie Filme, die Ausstattung einer Netflix-Serie oder ein Museumsbesuch.
Nikolaus Webern entwirft übrigens auch Kostüme, tut dies aber nur selten, weil er Teamwork mehr schätzt als Ämterkumulierung. Könnte er also theoretisch auch seine eigenen Möbel und Kleider entwerfen, respektive produzieren? „Am Produzieren würde es wahrscheinlich scheitern“, lacht er, „aber ich bin, was die Einrichtung zuhause angeht, schon ziemlich kompromisslos. Mein Partner hat da nicht allzu viel mitzureden. Tatsächlich würde es mich auch reizen, einmal ein Lokal oder ein Hotel auszustatten. Aber vielleicht stelle ich mir das auch aufregender vor, als es in Wirklichkeit ist. Mich interessiert alles Visuelle, das kann selbst ein Schaufenster sein, denn auch ein Bühnenbild sollte letztendlich Neugier erwecken.“
Als Nächstes übrigens in Freiburg, wo Nikolaus Webern die Oper „Jenůfa“ ausstatten wird. Regie wird auch hierbei Kateryna Sokolova führen, mit der ihn eine langjährige eingespielte Freundschaft verbindet.
„Richard III.“ – ab 3. Juni 2024
Kammeroper
Fleischmarkt 24
1010 Wien